Warum löst die eigentlich harmlose Frage "Wann hast du Zeit" bei vielen Menschen schon Stress aus? Was hat es mit der sogenannten Rushhour des Lebens in den 30ern auf sich? Und warum haben wir selbst im Urlaub Stress? Eine Expertin für Stressmanagement klärt auf.
Die Autorin Sue Fengler beschäftigt sich viel mit Zeit und Zeitdruck und dem daraus resultierenden Stress - und sie hat auch eine Erklärung parat: "Beschäftigt und erfolgreich zu sein gleichzusetzen, steht sinnbildlich für unsere Gesellschaft." Im Interview erklärt sie, woher diese Glaubenssätze kommen und wie es besser geht. Einer ihrer Tipps: Mal wieder zum guten, alten Telefon greifen!
Frau Fengler, was löst die Frage "Wann hast du Zeit?" in der Regel bei Menschen aus?
Sue Fengler: Stress, Zeitdruck und meistens auch ein wildes Blättern im Terminkalender (lacht). Dabei ist die Frage "Wann hast du Zeit?" per se ja etwas Schönes, etwa wenn sie von einer Freundin gestellt wird, die Zeit mit mir verbringen möchte. Oft bringt diese Frage aber ein Ringen mit Zeit und die Suche nach freien Terminen mit sich. Dieses Phänomen kennen vor allem Menschen in ihren Dreißigern.
Wie kommt es, dass Zeit und vor allem Zeitdruck eine so immense Rolle im Leben vieler Menschen einnehmen?
Mit Blick auf die Dreißiger sprechen wir von der sogenannten Rushhour des Lebens, in der wir viele Entscheidungen innerhalb eines verhältnismäßig kleinen Zeitfensters treffen müssen. Indem sich beispielsweise die Ausbildungszeiten immer mehr nach hinten verlagert haben, steigen wir im Durchschnitt später in den Job ein, als es früher der Fall war. Insofern kommen wichtige Entscheidungen in den Dreißigern geballt und in einer Gleichzeitigkeit in unser Leben. In der Folge verspüren wir mehr Zeitdruck während dieser Altersphase.
Sie erwähnen in diesem Zusammenhang auch das "Wer beschäftigt ist, ist erfolgreich"-Mindset. Welche Rolle spielt das?
Beschäftigt und erfolgreich zu sein gleichzusetzen, steht sinnbildlich für unsere Gesellschaft und verbindet uns mit dem Gedanken der Pausenlosigkeit. Wer eine Pause macht, ist schwach – so will es uns zumindest der Glaubenssatz einreden. Ich versuche, mich gegen diese Pausenlosigkeit zu stellen, denn meiner Meinung nach sind Pausen kein Zeichen von Schwäche, sondern vielmehr produktiv. Wenn wir also eine Pause machen, haben wir im Anschluss wieder Energie.
"Erfolgreich zu sein, bedeutet nicht automatisch, viel Geld zu verdienen oder akademische Titel auf Visitenkarten zu drucken."
Früher habe ich auch gedacht, ich müsse immer busy sein, um etwas erreichen zu können. Irgendwann ist mir aber aufgefallen, dass mir durch Pausen letztlich gar keine Zeit gefehlt hat. Vielmehr habe ich während der Pause Energie getankt und konnte viel effizienter weiterarbeiten. Beim Sport ist es ähnlich: Wir können nicht jeden Tag einen Marathon laufen, weil unser Körper die Phase der Regeneration braucht. Dennoch ist der Erfolgs- und Statusgedanke gesellschaftlich so etabliert, dass wir dazu neigen, in den "Nur wer viel arbeitet, kann erfolgreich sein"-Stress zu rutschen.
Ein Effekt, den unsere Leistungsgesellschaft auf viele Menschen hat …
So ist es. Aus diesem Grund habe ich den Erfolgsbegriff für mich ganz neu definiert. Denn erfolgreich zu sein, bedeutet eben nicht automatisch, viel Geld zu verdienen oder akademische Titel auf Visitenkarten zu drucken. Vielmehr ist man meiner Meinung nach erfolgreich, wenn man liebt, was man tut. Ich möchte nicht bis zur Rente meinen Job durchziehen müssen, um dann irgendwann mein Leben genießen zu können. Denn mein Leben im Hier und Jetzt ist genauso wichtig.
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Aus diesem Grund halte ich es für wichtig, Erfolg als etwas Individuelles zu definieren und sich nicht von der Leistungsgesellschaft leiten zu lassen. Inzwischen spreche ich in diesem Zusammenhang auch häufig von einer Erfolgsgesellschaft. Denn mittlerweile hat man das Gefühl, von Erfolg zu Erfolg springen zu müssen, während die Leistung, die dahinter steht, in den Hintergrund rückt. Dabei finde ich nicht, dass ein strampelndes Leben im Hamsterrad für Erfolg stehen sollte.
Während einer Pause oder einem Urlaub empfinden viele Menschen Freizeitstress. Wie stehen Sie zu diesem Phänomen?
Hinter Freizeitstress steckt dasselbe Mindset. Wir können Langeweile oft gar nicht mehr aushalten und versuchen, jede Pause mit Aktivität zu füllen. An dieser Stelle empfehle ich etwas, was wir viel zu selten tun: nämlich innezuhalten und die eigenen Bedürfnisse zu hinterfragen. Dabei geht es auch darum, den eigenen Terminkalender nicht immer komplett zu verplanen, sondern bewusst Zeitinseln freizuhalten.
In Ihrem Buch "Less Stress in Your 30s" geht es um den Zeitdruck ab 30. Ist es Ihr erklärtes Ziel, nie wieder Stress zu empfinden?
