Berlin/München - Katzen, die wegen ihrer Kopfform besonders niedlich oder lustig aussehen, sind Stars in sozialen Medien. Videos mit solchen Tieren werden millionenfach geklickt. Auch Prominente zeigen sich dort gerne mit außergewöhnlichen Katzen. Die Schattenseiten sind nur wenigen Menschen bewusst.

Mehr zum Thema Tiere

Runder Kopf, Kulleraugen, nach vorn geknickte Ohren: Taylor Swifts Schottische Faltohrkatze - englisch Scottish Fold - ist selbst schon eine Berühmtheit. Claudia Schiffer brachte ihre sogar mit zur Premiere eines Films, in dem das Tier mitspielte. Beispiele, die Tierschützer kritisch sehen. Denn Katzen der Rasse - die geknickten Ohren sind für sie typisch - gelten als Qualzuchten.

Was sind Qualzuchten?

Von Qualzucht sprechen Fachleute, wenn Tieren bestimmte Merkmale wie Kulleraugen, eine flache Schnauze oder besondere Fellfarben angezüchtet werden, diese dadurch aber fortwährend unter gesundheitlichen Problemen leiden. Etwa, weil sie schlechter atmen können oder weil die zugrunde liegende Genkombination für Schäden an anderer Stelle im Körper sorgt.

Der Berliner Tierpathologe und Autor Achim Gruber spricht von Defektzucht: Für ein extravagantes oder niedliches Aussehen werde gezielt mit genetischen Defekten gezüchtet, obwohl man in vielen Fällen schon seit Jahrzehnten wisse, welche gesundheitlichen Folgen das für die Tiere habe. "Der Mehrwert für den Menschen ist den Leuten aber wichtiger als das Leid der Tiere. Das ist natürlich ein schweres ethisches Problem."

Viele dieser "geschundenen Gefährten" - wie sie im Titel von Grubers Buch bezeichnet werden - landen nach dem Tod bei ihm am Institut für Tierpathologie der FU Berlin auf dem Obduktionstisch. Mit seinem Buch möchte er über die Folgen bestimmter Zuchten und Lösungsmöglichkeiten informieren.

Unter welchen Problemen können solche Katzen leiden?

Die Tierärztin Tanja Pollmüller bekommt in ihrer Praxis im nordrhein-westfälischen Ahlen regelmäßig Modekatzen als Patienten vorgestellt. Zum Beispiel der Rasse Scottish Fold, bei denen eine genetische Veränderung zu den typischen kleinen, nach vorne geknickten Ohren führt - aber auch zu schweren Gelenkentzündungen.

Qualzuchten bei Katzen
Von Qualzucht sprechen Fachleute, wenn angezüchtete Merkmale gesundheitliche Schäden verursachen. © dpa / Christophe Gateau/dpa

"Die haben häufig an den Hinterbeinen starke Verknöcherungen und Schmerzen, so dass sie teilweise schon in ganz jungem Alter nicht mehr vernünftig laufen können", erläutert Pollmüller. Helfen könne sie den Tieren meist nur noch mit einer Schmerztherapie, eine Heilung sei nicht möglich.

Noch häufiger habe sie es mit Perserkatzen zu tun, die viel zu kurze Schnauzen hätten und dadurch schlecht Luft bekämen. Auch eine Nacktkatze hatte sie schon in Behandlung, die an schweren Hautausschlägen und einer Augenentzündung litt. Am Ende habe das Tier ein Auge verloren.

Wieso sind solche Katzen dennoch so beliebt?

Dass manche Katzenrassen gesundheitliche Probleme haben, sei vielen Menschen überhaupt nicht bewusst, stellt Pollmüller immer wieder fest. "Die wenigsten Tierbesitzer beschäftigen sich genügend mit der Anschaffung des Tieres. Von Defektzucht haben die meisten noch nie gehört."

Manche verdrängten die Gesundheitsprobleme ihrer Katze auch, sagt Pollmülller. "Die meisten Menschen denken immer, solange ein Tier noch durch den Raum läuft und frisst und trinkt, geht es ihm gut. Das Tierleid oder die mangelnde Lebensqualität ist ihnen leider überhaupt nicht bewusst." Als "Doc Polly" klärt sie Tierbesitzer in den sozialen Medien über Bedürfnisse von Haustieren auf.

