Im besten Fall rettet sie Leben, im schlimmsten Fall sterben Millionen Tiere: Was die gezielte Aufmerksamkeit für prominente Tiere wie Eisbär Knut oder Walross Freya bewirken kann.

Diese Kolumne stellt die Sicht von Lisbeth Schröder (RiffReporter) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Im Sommer vor zehn Jahren fiel mir die Doppelmoral zum ersten Mal auf. Ich schrieb als junge Biologin im Zoo meine Bachelorarbeit, was viel daraus bestand, mit den Tierpflegern in der Pause Kniffel zu spielen. Abgesehen davon untersuchte ich das Verhalten von Enten.

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Am Ende meiner Schichten spazierte ich durch den Berliner Zoo. Ich sah, wie die Gorillas durch die Gehege vorbei an Pflanzen und Felsen stapften oder Orang-Utans an Blättern knabberten. Ein Orang-Utan lebte hier auf einer Fläche, die in etwa der Größe eines Wohnzimmers entsprach. Eine Ente hingegen hatte kaum einen Meter Platz und wurde mit Pelikanen zusammengepfercht, die aus Spaß oder Jagdtrieb nach ihr schnappten.

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Nach meiner Bachelorarbeit in Biologie berichtete ich als Journalistin viel über Tiere. Dabei wurde mir klar, dass man bestimmte Haltungsbedingungen in Zoos grundsätzlich hinterfragen muss. Aber auch, dass Tiere wie Affen, Orcas, Pandas oder eine Giraffe aus dem 19. Jahrhundert im Gegensatz zu Enten vor allem eines gemeinsam haben: ausgezeichnetes Marketing-Potenzial.

Orcas: Vom Killerwal zum Freund

Nehmen wir mal Orcas. Für eine Recherche habe ich über die Tiere mit Jason Colby von der University of Victoria gesprochen. Er hat sich vermutlich als einziger Historiker auf der Welt die Geschichte der Schwertwale angeschaut.

Zunächst wurden die Tiere laut Colby als Killer gesehen: Während einer Arktisexpedition Anfang des 20. Jahrhunderts etwa tauchten die Schwertwale neben dem Schiff auf und streckten immer wieder ihre Köpfe aus dem Wasser. Vermutlich aus Neugier. Die Menschen an Bord dachten aber, die Tiere wollten sie attackieren und ihre Hunde fressen. Dieses gefährliche Image hält sich laut Colby zum Teil bis heute. Zugleich entwickelte sich ein neues, positiveres Bild.

Woran lag das? Zum einen fanden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heraus, dass die Säugetiere mit ihren Familienbanden uns Menschen weitaus ähnlicher sind, als man ihnen vorher zugestehen wollte. Zum anderen verbesserte sich das Image der Orcas durch Aquarien und Freizeitparks, die die Tiere in den 1960er-Jahren ins Programm aufnahmen. Sie vermarkteten den einstigen Killerwal als Freund des Menschen.

Orcas wurden auf Tassen gedruckt, als Plüschtiere verkauft oder von Dompteuren geküsst. Welche Folgen das hatte, ist schwer nachzuvollziehen. Aber ab 1986 wurde der kommerzielle Walfang offiziell verboten, woran sich viele Länder bis heute halten. Zwischen 1830 und den 1950er-Jahren schrumpfte etwa die Buckelwal-Population von 27.000 auf 450. Heute liegt sie wieder bei 93 Prozent des ursprünglichen Bestands.

Chinas flauschige Botschafter

Mit den großen Pandas ist eine ähnliche Geschichte verbunden. Das zeigt die Dokumentation "Die Panda-Diplomatie", die kürzlich auf Arte ausgestrahlt wurde und noch in der Mediathek verfügbar ist. Hier heißt es, dass früher Drachen, Phönixe oder Koi-Karpfen als traditionelle Symbole in China relevant waren. Pandas hingegen wurden teilweise sogar als metallfressende Monster beschrieben. Doch mit dem Übergang zum Kommunismus Mitte des 20. Jahrhunderts wollte China mit seinem alten Image und Symbolen brechen.

