- Viele Menschen leiden unter sozialem Stress, der auf Dauer krank machen kann.
- Eine Studie mit Mäusen legt nun nahe, dass vielleicht auch wir auf diesen Stress mit erhöhtem Schlafbedarf reagieren.
- Schlaf als Lösung, sich an Unangenehmes zwar zu erinnern, aber ohne Angst? Wie sich das therapeutisch nutzen ließe.
Direkt nach der Arbeit zu Hause aufs Sofa fallen und erstmal ein Nickerchen machen: Kennen Sie das? Passiert es Ihnen öfters? Sogar dann, wenn Sie eigentlich recht ausgeschlafen sind? Dann könnte es sein, dass die Bedingungen am Arbeitsplatz nicht ideal sind. Wenn Sie etwa unter aggressiven Kollegen und Kolleginnen leiden, die Belastung insgesamt zu hoch ist oder Ihre Arbeit nicht genügend wertgeschätzt wird, dann empfinden Sie dort vermutlich zu viel psychosozialen Stress. Und dann möchte sie womöglich ein tief verankerter biologischer Mechanismus vor den negativen Folgen dieses Stresses schützen: der Schlaf.
Zumindest Mäuse, die einer vergleichbaren Situation ausgesetzt sind, reagieren so. Einer aktuellen Studie zufolge, die jetzt im führenden Fachblatt Science erschienen ist, fallen die Nager umgehend in Schlaf, nachdem Forschende sie längere Zeit in den Käfig eines aggressiven, dominanten Artgenossen gesteckt haben. Für die Tiere ist eine solche Situation ausgeprägter psychosozialer Stress. Ihr Stresshormonspiegel steigt während der Auseinandersetzung auf ein entsprechend hohes Niveau. Sie sind danach außergewöhnlich ängstlich.
Setzt man die Tiere anschließend in ihren Käfig zurück und hält sie wach, bleibt die Anspannung über Stunden erhalten. Der Stress scheint kein Ventil zu finden. Die Hormonspiegel bleiben erhöht. Die Angst hält an. Das ist für die Tiere alles andere als gesund, weshalb es nicht verwundert, dass sie sich unter ungestörten Bedingungen anders verhalten: Sie schlafen ein.
Im Schlaf sinken Angst und Stress
Die in Science publizierten Experimente des internationalen Teams um den Neurobiologen William Wisden vom Imperial College London fanden tagsüber statt. Dann sind Mäuse ohnehin weniger aktiv und fallen offenbar fast alle umgehend in Schlaf, sobald die stressende Situation überstanden ist und sie wieder im vertrauten eigenen Käfig in Sicherheit sind.
Während des Schlafs sinkt der Spiegel des Stresshormons Cortisol, und sie wachen später weitgehend angstfrei auf. Werden die Tiere einer ähnlichen, aber deutlich weniger belastenden Situationen ausgesetzt, haben sie niedrige Stresshormonspiegel und bleiben deutlich länger wach.
Aber anders als man vermuten darf, ist der Schlaf keine direkte Reaktion auf das viele Stresshormon im Blut. Es ist eher umgekehrt: Eine kleine Gruppe von Nervenzellen im ventralen Tegmentum – einem bestimmten Teil des Zwischenhirns – wird aktiv und beeinflusst über Stunden hinweg die Erregung anderer Regionen des Gehirns. Das legt offenbar den Einschlaf-Schalter um und senkt den Stresslevel der Mäuse sowie letztlich deren Angst.
Der Schlaf scheint dabei eine zentrale Rolle zu spielen, denn Cortisolspiegel und Angst verschwinden nicht, wenn die Mäuse am Schlafen gehindert werden, obwohl die einschläfernden Nervenzellen aktiv sind. Andersherum beeinflusst es das Stressniveau der Tiere nicht zusätzlich, wenn man die Tiere per künstlicher Erregung der einschläfernden Nervenzellen müde macht, diese aber zuvor nicht gestresst worden sind.
Cleverer Trick der Natur
Die nicht an der Studie beteiligte Neurobiologin Marian Joëls von der Universität Utrecht folgert mit ihrem Kollegen Ronald de Kloet in einem begleitenden Artikel, der Stressabbau müsse eine kausale Folge des Schlafes sein. Parallel werde dann wohl auch die Angst heruntergefahren.
Darin sehen die beiden einen cleveren Trick der Natur, zwei wichtige Aufgaben voneinander zu trennen: Die Mäuse stehen nämlich vor dem Dilemma, die Erfahrungen rings um den Kontakt mit dem aggressiven Artgenossen möglichst gut in ihr Langzeitgedächtnis zu übertragen, gleichzeitig aber die damit verbundene belastende Angst nicht übermächtig werden zu lassen. Die Trennung beider Prozesse im Schlaf "würde es ermöglichen, kontextbezogene Elemente losgelöst von dem Besorgnis erregenden Zusammenhang zu speichern", schreiben die niederländischen Forschenden.
