Von "Du bist faul" bis hin zu "Dir wird es nie wieder besser gehen" – wer an einer Depression erkrankt, befindet sich schnell in einer Abwärtsspirale, in der die Krankheit den Betroffenen falsche Tatsachen vorgaukelt. Diesen widmet sich die Psychologin Dinah-Kristin Berger in einem Buch und hält fest: "Die Depression ist ein fieser Dieb, weil sie Betroffenen vieles raubt, Selbstwert oder Kraft zum Beispiel."
Wer an einer Depression leidet, begegnet bestimmten Gedanken immer und immer wieder. Die Psychologin Dinah-Kristin Berger nennt sie die "7 Lügen, die dir deine Depression erzählt" und hat ein Buch mit eben diesem Titel darüber geschrieben.
"Viele Betroffene in einer Depression haben das Gefühl, dass nichts mehr funktioniert. Selbst einfache Haushaltstätigkeiten oder Treffen mit Freunden lassen sich nicht mehr so wie früher umsetzen. Daraus entsteht häufig der Glaubenssatz, zu versagen", erklärt Berger mit Blick auf die erste Lüge "Du bist ein Versager" und ergänzt: "Wenn diese Wahrnehmung erst einmal entsteht, besteht das Risiko, dass Betroffene sich immer weiter zurückziehen und irgendwann gar nichts mehr anfangen. Bedeutet: Sie verlieren den Mut, sich Herausforderungen zu stellen – und sei es nur, einen Spaziergang zu unternehmen."
Vor allem ein geminderter Selbstwert spiele bei depressiven Menschen eine Rolle, so Berger. Ein Glaubenssatz, der für die zweite Lüge verantwortlich zeichnet: "Niemand interessiert sich für dich." "Das Denkmuster 'Niemand interessiert sich für mich' ist ein Erleben, das ich sehr häufig von Betroffenen höre und das sich auch in Form des Glaubenssatzes 'Niemand möchte etwas mit mir zu tun haben' oder 'Ich bin eine Last für andere' äußern kann", erklärt sie. Das Tückische an diesem Glaubenssatz sei, dass er einen starken sozialen Rückzug bedinge. Insofern sei es wichtig, "die Frage zu beleuchten, ob sich wirklich niemand für die betroffene Person interessiert. Denn natürlich interessieren sich die Angehörigen – diese Zuneigung kommt bei den Betroffenen häufig aber nicht an."
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Als weiteres Hauptsymptom einer Depression hebt Berger die Antriebslosigkeit hervor. "Alles fällt schwer und viele Betroffene vergleichen den Zustand mit einem Mantel aus Blei oder einem schweren Stein, der auf der Brust liegt", erklärt sie den Glaubenssatz, aus dem die dritte Lüge entsteht: "Du bist faul." "Zu denken, faul zu sein, ist eine ganz klassische Selbstabwertung. Wenn ich nicht mehr erkenne, dass es sich hierbei um ein Symptom der Erkrankung handelt, sondern ich wirklich denke, faul zu sein oder mich zusammenreißen zu müssen, ist das wirklich tückisch", macht Berger auf die Gefahr des Denkmusters aufmerksam. Dabei darf laut der Expertin nicht vergessen werden, "dass alle Energie der Betroffenen gewissermaßen zum Überleben benötigt wird". Insofern könne diese Energie nicht in alltägliche Handlungen wie Haushalt oder Arbeit gesteckt werden.
Aus der Lüge "Du bist faul" entsteht laut Berger häufig ein gefährlicher Teufelskreis: "Betroffene sehen keinen Grund mehr, aktiv zu werden, da sie sich mit Glaubenssatz, faul zu sein, selbst abwerten und keinen Sinn in der Aktivität sehen." Umso mehr rät sie Erkrankten, in kleinen Schritten zu denken: "Wenn Betroffene an einem Tag den Abwasch erledigen und das gespülte Geschirr dann am Folgetag in die Schränke räumen, merken sie, doch etwas zu schaffen. Dadurch entsteht eine Aufwärtsspirale."