Es brauchte ein neues Tier, das für die kommunistische Zukunft stand, erzählt die Historikerin Maura Elizabeth Cunningham in der Doku. Pandas schienen perfekt dafür geeignet. Statuen wurden errichtet, Pandas in Massen auf Tassen abgebildet oder zu Maskottchen im Sport ernannt. Um diplomatische Beziehungen zu stärken, wurden sie vermehrt in Zoos auf der ganzen Welt verschickt.

Anfang der 1960er-Jahre verbot China die Jagd auf die Tiere und die ersten Panda-Reservate wurden errichtet. 1992 wurde ein Plan beschlossen, 60 Prozent der Lebensräume unter Schutz zu stellen.

Die Liste der Tiere, die durch entsprechendes Marketing zu Stars wurden, ließe sich unendlich weiterführen: Da gibt es etwa die Giraffe Zarafa, die im 19. Jahrhundert von Marseille aus 880 Kilometer nach Paris überführt wurde und einen regelrechten Boom an gemusterter Mode bei der französischen Bourgeoisie auslöste.

Oder erinnern Sie sich noch an den Eisbären Knut, der ein paar Jahre vor meinen Enten-Untersuchungen im Berliner Zoo lebte?

Da gäbe es sonst noch Sam, den Koala, Sudan, das Rhinozeros oder Lua, die Seekuh. Diese "Flaggschiff-Individuen", so heißt es in einer Studie des Fachmagazins "Frontiers in Ecology and the Environment", haben ein "enormes Potenzial, öffentliche Unterstützung für den Schutz der Biodiversität zu mobilisieren und das Bewusstsein dafür zu schärfen".

Star-Tiere mit Folgen

Der Historiker Jason Colby hat mir erklärt, dass es häufig zu einer Ikonisierung von Tieren komme, wenn die Arten gefährdet seien oder in Gefangenschaft besondere Rollen zugewiesen bekommen. Sie werden auch häufig zu Symbolen.

Eine schleichende, unsichtbare Bedrohung wie den Klimawandel könne man sich nur schlecht vorstellen, erklärt Colby: "Das ist anders, wenn wir einen mageren Eisbären auf einer Eisscholle sehen." Auch Knut wurde vom damaligen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel als Hoffnungsträger gegen die Klimakrise dargestellt. Vielleicht brauchen wir ein paar Stars in der Tierwelt also wirklich.

Auf der anderen Seite gibt es auch schädliches Marketing. Zum Beispiel, als das Walross Freya 2022 mediale Aufmerksamkeit erregte, als es auf Boote bei Oslo kletterte. Schaulustige näherten sich mit ihren Kindern und sprangen zu dem wilden Tier ins Wasser. Kurz darauf wurde Freya aus Sicherheitsgründen eingeschläfert.

Haie halten das natürliche Gleichgewicht im Meer aufrecht. Manche Arten fressen bestimmte Fische, wodurch sich Seegraswiesen erholen und Kohlenstoff speichern können. Gut im Kampf gegen den Klimawandel. Doch der Film "Der weiße Hai" von 1975 porträtierte die Tiere als eine Gefahr. Experten beschreiben die Veröffentlichung des Films als Wendepunkt im Umweltschutz.

Laut einer Studie im Fachmagazin "Nature" von 2021 ist seit 1970 die weltweite Population ozeanischer Haie und Rochen um 71 Prozent zurückgegangen. Auch hier kann man nicht sagen, dass der Film auf jeden Fall zum Tod zahlreicher Tiere führte. Vielleicht hat er aber die Lage verschärft. Regisseur Steven Spielberg sagt heute, dass er bereut, welche Konsequenzen der Film gehabt hat.

Manche Tiere haben auch gar keine Lobby: Der Chytridpilz hat laut Forschenden zu einem Rückgang bei 500 Amphibienarten geführt. Es ist ein Massensterben, bei dem seit Jahrzehnten nur wenig in Bewegung gekommen ist. Der Rückgang der Amphibien steht für eine globale Krise, dem Artensterben der meist unpopulären Tiere, das im aktuellen Wahlkampf ähnlich wie der Klimawandel kaum Beachtung findet.

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