Im Zuge der Konzerte von Rammstein ist oft die Rede von sogenannten Safe Spaces und Awareness-Arbeit. Diese Konzepte sollen auf Konzerten für mehr Sicherheit vor Übergriffen sorgen. Aber was sind Safe Spaces überhaupt und was zeichnet die Awareness-Arbeit dort aus?

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Die Vorwürfe gegen die Band Rammstein haben auch die Frage nach mehr Sicherheit auf Konzerten, Festivals und Großveranstaltungen aufgeworfen. Für die vier Konzerte, die seit Mittwoch (7. Juni) im Münchener Olympiastadion stattfinden, hatten Anfang der Woche mehrere politische Akteure ein erweitertes Sicherheitskonzept gefordert.

Das Kreisverwaltungsreferat München erklärte in einer Pressemitteilung am 7. Juni, dass "der Aufenthalt von Konzertbesucher*innen in einer sogenannten "Row Zero" (Bühnengraben)" verboten sei und man mit dem Veranstalter der Konzerte in Kontakt stehe, "um weitere geeignete Maßnahmen, wie zum Beispiel Awareness-Bereiche, Safe Spaces etc., zu planen". Auf Anfrage unserer Redaktion teilte das Kreisverwaltungsreferat weiter mit, dass für die Konzerte ein Awareness-Zelt geplant sei und mehrere Awareness-Teams im Einsatz seien.

Doch was genau steckt hinter diesen Maßnahmen?

Safe Spaces auf Festivals: Bereits seit einigen Jahren gibt es Angebote

Bereits seit mehreren Jahren gibt es auf großen internationalen Festivals Safe Spaces. Das sind Bereiche, in denen sich nur Frauen und alle aufhalten sollen, die von Belästigungen oder Diskriminierungen betroffen sind.

Ein Vorreiter war das berühmte Glastonbury Festival in England: Dort entstand 2016 die "Sisterhood" – ein Bereich, zu dem nur Frauen Zugang haben. Über die Jahre sind mehrere Festivals, Großveranstaltungen und Konzerte in Deutschland mit ähnlichen Konzepten freiwillig nachgezogen. Inzwischen gibt es auch mehrere Organisationen, die sich der Umsetzung vergleichbarer Konzepte verschrieben haben.

Das fällt unter die sogenannte Awareness-Arbeit, die im Idealfall von erfahrenem und geschultem Personal durchgeführt wird. "Es geht dabei darum, dass sich Besucher*innen, die einen Übergriff erlebt haben, an jemanden wenden können", sagt Johanna Bauhus. Sie hat "Safe the dance" mitgegründet, eine Agentur, die sich für Awareness, Inklusion und Diversity einsetzt.

Bauhus und ihr siebenköpfiges Team bieten Schulungen an und organisieren Awareness-Konzepte für Konzerte, Konferenzen, Großveranstaltungen und Festivals, etwa die Most Wanted: Berlin, das The Roofs Festival im Rahmen der European Championships oder das SBÄM-Festival – dort sind sie selbst auch im Einsatz oder betreuen die Awareness-Mitarbeitenden.

Wenn sie Awareness-Konzepte für Veranstaltungen plant, beginnt Bauhus meist Monate vorher, spricht mit allen Beteiligten und berücksichtigt auch, ob es sich um Bands oder Konzerte handelt, die ein eher aggressives Publikum anziehen könnten. Je nachdem entscheidet Bauhus dann, wie viele Awareness-Mitarbeitende aus ihrer Sicht nötig sind: "Für eine Veranstaltung mit 250.000 Menschen würde ich mindestens 100 bis 200 Personen einplanen“, sagt sie. Nach Möglichkeit wolle das Awareness-Team bei Veranstaltungen das Hausrecht haben, also im schlimmsten Falle gewaltausübende und übergriffige Personen vom Gelände verweisen können.

"Manchmal geht es einfach darum, zu erzählen, was passiert ist"

Wer auf einer Veranstaltung Unterstützung braucht, sollte direkt erkennen können, an wen man sich wenden kann. Aus diesem Grund tragen Awareness-Mitarbeitende von "Safe the dance" oft Rucksäcke mit einem großen gelben "A" und eine Lichterkette. Außerdem gibt es einen Checkpoint, an dem betroffene Personen mit dem Personal sprechen können.

