Die Tierschützer sind aufgeschreckt: Im niedersächsischen Süstedt machten Beamte des örtlichen Veterinäramts vor wenigen Tagen eine grausige Entdeckung. Auf einem Hof eines ehemaligen Pferdezüchters vegetierten 20 Vierbeiner unter unvorstellbaren Bedingungen vor sich hin. Noch ist unklar, ob 16 der gequälten Kreaturen den Kampf ums Überleben gewinnen werden. Wir sprachen mit Marion Dudla vom deutschen Tierschutzbund über diesen Vorfall und die Hintergründe.

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Der Fachbegriff für dieses Phänomen lautet "Animal Hoarding", also Tiere sammeln. Was ist darunter zu verstehen und gibt es unterschiedliche Typen?

Marion Dudla: Das ist eine schlimme Krankheit. Selbst für hart gesottene Tierschützer ist es nicht einfach, mit solchen Fällen umzugehen. Aber es gibt leider für "Animal Hoarder" bisher noch keine Therapien. Man unterschiedet drei Typen von "Hoardern": Es gibt zum Beispiel den Züchter, der irgendwann die Kontrolle verloren hat, und bei dem sich die Tiere wild vermehren.

Dann gibt es den Rettertypen, der von überall her Tiere zusammensammelt und ihnen ein besseres Zuhause geben möchte. Da geht es nicht um Ausbeutung, sondern um Selbstdarstellung. Außerdem ist da noch der übertriebene Helfertyp, der sagt, nur bei mir geht es den Tieren gut. Ich möchte ihnen helfen.

Meistens sind "Animal Hoarder" zudem sozial isoliert, wenn sie auch in einigen Fällen zu zweit sind. Das Phänomen tritt außerdem oft in Verbindung mit Angst- oder Suchterkrankungen auf.

War der Vorfall in Niedersachsen ein Einzelfall oder gibt es das häufiger?

Marion Dudla: Nein, das war kein Einzelfall. Die Berichte unserer 700 Tierschutzvereine und 500 Tierheime sind da eindeutig. Schon in unserer letzten Studie von 2010 haben unsere Mitglieder berichtet, dass das Phänomen zunimmt. Damals hatte die Hälfte der Tierheime einen Fall pro Jahr und 27 Prozent verzeichneten zwei Vorkommnisse im Jahr. Die Zahl der Fälle hat seither noch weiter zugenommen.

Es geht bei "Animal Hoarding" bestimmt nicht nur um Pferde. Welche Tiere trifft es in den meisten Fällen?

Marion Dudla: Am häufigsten betrifft es Hunde und Katzen, aber darüber hinaus sind alle Tiere, auch Wildtiere betroffen. So hat zum Beispiel jemand Wildvögel gesammelt. Oft gibt es auch Mischformen, dass etwa jemand Hunde, Meerschweinchen und Pferde sammelt.

Wie muss man sich die Leiden der gequälten Tiere vorstellen?

Marion Dudla: Ein Kriterium für die Krankheit ist, dass die Tiere zu wenig Platz haben und sie damit unter schlimmsten hygienischen Bedingungen leben müssen. Der "Hoarder" ist nicht mehr in der Lage, die Lebewesen angemessen zu versorgen.

Damit gehen Unterernährung, Krankheiten und Parasitenbefall einher. Bei den Pferden in Niedersachsen konnte man sehen, dass die Hufe nicht mehr gepflegt wurden. Die Tiere sind generell in einem ganz schrecklichen Zustand.

Was ist denn das eigentliche Problem der "Animal Hoarder"?

Marion Dudla: Sie erkennen die Situation nicht. Der "Hoarder" wird immer sagen, den Tieren geht es bei mir doch gut. Ich liebe doch meine Tiere. Da fehlt völlig die Einsicht, dass die Tiere quälerisch gehalten werden.

Nach dem Vorfall mit den extrem verwahrlosten Pferden in Niedersachsen wird die Zahl der gemeldeten Verdachtsfälle sicherlich ansteigen. Wie sollte man sich verhalten, wenn man im eigenen Umfeld Hinweise auf "Animal Hoarding" wahrnimmt?

Wenn es komisch riecht oder die Tiere sich seltsam verhalten, sollte man beim Veterinäramt anrufen und dort Bescheid geben. Man kann sich auch an den nächsten Tierschutzverein wenden. Dort erhält man Ratschläge.

Kann man gegen die betroffenen Menschen rechtlich vorgehen?

Marion Dudla: Es ist juristisch schwierig, "Hoarder" zu belangen. Auch wenn es Verdachtsmomente etwa durch Geruchsbelästigung gibt, kommt man an die Leute nicht heran. Das Veterinäramt hat in diesen Fällen kein Zutrittsrecht. Das geht nur, wenn die Leute freiwillig ihre Wohnung oder ihr Haus öffnen. Wenn das nicht der Fall ist, müssen der Staatsanwaltschaft Beweise vorgelegt werden. Aber an diese Beweise heranzukommen, ist schwierig. Die Betroffenen leben in der Regel ja sehr abgeschottet.

Es gibt also offensichtlich Handlungsbedarf, oder?

Marion Dudla: Ja, es ist schwierig diese Menschen tatsächlich zu verurteilen. Die Verfahren laufen außerdem über Jahre. Es sollte sich also rechtlich etwas ändern. An erster Stelle muss aber die Therapie für den Menschen stehen und alle Tiere müssen weggeschafft werden. Ein "Animal Hoarder" wird nämlich immer wieder anfangen, Tiere zu sammeln, weil er krank ist. Oft müssen wir beobachten, dass Betroffene in ein anderes Bundesland umziehen und dort wieder von vorne anfangen. Wir brauchen also auch ein zentrales Melderegister.

Marion Dudla ist Sprecherin beim deutschen Tierschutzbund in Bonn.
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