Auf Dächern und Türmen klappern Weißstörche den Frühling herbei. Kaum ein Vogel hat die Menschen über die Jahrhunderte so fasziniert. Dabei sah es um die Störche hierzulande auch schon deutlich schlechter aus.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Fabian Busch dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Meine Schwester hat nicht nur das Glück, am Sempachersee in der Schweiz zu wohnen. Sie kann dort, von einem Hang aus, auch das Leben der Störche beobachten. Jedes Jahr bezieht ein Paar sein Nest auf einem abgebrochenen Baum und lässt die Sempacher an seinem Alltag teilhaben. Das Klappern der roten Schnäbel im Frühling, die Segelflüge bei schönem Wetter, die noch leicht zerzausten Jungvögel im Mai: Die Weißstörche sind ihre Begleiter durch das Jahr.

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Dabei sah es um den Weißstorch schon einmal viel schlechter aus. In den 50er-Jahren hatten die Menschen in Mitteleuropa ihm stark zugesetzt, weil sie Flüsse begradigten, Wiesen trockenlegten, die Landwirtschaft mit Gift und Monokulturen intensivierten. Aus der Schweiz war der Weißstorch in dieser Zeit als Brutvogel sogar ganz verschwunden; in Deutschland brachen seine Bestände ebenfalls ein.

Mensch und Storch – eine enge Beziehung

Viele Jahrhunderte früher hatte der Mensch selbst den Weißstorch aus dem Osten nach Mitteleuropa gelockt. Als immer mehr Felder für Weidevieh und Getreideanbau entstanden, fand der große langbeinige Vogel dort viel Raum für seine Jagd auf Mäuse, Maulwürfe und Frösche. Und statt auf Felsen oder abgebrochenen Bäumen baute er seine großen Nester auf Kirchtürmen und Häuserdächern. Der Weißstorch wurde zum Kulturfolger - das heißt, ohne den Menschen war seine Präsenz in Mitteleuropa kaum denkbar.

Ein Lebensraum nach dem Geschmack des Weißstorchs: mit Wasser, großen feuchten Wiesen und Nistmöglichkeit (Schönebeck in Sachsen-Anhalt). © dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Seine bedächtige Art, sein erhabener Gang, seine Nähe bei gleichzeitig sicherem Abstand haben Menschen über die Jahrhunderte fasziniert. Sein volkstümlicher Name Adebar ist dem Naturschutzbund (Nabu) zufolge auf seine Rolle als Glücksbringer zurückzuführen. Der Nabu machte den Weißstorch auch zu seinem Wappentier.

Die Menschen überschütteten ihn geradezu mit Bedeutung und Symbolik. Weil die alten Ägypter (fälschlicherweise) glaubten, dass der Storchennachwuchs sich um die im Alter schwächer werdenden Eltern kümmert, wurde der Storch zum Symbol der Fürsorge von Kindern für ihre Eltern. Weil er sich unter anderem von Schlangen ernährt, wurde er in der christlichen Kirche zum Verbündeten von Adam und Eva und Gegenspieler des Teufels. Und bekannt ist der "Klapperstorch" natürlich nicht nur als Frühlings-, sondern auch als Kinderbote.

Der Mediziner Alfons Rolf Bense hat die Kulturgeschichte des Storches im Titel eines Buches auf den Punkt gebracht: Der Storch wurde vom Vogel zum Kult.

Wie der Pfeilstorch das Rätsel des Vogelzugs löste

Als die Menschen den Weißstörchen noch nicht hinterherreisen konnten, wunderten sie sich, wohin diese im Winter eigentlich verschwanden. Noch im 17. Jahrhundert glaubten Gelehrte, die Störche würden sich in der kalten Jahreszeit in Mäuse verwandeln, während sich Schwalben in der Erde vergraben.

Ausgestopfter "Pfeilstorch" der Uni Rostock. © dpa/Jens Büttner

Der Wahrheit kam man dann im 19. Jahrhundert durch eine etwas martialische Entdeckung auf die Spur. Mehrmals tauchten in Europa Weißstörche auf, deren Körper von einem Pfeil durchbohrt war. Die Tiere hatten eine Attacke überlebt und waren samt Pfeil sogar bis nach Europa geflogen. Ein solches ausgestopftes Exemplar ist heute in der Zoologischen Sammlung der Uni Rostock zu bestaunen.

Die Vögel mussten im Winter also dort gewesen sein, wo Menschen zu dieser Zeit mit Pfeilen jagten. Heute weiß man: Weißstörche verbringen den Winter in Afrika. Ich habe bei einer Safari in Tansania selbst mal welche gesehen. Sie stolzierten zwischen Elefanten und Antilopen umher, ein interessanter Gruß aus der Heimat.

Der dunkle Verwandte

Der Weißstorch hat übrigens einen Verwandten in Deutschland: Der Schwarzstorch ist etwas kleiner und hat dem Namen entsprechend dunkles Gefieder. Vor allem aber lebt er zurückgezogen: Er brütet in großen, naturnahen Wäldern, aus deren Schutz er sich nur selten heraustraut.

Die Familie meiner Lebensgefährtin hat manchmal Glück. Sie wohnt zwischen Hügeln und Wäldern in der ehemaligen Grafschaft Wittgenstein im Süden Westfalens. Da sucht ein Schwarzstorch manchmal auf der Wiese hinter dem Haus nach Fressbarem. Wenn ich zu Besuch bin, lässt er sich nicht blicken – was ich ihm ein bisschen übelnehme.

Im Gegensatz zu seinem weißen Verwandten ist der Schwarzstorch ein scheuer Waldvogel. © picture alliance/ imageBROKER/David & Micha Sheldon

Ein Symbol für erfolgreichen Naturschutz

Während der Schwarzstorch eine Rarität geblieben ist, ist der große Weiße inzwischen in vielen Regionen wieder heimisch. Denn seit 1990 steigt die Zahl der Brutpaare in Deutschland wieder an. Weil zumindest an manchen Stellen Wiesen wieder vernässt und der Gifteinsatz zurückgefahren wurde. Und weil sich Menschen einfach freuen, wenn Störche ihr Nest beziehen und über Dörfern und Feldern segeln.

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Rund 7.000 Brutpaare klappern inzwischen in Deutschland den Frühling herbei. In der Schweiz sind es mehr als 1.000. Auf niedrigerem Niveau zeigt auch die Bestandskurve des Schwarzstorchs nach oben. Die Störche sind damit auch zum Symbol für die Erfolge des Naturschutzes geworden.

Ein Selbstläufer ist ein Storchenleben trotzdem nicht. Auf dem langen Zug Richtung Subsahara-Afrika werden Hochspannungsleitungen zu Todesfallen. Und der Klimawandel sorgt zunehmend für Dürren in den Überwinterungsgebieten.

Vielleicht ist es da ganz sinnvoll, wenn Störche den Winterurlaub ganz ausfallen lassen. Eine Minderheit von ihnen bleibt inzwischen in Mitteleuropa. Ich habe jedenfalls schon im Januar einige von ihnen über die überschwemmten Neckarwiesen in Mannheim stolzieren sehen. Auch auf der Wiese hinter dem Haus meiner Schwester in der Schweiz staksen sie im Winter auf der Suche nach Fressbarem herum.

Warum einzelne von ihnen hierbleiben, während andere nach Süden ziehen, weiß bislang niemand so genau. Der Weißstorch bleibt auch nach Jahrhunderten in unserer Nähe in mancherlei Hinsicht ein Rätsel.

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