Wichtige Rolle des Schlafes für unser Gedächtnis
Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Schlafs, dass das Gehirn zuvor aufgenommene Informationen vom Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis überträgt sowie wichtige von unwichtigen Erinnerung trennt. Dieser Prozess heißt Gedächtniskonsolidierung. Er hilft auch uns Menschen dabei, nach dem Schlaf kreativer, konzentrierter und kognitiv leistungsfähiger zu sein. Letztlich setzt sich unser Bewusstsein im Schlaf immer wieder neu zusammen und wird durch neue Erfahrungen bereichert.
Schon vor Jahren vermutete deshalb der Tübinger Neurobiologe und Schlafforscher Jan Born, es sei ein natürlicher Schutzmechanismus, dass wir nach traumatischen Erlebnissen – beispielsweise einem schweren Autounfall – schlecht oder gar nicht schlafen können. Dadurch werde womöglich verhindert, dass die negative Erfahrung zu gut abgespeichert werde und das Risiko für Folgeerkrankungen wie eine posttraumatische Belastungsstörung erhöhen könnte.
"Dass die Mäuse in der neuen Studie nach dem sozialen Stress schnell wieder einschliefen, zeigt meines Erachtens klar, dass es sich um kein traumatisches Ereignis handelte", sagt Born. "Wahrscheinlich ist es eine Frage der Dosis." Droht also keine Traumatisierung, scheint Schlaf eine natürliche Methode des Stress-Abbaus zu sein. Diese Erkenntnis ist allerdings nicht neu: Schon vor 25 Jahren konnten Born und Kollegen und Kolleginnen zeigen, dass Tiefschlaf auch bei Menschen die so genannte Stress-Achse hemmt und so die Ausschüttung von Cortisol unterdrückt.
Erste Ansätze für Schlaftherapien gegen übermäßigen Stress
Ähnlich sehen es Joëls und de Kloet: "Die Schlafinduktion kann spezifisch für Stresssituationen wie soziale Niederlagen sein, die wenig ungewiss sind, während Stressfaktoren mit ungewissem Ausgang den Schlaf negativ beeinflussen können." Anders ausgedrückt: Ein Trauma ist unvorhersehbar und sollte deshalb eher vergessen werden. Es hilft nichts, sich daran zu erinnern, weil man ihm nicht wirklich vorbeugen kann. Soziale Interaktionen kommen aber immer wieder vor – leider auch die weniger schönen. Deshalb sollten sie auch mit Hilfe des Schlafs in Erinnerung bleiben, allerdings ohne das damit oft verbundene negative und auf Dauer krank machende Angstgefühl.
In der Zukunft möchten die Forschenden die verschiedenen Schritte der einschläfernden Reaktionskaskade im Gehirn besser untersuchen. Diese ist nämlich noch kaum bekannt. Im Anschluss lassen sich einige der Erkenntnisse vielleicht sogar direkt auf den Menschen übertragen. Dann gäbe es potenzielle neue Ansatzpunkte für eine Art Schlaftherapie gegen übermäßige psychische Belastungen und ihre potenziell krank machenden Folgen.
William Wisden und Kollegen und Kolleginnen spekulieren beispielsweise schon heute darüber, Angststörungen zu behandeln, indem sie die Aktivität der Schlaf-fördernden Nervenzellen verändern. Joëls und de Kloet schreiben, die neuen Kenntnisse könnten dazu beitragen, vielleicht sogar bei Menschen "durch kognitive Therapie, Pharmakotherapie oder vielleicht eines Tages sogar durch genetische Eingriffe" die negativen Folgen stark stressender Erlebnisse zu mildern.
Fazit: Wer psychisch gestresst ist, sollte viel schlafen
So weit ist es allerdings noch lange nicht, zumal es sich um Experimente mit Mäusen handelt. Aber auch der deutsche Schlafforscher Born findet, was die Forschenden in der aktuellen Studie gemessen haben, sei durchaus auf den Menschen übertragbar. "Die Verhältnisse sind meines Erachtens recht ähnlich wie bei körperlichem Stress bei Menschen", sagt er. Auch der erhöhe in Maßen den Stresshormonspiegel und verbessere anschließend den Schlaf. Zu viel Sport verschlechtere den Schlaf jedoch – ähnlich wie die übermäßige Belastung nach einem Trauma.
Das bedeutet aber auch: Nicht nur Sportler und Sportlerinnen sollten sich um ausreichenden Schlaf bemühen, sondern gerade auch all jene Menschen, die anhaltendem sozialen psychischem Stress ausgesetzt sind.
© RiffReporter
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