Elke Rauch von der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München sieht auch ein großes Problem darin, dass bestimmte Katzen- und Hunderassen in Medien so präsent sind, zum Beispiel als Werbefigur oder weil Stars sich mit ihnen schmücken. "Das vermittelt einfach so eine Normalität. Da hinterfragt keiner mehr, ob das Tier vielleicht Probleme hat."

Qualzuchten bei Katzen
Katzen der Rasse Scottish Fold - die geknickten Ohren sind für sie typisch - gelten als Qualzuchten. © dpa / Christophe Gateau/dpa

Achim Gruber sieht darüber hinaus noch einen psychologischen Effekt. Kleine Tiere wie Möpse, Französische Bulldoggen, Faltohrkatzen oder Perser seien oft ein Babyersatz. "Jeder findet das niedlich und bei jedem springen sofort diese Beschützerinstinkte an."

Zum Teil werde die Abhängigkeit und Pflegebedürftigkeit der Tiere selbst zum Ziel, so Gruber. "Es erhöht den Selbstwert des Menschen und auch seine gesellschaftliche Anerkennung, wenn er ein krankes Tier pflegt." Er beobachte, dass sich viele Leute immer wieder Defektzucht-Katzen kauften - wider besseres Wissen also.

Warum kann man diese Rassen überhaupt kaufen?

Eigentlich verbietet der Paragraf 11b des Tierschutzgesetzes Qualzuchten in Deutschland. Doch das Gesetz sei zu schwammig formuliert, kritisiert der Deutsche Tierschutzbund. "Der Begriff Qualzucht bezieht sich nicht auf eine ganze Rasse, sondern auf Merkmale, die gehäuft bei bestimmten Rassen auftreten", erläutert Sprecherin Nadia Wattad.

Diese Merkmale seien bei jedem Tier unterschiedlich ausgeprägt, ergänzt die Expertin. Deshalb müssten die Veterinärbehörden jeden Einzelfall prüfen. Auch die Gerichte könnten nur im Einzelfall entscheiden, das heißt nur einem bestimmten Züchter die Zucht verbieten. Andere halte das nicht ab.

Die geplante Reform des Tierschutzgesetzes sei ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, sagt Rauch. Der Paragraf 11b wäre dadurch präzisiert und um konkrete Merkmale für Qualzucht wie Atemnot, Lahmheit oder Haarlosigkeit ergänzt worden. Doch dazu sei es durch den Bruch der Ampel-Koalition nicht mehr gekommen. "Wie es jetzt weitergeht, ist ungewiss."

Was können künftige Katzenbesitzer tun?

Sich gut informieren, betonen die Fachleute, und auf Defektzucht-Exemplare zu verzichten. Generell sei es problematisch, Tiere zu kaufen, bei denen bei der Zucht größerer Fokus auf gewünschte optische Merkmale als auf die Gesundheit gelegt werde, sagt Rauch. Abzuraten sei zudem vom Kauf über die einschlägigen Verkaufsplattformen im Internet, ohne nähere Informationen zur Zucht und zu den Elterntieren.

Qualzuchten bei Katzen
Perserkatzen bekommen durch ihre viel zu kurzen Schnauzen schlecht Luft. © dpa / Christophe Gateau/dpa

Der Deutsche Tierschutzbund empfiehlt, Katzen mit Qualzucht-Merkmalen höchstens aus einem Tierheim zu adoptieren. Ins Berliner Tierheim ziehen regelmäßig Modekatzen wie Scottish Fold oder Nacktkatze ein, wie Sprecherin Christine Streichan sagt. Zum Teil stammten die Tiere von Anbietern, die illegal mit den Katzen handelten. Veterinärämter ließen dann oft die Elterntiere kastrieren, um eine weitere Zucht zu verhindern. Die Besitzer wollten die Tiere danach meist nicht mehr zurück.

Das Interesse an solchen Katzen sei bei Besuchern anfangs oft groß, sagt Streichan. "Wir achten aber darauf, dass sie zu Leuten kommen, die wissen, worauf sie sich einlassen." Zum Beispiel auf möglicherweise viele Besuche beim Tierarzt und entsprechend hohe Kosten.  © Deutsche Presse-Agentur