Die Amsel gehört zu unseren Städten und Wäldern: Vielen Menschen fällt sie gar nicht mehr auf. Dabei ist sie eine biologische Erfolgsgeschichte. Und sie überbringt in melancholischen Tönen eine frohe Botschaft.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Fabian Busch dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Alles hat ein Ende. Jede Nacht und jeder Winter. Das ist eine Selbstverständlichkeit, aber ich finde den Gedanken immer wieder tröstend. Gerade jetzt, Anfang März. Die Bäume sind noch kahl, die Luft noch kalt. Aber irgendwie liegt eine Vorahnung in der Luft – und sie lässt sich sogar hören. Ein melancholisches, tiefes Flöten mit einer frohen Botschaft: Der Vorfrühling ist da.

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Egal, ob Sie auf dem Land, im Dorf oder in der Stadt wohnen: Sie hören es. Schon zur blauen Stunde, kurz vor Sonnenaufgang. Das Amsel-Männchen sitzt auf Baumwipfeln, Antennen oder auf dem Dachfirst. Sein Lied kündigt nicht nur den Frühling an, sondern auch jeden neuen Tag. Die Amsel ist ihrer Zeit immer ein paar Flügelschläge voraus.

Als die Amsel den Wald verließ

Sie gehört bestimmt zu den kunstvollsten Sängern unserer Vogelwelt – auch wenn sie vielen Menschen gar nicht mehr auffällt. Der Amsel-Gesang ist uns heute so vertraut wie das Brummen von Autos oder Rasenmähern. Aber das war nicht immer so. Denn die schwarze Drossel mit dem gelben Schnabel schrieb auch eine biologische Erfolgsgeschichte in unserem vom Menschen geformten Zeitalter.

Wie singt die Amsel?

Vor 200 Jahren war die Amsel noch nicht in Städten zu finden. Sie war ein scheuer Waldvogel. Vor rund 150 Jahren begann sie, die menschlichen Siedlungen für sich zu entdecken. Mit ihrem künstlichen Licht locken Städte nicht nur Insekten an. Sie bieten im Winter auch ein paar Grad höhere Temperaturen, im Sommer auch bei Hitze genügend Wasser. Und in Parks, Gärten und auf Brachflächen hoffentlich genug Rasen, Gebüsch und Bäume für die Nahrungssuche und zum Nisten.

Wo es Grünflächen, Gebüsch und Bäume gibt, findet die Amsel auch in Städten genug Nahrung. © picture alliance/imageBROKER/Erhard Nerger

Die Amsel ist uns Menschen gefolgt. Dem Naturschutzbund zufolge unterscheiden Biologen heute zwischen Stadtamseln und Waldamseln – vielleicht wird es sich eines Tages um unterschiedliche Arten handeln. Die Amseln in der Stadt müssen stressresistenter sein, sie sind charakterlich gelassener. Sie fangen früher im Jahr an zu brüten, sie singen lauter, um sich vom Verkehrslärm abzuheben. Und sie sind manchmal auch optisch etwas auffälliger.

Unter Amseln finden sich immer wieder Tiere mit weißen Flecken – eine Laune der Natur. In der Stadt haben sie bessere Überlebenschancen und sind deshalb etwas häufiger. Denn im dunklen Wald fallen weißgefleckte Amseln wegen ihres auffälligen Gefieders schneller Fressfeinden zum Opfer.

Sie hört sogar die Regenwürmer kriechen

Amseln bauen ihre Nester inzwischen sogar auf Balkone oder in Hausnischen – und sie kommen im Winter ans Futterhaus. Die Mutter einer Schulfreundin hat die Gartenbewohner mal besonders erfolgreich angelockt, indem sie Rosinen auf der Treppe zur Gartentür verteilte. Aber das sollten Sie bitte nicht nachmachen: Gesund ist das nämlich nicht. Die Vögel wurden irgendwann so rund, dass sie nur noch mit Mühe die Stufen hochhüpfen konnten.

Es ist viel schöner, Amseln bei der natürlichen Nahrungssuche zu beobachten: Dann hüpfen sie – immer mit beiden Beinen gleichzeitig – über den Rasen, verharren plötzlich und legen den Kopf schief. Das bedeutet: Sie hören ganz genau hin, ob unter der Erde ein Regenwurm kriecht – und wenn ja, stoßen sie schnell mit dem Schnabel zu.

Manchmal brütet ein Amsel-Weibchen schon die nächsten Eier aus, wenn sich das "alte" Männchen noch um den vorigen Nachwuchs kümmert. © picture alliance/blickwinkel/R. Lammers

Wie sehr wir uns an die Amsel gewöhnt haben, fällt erst auf, wenn sie plötzlich nicht mehr da ist. So anpassungsfähig sie auch ist – vor Krankheiten ist leider auch sie nicht sicher. Seit einigen Jahren macht das Usutu-Virus der Art zu schaffen. Es stammt aus Afrika, wird von Stechmücken übertragen, befällt vor allem Amseln, lässt sie apathisch wirken und führt oft in wenigen Tagen zum Tod. 2012 habe ich in Mannheim gewohnt – die Region war damals besonders von dem Virus betroffen. Es wurde ein stummer Frühling, viele schwarze Sänger waren verschwunden. Und es war umso schöner, als die Population sich davon erholt hatte.

Bis zu vier Bruten im Jahr

Sie merken vielleicht: Es ging bisher nur um schwarze Sänger – aber das ist bei Amseln nur die halbe Geschichte. Das Weibchen fällt nämlich durch sein braunes Gefieder auf. Beziehungsweise: Es fällt viel weniger auf, auch weil es das Singen den Männchen überlässt.

Allerdings tragen die unscheinbaren Weibchen erheblich zum Erfolg der Turdus merula (so der lateinische Name) bei. Sie sind sehr erfolgreich in der Fortpflanzung. Die Amsel-Weibchen nehmen es mit der Treue nicht immer genau. Es kann vorkommen, dass sie die Aufzucht des Nachwuchses dem Männchen überlassen, sich währenddessen schon einen neuen Partner suchen und die nächsten Eier legen. Bis zu vier Bruten schafft ein Amsel-Weibchen im Jahr, während andere Arten sich nur eine zumuten.

Dafür bleibt der Auftritt am Abend wieder Sache der Männchen. Wieder zur blauen Stunde, wenn die Sonne gerade untergegangen ist, schallt für einige Zeit noch ihr Gesang durch die Straßen und Wälder, bevor es endgültig dunkel wird und kalt. Aber wir wissen: Der nächste Tag wird kommen – und die Amsel wird wieder früh wach sein, um ihn zu begrüßen.

Verwendete Quellen