Auf gar keinen Fall, denn das wäre komplett unrealistisch. Ich mag den Begriff "stressfrei" nicht. Vielmehr geht es mir darum, dass wir lernen, mit Stress umzugehen. Es sollte nicht das Ziel sein, Stress um jeden Preis zu vermeiden, sondern an unserem Umgang mit Stress und unserer Bewertung stressiger Situationen zu arbeiten.
Sie sprechen mit dem Buch gezielt die Gen Z an, die erste Generation, die mit Smartphones und Social Media aufgewachsen ist. Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang Faktoren wie die ständige Erreichbarkeit?
Die ständige Erreichbarkeit, die im Stressmanagement als always on bezeichnet wird, bringt einen großen Stressfaktor mit sich – und damit beziehe ich mich nicht nur auf Menschen in ihren Dreißigern. Indem wir gefühlt ständig unser Smartphone in den Händen halten, gilt es, für sich individuelle Grenzen zu setzen. Ich persönlich habe beispielsweise mein Smartphone aus dem Schlafzimmer verbannt und kann das nur empfehlen.
Bei ständiger Erreichbarkeit komme ich zudem nicht umhin, an das digitale Messaging zu denken. Damit meine ich vermeintlich niemals enden wollende WhatsApp-Unterhaltungen oder E-Mail-Schleifen. Früher wurde ein Thema in einem kurzen Telefonat besprochen, während heute schier unendlich lange digitale Kommunikationen stattfinden. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass unabgeschlossene Dinge Stress in uns auslösen.
Sie sprechen in Ihrem Buch von sogenannten "Zeitfressern" – was hat es damit auf sich?
Denke ich an Zeitfresser, muss ich ebenso an Energiefresser denken. Insofern sprechen wir hier von einem wichtigen Thema, das uns einen Status-Check durchführen lassen sollte. Ein typisches Beispiel für Zeit- und Energiefresser sind etwa Newsletter. Häufig kommen zahlreiche Newsletter in unser Postfach, die meistens keine oder nur wenig Relevanz für uns haben. Dennoch bringt man die Zeit und Energie auf, sie zu sichten, ehe sie dann doch gelöscht werden. Dieses Phänomen kennen vermutlich die meisten Menschen.
Es geht also darum, Zeitfresser zu erkennen und entsprechend zu entlarven …
Genau. Dabei kann beispielsweise auch die tägliche Suche nach dem Schlüsselbund im Rucksack ein Zeitfresser sein. Da man deswegen tagtäglich aus der Haut fährt, sprechen wir also gleichermaßen von einem Energiefresser. Umso wichtiger ist es, sich bewusst zu machen, dass auch vermeintlich kleine Zeitfresser Energie rauben.
Wie steht es um größere Zeit- und Energiefresser? Ich denke da etwa an das Phänomen des Mental Load.
Es ist unglaublich wichtig, im privaten Kontext auf sein Netzwerk zu setzen und Teams zu bilden. Vor allen in stressigen Situationen haben wir oft das Gefühl, alles alleine schaffen zu müssen. Mit Blick auf Mental Load ist es also umso wichtiger, Verantwortungsbereiche abzugeben und Zuständigkeiten aufzuteilen. Es geht also darum, sich den Zeitfresser bewusst zu machen, um sich im Anschluss gezielt darüber austauschen zu können. Nur so kann Unterstützung durch das Umfeld gefunden und in Anspruch genommen werden.
Ich kann mir dennoch vorstellen, dass das eingangs angesprochene "Wer beschäftigt ist, ist erfolgreich"-Mindset das Entlarven von Zeitfressern erschwert.
Das stimmt. Vor allem im beruflichen Kontext gehen die Menschen in der Regel davon aus, wenig bis keine Möglichkeit zu haben, auf bestehende Strukturen einwirken zu können. Fällt ihnen auf der einen Seite also eine zeit- und energiefressende Struktur auf, zweifeln sie auf der anderen Seite an ihrer beruflichen Position, um Optimierungsvorschläge zu unterbreiten. Dabei haben wir viel mehr Einfluss, als wir häufig glauben. Hinzu kommt, dass Führungskräfte in der Regel sehr empfänglich für konstruktive Vorschläge sind. Denn im Idealfall profitiert das ganze Team von einem zeitsparenden Input. Das schreibe ich auch in meinem Buch: Es spart keine Zeit, wenn wir etwas effizient erledigen, das wir eigentlich gar nicht tun müssten.
Was raten Sie noch, um Zeitfresser aus unserem Alltag zu verbannen?
Vor allem mit Blick auf ständige Erreichbarkeit ist es, sofern möglich, sinnvoll, auch mal wieder zu telefonieren. Auch ich liebe digitales Messaging. Doch bei all dem Versenden von E-Mails oder Sprachmitteilungen sollten wir das gute alte Telefonieren nicht völlig aus den Augen verlieren. Außerdem empfehle ich im beruflichen Kontext, sofern umsetzbar, nicht immer sofort auf E-Mails zu antworten. Vielmehr rate ich dazu, für die Beantwortung zwei feste Zeitfenster am Tag festzulegen. Innerhalb dieser Slots können wir nicht nur die wesentliche berufliche Kommunikation leisten, sondern befreien uns parallel von der ständigen Erreichbarkeit.
Über die Gesprächspartnerin
- Susan "Sue" Fengler ist Autorin und Stressmanagement-Trainerin aus Hamburg. 2011 gründete sie den Blog "Sue Loves NYC", den sie 2016 zu ihrem Hauptberuf machte. Im Februar 2025 ist ihr Buch "Less Stress in your 30s" erschienen.
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