• Die neue Impfkampagne der Bundesregierung steht wegen ihrer mangelnden Kreativität in der Kritik.
  • Aber was hätte man besser machen können?
  • Und lassen sich Impfgegner überhaupt durch Werbung überzeugen?
Eine Analyse

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Ein nüchternes "Impfen hilft" auf blassen Farben hier, heiße Küsse mit dem Slogan: "Ja, der Impfstoff kann die erwünschte Wirkungen haben" dort: So unterscheiden sich die Impfkampagnen Deutschlands und Frankreichs in ihrer Bildsprache. Quasi deutsche Nüchternheit auf der einen, französischer Esprit auf der anderen Seite.

In den Sozialen Medien wird die deutsche Kampagne auch entsprechend durch den Kakao gezogen. Ein Twitter-Nutzer fühlt sich bei der Farbgebung an einen Sanifair-Coupon für eine Autobahn-Toilette erinnert. Werbelegende Thomas Rempen spricht in einem Gastbeitrag im Magazin "Horizont" von einer "hilflos unattraktiven, hässlichen und absehbar unerfolgreichen Kampagne." Und in der Fachzeitschrift "Werben und Verkaufen" schreibt Kolumnist Mike Kleiß: "Die 60 Millionen Euro Steuergelder hätte man besser dort einsetzen können, wo sie gebraucht werden, in der Pflege etwa."

60 Millionen Euro, das ist der Betrag, den die Bundesregierung für die Entwicklung der Impfkampagne und deren Umsetzung bis März dieses Jahres eingeplant hat.

"Impfen hilft": Ist die Kampagne wirklich so schlecht?

Einer, der die Kampagne nicht ganz so misslungen findet, ist Marko Sarstedt, Marketing-Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Vorstandsmitglied im Deutschen Marketing Verband. Zwar muss der Wissenschaftler ebenfalls zugeben, dass Farbgebung und Slogan "kreativ gesehen ein Offenbarungseid" sind. "Ich möchte aber trotzdem nicht in den kritischen Tenor einsteigen. Ich bin nicht die Zielgruppe, mir muss es ja nicht gefallen. Ich denke aber, dass dahinter eine wohlüberlegte Entscheidung steht."

Die Agentur Scholz & Friends, die von der Bundesregierung auch für die vorherige Impfkampagne "Ärmel hoch" beauftragt wurde, sei eigentlich für ihre Kreativität bekannt, sagt Sarstedt. Er gehe deshalb davon aus, dass Kreativität gar nicht gefragt gewesen sei. Die Kampagne sollte stattdessen möglichst dezent bleiben, um die polarisierte Stimmung im Land nicht noch weiter anzuheizen.

"Die Werbung soll Menschen erreichen, die dem Impfen kritisch gegenüberstehen. Und diese Menschen sollen nicht in die Enge getrieben werden", meint Sarstedt. Mit der jetzigen Variante könne dieser kritische Teil der Bevölkerung nochmal sachte angesprochen und Maßnahmen wie direkte Gespräche vor Ort könnten angeschlossen werden.

Ein weiterer Vorteil: Der Slogan "Impfen hilft" mit dem Zusatz "Auch allen, die du liebst" sei kurz und klar und könne problemlos in mehrere Sprachen übersetzt und in mehreren Kulturkreisen eingesetzt werden. Kampagnen wie das küssende Paar aus Frankreich wirkten zwar einfallsreicher, aber ob sie in einem religiösen oder traditionellen Umfeld hilfreich sind, bezweifelt Sarstedt.

Einen Punkt möchte der Wissenschaftler dann doch kritisieren: den Zeitpunkt der Kampagne im Februar 2022. "Die Impfskeptiker hätte man mit solch einer Kampagne viel früher abholen müssen - am besten vor Beginn der Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens für Ungeimpfte. Was hat sich an der Impfung seitdem geändert? Die Argumente sind seit über einem Jahr dieselben."