"Manchmal geht es einfach darum, zu erzählen, was passiert ist: Man fühlt sich nicht wohl und möchte einfach mit jemandem reden oder man hat seine Freund*innen verloren", sagt Johanna Bauhus. "Im schlimmsten Fall geht es darum, dass man einen sexuellen Übergriff erlebt hat und nicht weiß, was man tun soll oder unter Schock steht." Wichtig ist immer die betroffene Person und was sie tun möchte. Das Awareness Team hilft der Person hierbei. Bei Bedarf könnten die Mitarbeitenden Möglichkeiten aufzeigen, was Betroffene tun können: Etwa Übergriffe den Behörden melden oder darüber sprechen, wo man eine anonyme Spurensicherung durchführen lassen kann, bei der man auch zu einem späteren Zeitpunkt noch entscheiden kann, die Tat zu melden.

In solchen Ausnahmesituationen für andere Menschen da zu sein, erfordert mehr als nur Fingerspitzengefühl. Bauhus betont, dass es sich bei den Ansprechpersonen um geschultes Personal handelt. Viele ihrer Mitarbeitenden seien Psycholog:innen, teilweise mit psychotraumatologischer Weiterbildung. Allerdings ist Awareness-Arbeit kein geschützter Begriff. Das sieht Bauhus kritisch: Für sie sollte es sich um einen Ausbildungsberuf handeln. Sie selbst arbeitet in einem Verbund mit anderen Awareness Organisationen wie Act Aware oder der Awareness Akademie an Mindeststandards sowie einer zukünftigen Zertifizierung.

Bisher keine gesetzliche Verpflichtung für Safe Spaces und Awareness-Arbeit

Außerdem spricht sich Bauhus dafür aus, dass Veranstalterinnen und Veranstalter gesetzlich zu Awareness-Arbeit verpflichtet werden. Auf Veranstaltungen gebe es zu vielen Themen wie Brandschutz, Security oder medizinischer Versorgung rechtliche Regularien, die eingehalten werden müssten, aber: "Für Awareness gibt es das nicht. "Dabei ist diese Arbeit entscheidend, um betroffene Menschen nicht allein zu lassen." Veranstalter und Veranstalterinnen entscheiden sich freiwillig für entsprechende Awareness-Konzepte, die natürlich auch mit einem Kostenaufwand verbunden sind.

Bauhus verweist darauf, dass die Dunkelziffer bei sexuellen Übergriffen auf Festivals und Konzerten sehr hoch sei. Weil Betroffene nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen. Weil sie davon ausgehen, dass sie ohnehin nichts ausrichten können. Oder weil sie Angst haben, dass man ihnen nicht glaubt. "Aber", sagt Johanna Bauhus, "die erste Regel der Awareness-Arbeit ist: Wir glauben jeder betroffenen Person. Auch ohne Beweise."

Verwendete Quellen:

  • Telefonisches Interview mit Johanna Bauhus von Safe the Dance
  • Telefonische Anfrage: Kreisverwaltungsreferat München
  • Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
  • Pressemitteilung: Sicherheitsmaßnahmen für Rammstein-Konzerte. Kreisverwaltungsreferat München
Wenn Sie selbst von häuslicher oder sexueller Gewalt betroffen sind, wenden Sie sich bitte an das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" - 08000/116 016 oder dessen Online-Beratung, das Hilfetelefon "Gewalt an Männern" - 0800/1239900 oder dessen Online-Beratung, oder an das Hilfetelefon "Sexueller Missbrauch" 0800/225 5530 (Deutschland), die Beratungsstelle für misshandelte und sexuell missbrauchte Frauen, Mädchen und Kinder (Tamar) 01/3340 437 (Österreich) beziehungsweise die Opferhilfe bei sexueller Gewalt (Lantana) 031/3131 400 (Schweiz).
Wenn Sie einen Verdacht oder gar Kenntnis von sexueller Gewalt gegen Dritte haben, wenden Sie sich bitte direkt an jede Polizeidienststelle.
Falls Sie bei sich oder anderen pädophile Neigungen festgestellt haben, wenden Sie sich bitte an das Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden".
Hilfsangebote für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.
Redaktioneller Hinweis: Da Diversität bei der Awareness-Arbeit eine wichtige Rolle spielt, haben wir uns dazu entschieden, die Genderform mit * in den Zitaten zu belassen.
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