Schätzungen zufolge stottern in Deutschland um die 800.000 Menschen. Es gibt Therapien, die helfen, aber bisher keine Behandlungsmöglichkeiten – obwohl klar ist, dass die Regulierung der Sprachproduktion im Gehirn beeinträchtigt ist. Forscher haben nun die betroffene Region ausgemacht.
Stottern kann verschiedene Ursachen haben – unabhängig davon geht es einer Studie zufolge aber auf ein bestimmtes Netzwerk im Gehirn zurück. Die Lokalisierung eröffne neue Möglichkeiten für die medizinische Behandlung, hofft das Forschungsteam. Womöglich könne zum Beispiel eine Hirnstimulation speziell auf das Netzwerk ausgerichtet werden.
Überwiegend Männer betroffen
Stotterer sind nicht schlechter darin, beim Sprechen die passenden Wörter zu finden. Beeinträchtigt ist die Fähigkeit, die beabsichtigten Worte adäquat auszusprechen. Die Störung des Sprachrhythmus ist durch unwillkürliche Laut- und Silbenwiederholungen, Verlängerungen und Sprechblockaden gekennzeichnet, wie es in der im Fachjournal "Brain" vorgestellten Studie heißt.
Ungefähr fünf bis zehn Prozent der Kleinkinder stottern demnach, geschätzt ein Prozent – überwiegend Männer – stottert bis ins Erwachsenenalter weiter, fast immer lebenslang. Stottern tritt über alle Kulturen hinweg ähnlich oft und familiär gehäuft auf. In Deutschland stottern nach Schätzungen etwa 800.000 Menschen dauerhaft.
Annahme: Störung im Gehirn für Stottern verantwortlich
Schweres Stottern kann sich negativ auf das Leben des betroffenen Menschen auswirken, vor allem wegen kränkender oder gar aggressiver Reaktionen von Mitmenschen. Helfen können Therapien zum Erlernen einer Sprechtechnik und zur Stressreduktion. Wirksame pharmakologische oder neuromodulatorische Behandlungsmöglichkeiten gibt es dem Forschungsteam um Juho Joutsa von der Universität Turku (Finnland) zufolge bisher nicht.
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"Stottern wurde früher als psychische Störung angesehen", erklärte Joutsa. Inzwischen sei die gängige Annahme, dass es sich um eine Störung des Gehirns handelt, die mit der Regulierung der Sprachproduktion zusammenhängt. Auch bestimmte neurologische Erkrankungen wie die Parkinson-Krankheit oder ein Schlaganfall könnten Stottern zur Folge haben.
Studie konnte verantwortlichen Bereich ausmachen
In die Studie bezog das Team Menschen ein, die einen Schlaganfall erlitten und unmittelbar danach zu stottern begannen hatten. Die Schlaganfälle traten demnach zwar in verschiedenen Teilen des Gehirns auf, betrafen aber alle das gleiche Gehirnnetzwerk - im Gegensatz zu Schlaganfällen, die kein Stottern verursachten.
Zusätzlich untersuchten die Forschenden mittels sogenannter Magnetresonanztomographie (MRT) die Gehirne von 20 Menschen, bei denen sich das Stottern in der Kindheit entwickelt hatte. Auch sie zeigten strukturelle Veränderungen in Knotenpunkten dieses Gehirnnetzwerks.
Informationen zur Studie
- Das neuroanatomische Substrat des Stotterns wurde anhand von drei unabhängigen Datensätzen untersucht.
- Fallberichte aus der veröffentlichten Literatur über erworbenes neurogenes Stottern nach Schlaganfall (n = 20, 14 Männer/sechs Frauen, 16-77 Jahre), eine klinische Einzelstudienkohorte mit erworbenem neurogenem Stottern nach Schlaganfall (n = 20, 13 Männer/sieben Frauen, 45-87 Jahre) und Erwachsene mit anhaltendem Entwicklungsstottern (n = 20, 14 Männer/sechs Frauen, 18-43 Jahre).
- Anhand der ersten beiden Datensätze und der Kartierung von Läsionsnetzwerken wurde getestet, ob Läsionen, die erworbenes Stottern verursachen, einem gemeinsamen Hirnnetzwerk zugeordnet sind.
- Anhand des dritten Datensatzes wurde dann untersucht, ob dieses auf Läsionen basierende Netzwerk für das Entwicklungsstottern relevant ist.
Wo Motorik und Emotion geregelt werden
Das Team schließt daraus, dass Stottern stets in diesem Netzwerk entsteht, unabhängig davon, ob es entwicklungsbedingt oder neurologisch verursacht ist. Das Zentrum des Gehirnnetzwerks bildet demnach ein Bereich des Putamens, eines Kerngebiets im Großhirn. Das Putamen sei etwa an internem Timing und der Programmierung motorischer Bewegungen beteiligt, auch im Gesichtsbereich, einschließlich der Lippenbewegungen. Beteiligt seien zudem Regionen der Amygdala und des Claustrums, die ebenfalls tief im Gehirn liegen, sowie Verbindungen zwischen ihnen.
"Diese Erkenntnisse erklären bekannte Merkmale des Stotterns wie die motorischen Schwierigkeiten bei der Sprachproduktion und die signifikante Variabilität des Schweregrads des Stotterns in verschiedenen emotionalen Zuständen", erklärte Joutsa. "Als wichtige Areale im Gehirn regulieren das Putamen die motorischen Funktionen und die Amygdala die Emotionen." Das Claustrum wiederum fungiere als Knotenpunkt für mehrere Gehirnnetzwerke und leite Informationen zwischen ihnen weiter. (Von Annett Stein, dpa / mak)
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