Impfgegner überzeugen ist schwierig

Die deutsche Kampagne setzt auf Verantwortungsgefühl und soziales Verhalten nach dem Motto: Schütze dich und schütze andere. Damit könne man zwar erreichen, dass Impfbefürworter weiterhin von der Impfung überzeugt seien, aber alle anderen hole man damit nicht ab, sagt Alexander Ort, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Luzern in der Schweiz.

Die Frage ist: Kann man Impfgegner überhaupt vom Impfen überzeugen? Der Wissenschaftler bezweifelt das - zumindest, wenn man auf Werbekampagnen in Massenmedien setzt. "Diejenigen, die man mit solchen Mitteln erreichen kann, die hat man schon erreicht. Es lohnt sich deshalb wenig, jetzt mit den gleichen Mitteln nochmal nachzulegen", sagt Alexander Ort.

Warum der Werbe-Effekt bei Impfgegnern verpufft, dafür nennt Ort zwei Gründe: Einerseits nutzen diese Menschen seltener klassische Massenmedien oder halten Informationen über die Pandemie und die Impfung über diese Kanäle für weniger glaubhaft. Andererseits könne eine solche Kampagne zu einer Abwehrhaltung führen - die Leute könnten glauben, dass sie manipuliert würden.

"Wir sprechen in der Forschung zu persuasiver Kommunikation von kognitiver Dissonanz und Reaktanz: Werden die Menschen mit Informationen entgegen ihrer Einstellung konfrontiert, dann verstärkt sich die Ablehnung, sie fühlen sich stärker in die Ecke gedrängt."

Mit Überzeugungskommunikation ist also nicht viel zu holen, das sei wie bei abschreckenden oder ekelerregenden Bildern auf Zigarettenpackungen. "Dass solche Bilder Raucher vom Tabakkonsum abbringen, ist unwahrscheinlich. Damit hält man eher Nichtraucher davon ab, mit dem Rauchen anzufangen", erklärt der Kommunikationsexperte.

Beim Impfen wirkten ähnliche Mechanismen. Deshalb glaube er auch nicht, dass Schock-Kampagnen wie in Australien auch hierzulande funktionieren würden - dort werden beatmete Covid-Patienten auf Intensivstationen gezeigt. "Die Chance ist groß, dass ein Großteil der Ungeimpften solche Informationen ausblendet, wie es Raucher bei Ekel-Bildern auf Zigarettenschachteln auch tun."

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Was kann überhaupt noch helfen?

Eine bessere Möglichkeit, die Leute zu erreichen, sei die direkte Kommunikation, findet Alexander Ort. Er denke dabei an Ärzte, die ihre Patienten bei Kontrolluntersuchungen nochmal auf die Schutzwirkung der Impfung hinweisen könnten. "Der Schlüssel ist hier Vertrauen. Und Ärzte genießen hohes Vertrauen als Ratgeber und Hilfesteller in medizinischen Fragen."

Ärzte sind nur ein Beispiel, eine andere Möglichkeit könnten Lehrer oder die Personalabteilungen in Unternehmen sein. Wichtig sei, solchen Multiplikatoren entsprechendes Informationsmaterial zukommen lassen, wie sie Gespräche mit Impfskeptikern gestalten und Konflikte umgehen könnten.

Auch Geimpfte könnten in ihrer Kommunikationskompetenz gestärkt werden. Darauf deutet die Cosmo-Studie zur Corona-Pandemie hin, die regelmäßig von der Universität Erfurt durchgeführt wird. Der aktuelle Befund: Persönliche Gespräche über das Impfen werden immer mehr vermieden - und interessanterweise vor allem von Geimpften. "Es gibt hier viel Konfliktpotenzial. Wenn Geimpfte mehrmals auf Ablehnung und Aggression stoßen, vermeiden sie künftig solche Situationen", sagt Alexander Ort.

Welche Kampagnen fürs Impfen wirken?

