Chinesischen Forschern ist es erstmals gelungen, menschliches Erbmaterial direkt zu verändern. Dabei manipulierten Wissenschaftler von der Universität in Guangzhou unter der Leitung von Juniju Huang ein Gen, das Träger eines Merkmals für eine tödliche Blutkrankheit ist.
Für die Versuche verwendeten die Forscher nicht lebensfähige Embryonen aus einer Klinik für Reproduktionsmedizin, wie das Wissenschaftsmagazin "Nature"-Online mit Berufung auf die Fachzeitschrift "Protein & Cell" berichtet. Um das Merkmal für die Blutkrankheit Beta-Thalassämie auszuschalten, verwendete Juniju Huang eine Methode, die als CRISPR/Cas9 bezeichnet wird. Doch sehen die beteiligten Wissenschaftler in der Methode immer noch eine große Hürde für die medizinische Anwendung.
US-Zell-Biologe George Daley hat große Bedenken
"Ich denke, das ist der erste Bericht, dass CRISPR/Cas9 an menschlichen Embryonen angewendet wurde. Diese Studie ist ein Meilenstein und zugleich ein warnendes Beispiel", kommentiert George Daley, Zell-Biologe an der Harvard Medical School in Boston, das Ereignis gegenüber dem Magazin "Nature"-Online: "Die Studie sollte eine große Warnung an die Praktiker sein, die denken, diese Technologie könnte jetzt benutzt werden, um Krankheitsmerkmale auszuschalten."
Einige Forscher sehen in der chinesischen Arbeit den Durchbruch, um genetische Defekte in Zukunft schon vor der Geburt zu auszuschließen, andere warnen laut "Nature"-Online davor, eine ethische Linie zu überschreiten. Es bestehen Befürchtungen, dass die Manipulationen unkontrolliert vererbt werden.
Bei der CRISPR/Cas9-Methode injizieren Forscher den Enzym-Komplex, der Erbstrukturen an bestimmten Stellen auftrennen kann, um Moleküle herauszuschneiden und sie durch andere, neutrale zu ersetzen, wie "Nature"-Online berichtet.
So lief das Experiment der Universität in Guangzhou ab
Konkret behandelten die Chinesen 86 Embryonen und warteten 48 Stunden ab. 71 Exemplare überlebten den Vorgang, 54 testete das Team von Juniju Huang. Bei 28 menschlichen Zellen hatten sie Erfolg (32,5 Prozent). "Wenn man die Methode im Alltag anwenden will, dann muss das Ergebnis bei fast 100 Prozent liegen", berichtet Huang "Nature"-Online. "Deswegen haben wir die Testreihe beendet. Wir sind davon überzeugt, dass die Methode noch nicht reif ist."
Bei dem Experiment entstand eine große Zahl von fehlgeleiteten Mutationen, bei denen das injizierte Enzym auf andere Teile des Genoms eingewirkt hatte. Dieser Effekt löste große Sicherheitsbedenken bei den beteiligten Fachleuten aus.
Die Rate dieser Veränderungen war weitaus größer als bei Testreihen mit Mäusezellen und adulten menschlichen Zellen. Dabei beschränkten sich die Experten von der Guangzhou Universität nur auf einen Teilbereich der Erbinformation. "Wenn wir die komplette Erbinformation in unseren Test einbezogen hätten, wären noch viel mehr Fehler entstanden", sagte Huang "Nature"-Online.
"Nature" und "Science" lehnen ab
Die renommierte Zeitschriften "Nature" und "Science" hätten wegen großer ethischer Bedenken eine Veröffentlichung der Forschungsergebnisse abgelehnt. Das habe, so Huang, an der niedrigen Erfolgsquote und den vielen fehlgeleiteten Mutationen gelegen.
Für die Testreihe beschreibt Juniju Huang seine Motivation so: Der Forschungsleiter und sein Team hätten nicht nur über mögliche Folgen der Methode für Embryonen nachdenken, sondern sie auch direkt anwenden wollen. "Jetzt war uns die Veröffentlichung unserer Ergebnisse wichtig, damit jeder nachvollziehen kann, was die Methode bewirkt", berichtet der Genetiker "Nature"-Online.
In einem nächsten Schritt will der chinesische Wissenschaftler die Zahl der fehlgeleiten Genveränderungen minimieren. Huang teilt offensichtlich die ethischen Bedenken seiner westlichen Kollegen nicht und treibt seine Forschung weiter voran. (cfl)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.