Hauptlüge der Depression: "Du bist nichts wert"
Dinah-Kristin Berger weiß: "Wenn Menschen in einer schweren Depression stecken, erscheint wirklich alles hoffnungslos und es gibt keine Idee davon, wie das Leben wieder besser werden könnte." Ein Glaubenssatz, der die vierte Lüge bedingt: "Dir wird es nie wieder besser gehen." Für Betroffene sei es besonders herausfordernd, die Hoffnung zu behalten, vor allem dann, wenn sich nur eine schleichende Besserung einstelle. Wie Berger betont, müssen Betroffene in einer Depression in eine Art Vorleistung gehen: "Sie müssen häufig lange kämpfen und in die Aktivität zurückkehren, ehe sich eine erste kleine Besserung ihres Zustandes einstellt." Umso mehr rät die Expertin Betroffenen, "sich an vergangene Erfolge zu erinnern und daraus Kraft zu schöpfen".
Als eine der "Hauptlügen der Depression, die vermutlich fast jeder Betroffene kennt", nennt Berger den Glaubenssatz "Du bist nichts wert". Laut der Expertin treffen hier gewissermaßen alle Lügen der Depression aufeinander: "Ein klassisches Symptom der Erkrankung ist das sinkende Selbstwertgefühl. Viele Betroffene vergleichen sich mit Müll und beschreiben sich mit sehr harten Begriffen." Laut Berger finden sich die Ursachen dabei häufig durch Ablehnungserfahrungen in der Kindheit. Umso wichtiger sei es, bei der Begegnung mit dieser Lüge zu hinterfragen, "ob der Glaubenssatz überhaupt stimmt. Immerhin ist jeder Mensch mit einem Wert geboren. Wir alle sind wertvoll, allein, indem wir auf der Welt sind. Insofern sollte herausgefunden werden, was die betroffene Person als Mensch ausmacht."
Die Einordnung Bergers zeigt: Die Lügen, die eine Depression Betroffenen erzählt, sind tückisch. Gefährlich oder sogar lebensbedrohlich kann es dabei vor allem dann werden, wenn Betroffene sich mit Suizidgedanken beschäftigen. Wie die Expertin weiß, "sind Suizidgedanken etwas, das Betroffenen und Angehörigen Angst macht. Trotzdem kennen viele Betroffene diese Gedanken". Er äußert sich in der sechsten Lüge: "Das Leben zu beenden, wäre eine Lösung." Bergers Appell an dieser Stelle lautet daher: "Betroffene dürfen mit Suizidgedanken niemals allein gelassen werden. Das Gleiche gilt für Angehörige, die in einer solch herausfordernden Situation ebenfalls den Austausch suchen sollten."
Hilfsangebote
- Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 0800/1110-111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz).
- Anlaufstellen für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.
Sich professionelle Hilfe zu holen, ist kein Versagen
Glaubenssätze wie "Du bist faul" führen laut Berger zu der siebten Lüge der Depression: "Du hast keine Hilfe verdient." Wie die Therapeutin erklärt, handelt es sich hierbei um eine "Wahrnehmung in der Depression, wegen der vermeintlichen Faulheit oder anderer Glaubenssätze keinen Anspruch auf einen Therapieplatz zu haben oder einer anderen Person, der es womöglich schlechter geht, einen Therapieplatz wegzunehmen".
Dabei habe jeder Mensch, der in einer Depression steckt, Hilfe verdient, betont sie. Entgegen dem Glaubenssatz, der noch immer in vielen Menschen schlummere, sei es kein Versagen, sich therapeutische Hilfe zu holen. Im Gegenteil: "Ich rate ich jedem Betroffenen dringend, sich psychologische Unterstützung zu holen, denn eine Depression lässt sich nur mit therapeutischer Hilfe behandeln", hält Berger fest und mahnt: "Es ist eine Erkrankung. Wer ein gebrochenes Bein hat, geht auch zum Arzt und versucht nicht, sich allein oder mithilfe von Freunden und Freundinnen zu heilen."
Über die Gesprächspartnerin
- Dinah-Kristin Berger ist Psychologin und Psychotherapeutin in Ausbildung. Auf ihrem Instagramkanal @erklaerungsnot klärt sie über mentale Themen auf, sodass Betroffene und Interessierte ein konkretes Verständnis über mentale Erkrankungen erhalten. Im Juni ist ihr Buch "7 Lügen, die dir eine Depression erzählt: Aus der verzerrten Wahrnehmung aussteigen und neuen Mut fassen" erschienen.
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