Auch Marketing-Professor Sarstedt findet, dass jetzt direkte Kommunikation stärker in den Fokus gerückt werden müsse. Er spricht in diesem Zusammenhang von Micro-Influencern - speziell ausgebildete Leute, die auf die Impfkritiker zugehen und deren Ressentiments professionell begegnen könnten.

Ähnlich hat es das Bundesland Bremen bei seiner Kampagne von Anfang an praktiziert. Neben Werbebotschaften in insgesamt sieben Sprachen auf unterschiedlichen Kanälen waren in der Hansestadt Kontaktpersonen vor Ort im Einsatz. "Wir haben früh auf Gesundheitsfachkräfte in den Quartieren gesetzt, die die Bremerinnen und Bremer mehrsprachig in den einzelnen Stadtteilen aufgeklärt und informiert haben", sagt Daniela Schlee, Pressereferentin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz der Hansestadt Bremen.

Aber auch die Bundesregierung hat in der Corona-Pandemie mit guter Kommunikation vorgelegt. So gab es die Kampagne "Was sag ich jetzt", in der Argumente der Impfgegner aufgegriffen wurden. "Dabei ging es darum, gute Argumente für ein Gespräch mit Impfgegnern zu liefern", sagt Marko Sarstedt.

Selbst die Kampagne "Ärmel hoch" sei zu ihrer Zeit im Sommer des vergangenen Jahres erfolgreich gewesen, sagt der Marketing-Professor. "Damals ging es darum, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und möglichst viele Menschen zu motivieren."

Vielfältigere Kampagnen für mehrere Zielgruppen

Das Gemeinschaftsgefühl ist in Deutschland mittlerweile abhandengekommen. Jetzt sei es an der Zeit, die Impfkampagne zu diversifizieren, mehrere Zielgruppen passend anzusprechen. "Je weiter wir voranschreiten, desto feingliedriger müssen die Gruppen mit ihren Ängsten und Ablehnungen ernst genommen und angesprochen werden", sagt Sarstedt.

Dem pflichtet Alexander Ort bei. "Die Menschen haben unterschiedliche Informationsbedürfnisse. Manche wollen eine einfache Sprache, andere brauchen viele Argumente. Der eine will kreativ und emotional angesprochen werden, der andere nicht."

Er beobachte dieses Vorgehen in der Schweiz. Die dortige Impfkampagne habe mit Twitter und Facebook begonnen, mittlerweile würden zusätzlich Instagram, TikTok, Snapchat und andere Kanäle genutzt. "Die Kommunikation wird der Zielgruppe angepasst, die Impfkampagne arbeitet dafür mit Influencern und Testimonials zusammen."

Wovor der Kommunikationswissenschaftler warnt, sind Fotos vom Akt des Impfens mit einer Nadel im Oberarm. "Dieses Bild vom Injizieren einer Flüssigkeit in den Körper löst bei vielen Ekel und Angst aus. Das kann zu Vermeidungsreaktionen führen", sagt Alexander Ort und rät, bei Kampagnen oder der Bebilderung von Nachrichten auf andere Fotos zu setzen, beispielsweise von Impfzentren, Pflastern am Arm oder Arztgesprächen.

Verwendete Quellen:

  • Cosmo-Studie der Universität Erfurt zur Erfassung des Verhaltens der Menschen während der Corona-Pandemie
  • Impf-Kampagne der Bundesregierung: "Was sag ich jetzt"
  • Markus Sarstedt, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Marketing an der LMU-München
  • Alexander Ort, Kommunikationswissenschaftler mit den Schwerpunkten Gesundheitsförderung und Gesundheitskommunikation an der Universität Luzern
  • Pressestelle der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz der Hansestadt Bremen
  • Werben und Verkaufen: Kolumnist Mike Kleiß: "Die Impfkampagne ist eine kommunikative Kapitulation"
  • Horizont.net: Thomas Rempen: "Eine staatsbürgerliche Chance versammelt"
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