Hochintelligente Menschen haben es in mancher Hinsicht schwerer als andere – sie ecken häufig an. Oft wissen Betroffene auch lange nichts von ihrem überdurchschnittlichen IQ. Bei der Mensa, einem Verein für hochintelligente Personen, treffen sie Gleichgesinnte.

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Mel Jäger ist seit der ersten Klasse von Lehrern besonders gefördert worden – ohne "herauszuheben, dass ich anders bin". "Es gab kein Outing: Der IQ-Test hat nichts in meinem Leben verändert", sagt Jäger (34), Vorstand beim Verein Mensa für Hochbegabte in Deutschland. So gut gefördert und integriert, kommen aber nicht alle Menschen mit einem Intelligenzquotienten (IQ) von mindestens 130 durchs Leben.

"Ich dachte mein Leben lang, ich hätte einen an der Säge."

Peter, Ingenieur

Nicht wenige fühlen sich ausgebremst, ecken an, werden für überheblich gehalten oder gemobbt – und glauben, selbst ein Problem zu sein, wie Mitglieder von Mensa bei einem Deutschland-Treffen in Mainz erzählen. So mancher komme erst in der Psychotherapie darauf, dass seine oder ihre Probleme mit einer Hochbegabung zu tun haben.

"Ich dachte mein Leben lang, ich hätte einen an der Säge", beschreibt das ein Ingenieur aus dem Ruhrgebiet, der bis auf seinen Vornamen Peter anonym bleiben will. Nach dem IQ-Test im Alter von 54 Jahren habe er erst verstanden, "warum ich gedanklich immer Außenseiter und einsam war". Im Beruf habe er sich meist zurücknehmen müssen. "Ich habe alles nebenberuflich gemacht, um weiterzukommen. Das waren 30 Jahre Abstrampeln", sagt der 59-Jährige.

Viele erfahren erst spät von ihrem hohen IQ

"Späterkannte sind ein Riesenanteil unserer Community", sagt Sybille Beyer, Sprecherin von Mensa Deutschland. Die erleichterte Reaktion nach der Feststellung der Hochbegabung sei häufig: "Ich bin nicht verkehrt, ich bin nur anders." Das Gefühl bis dahin vergleicht sie mit Märchen vom hässlichen Entlein von Hans Christian Andersen.

Die 61-Jährige weiß selbst, wovon sie spricht. In der Grundschule brachte sie sich selbst Lesen bei, war jahrelang Klassenbeste, wurde aber ausgebremst. "Nee, Dich nehme ich jetzt nicht dran, Du weißt ja eh immer alles", beschreibt sie ihre Erfahrung mit Lehrern. Später habe sie oft das Gefühl gehabt, auch menschlich "immer gegen die Tür zu laufen".

Ein Buch über Hochbegabte, das sie von ihrem Friseur bekam, brachte für Beyer die Wende. Da war sie bereits 53 Jahre alt. "Ich habe beim Lesen gedacht, da schreibt einer über mein Leben", erzählt sie. Und ihre Erleichterung: "Du kannst die ganzen Schuldgefühle von Dir werfen, dass Du Dich nicht anpassen kannst."

Hochintelligente sind im Durchschnitt zufriedener

"Hochintelligente kommen im Durchschnitt besser durch Schule, Hochschule und Ausbildung, sind erfolgreicher im Beruf, gesunder und zufriedener im Leben als Nicht-Hochbegabte", sagt der emeritierte Experte für Hochbegabung, Detlef H. Rost. "Hochbegabung ist also eher ein Schutzfaktor, kein Risikofaktor für die Entwicklung und Lebensbewältigung."

"Nicht die Hochbegabung an sich führt bei einer Person zu Problemen, sondern das gezeigte Verhalten" – und das ihrer wichtigen Bezugspersonen, erläutert der Marburger Psychologie-Professor.

Hochbegabte haben mindestens einen IQ von 130

Ein IQ von mindestens 130 gilt als Schwelle für die Hochbegabung. Gute standardisierte Tests sind dabei nach Einschätzung Rosts "sehr aussagekräftig". Sie gehörten sogar zu den besten diagnostischen Instrumenten in der Psychologie.

Rund 70 Millionen Erwachsene leben in Deutschland. Davon sind rund 1,4 Millionen hochbegabt, sagt Rost. Der 1979 gegründete Verein Mensa hat nach eigenen Angaben inzwischen mehr als 18.000 Mitgliedern und ist damit das größte Netzwerk für hochintelligente Menschen in Deutschland. Die allermeisten sind also nicht in einem Verein organisiert.

"Mensa" - Verein für Hochbegabte
Sybille Beyer (2.v.l) und Mel Jäger (2.v.r) sitzen bei einem Treffen von Mitgliedern des Vereins "Mensa" für Hochbegabte an einem Spieltisch. © dpa / Helmut Fricke

"Hier entwickeln sich Bekanntschaften, mit denen könnte man sofort arbeiten, innerhalb von fünf Minuten oder nach zwei Sätzen", beschreibt der 59 Jahre alte Peter aus dem Ruhrgebiet, warum er sich bei Mensa wohlfühlt. Die Feststellung Hochbegabung habe ihr Privatleben verändert, berichtet Beyer. Sie habe zu Mensa gefunden und damit auch aus ihrer Einsamkeit heraus.

Das Durchschnittsalter der Mensa-Mitglieder in Deutschland liegt bei etwa 38 Jahren, wie Jäger sagt. Rund zwei Drittel sind Männer, ein Drittel Frauen und der Anteil diverser Menschen wachse. Das Berufsfeld ist bunt, die Zahl der Mitglieder steige deutlich, auch weil Autismus und ADHS häufiger getestet würden und dabei oft auch der IQ ermittelt werde, sagt Jäger.

"Es ist ja nicht so, dass Du ab einem IQ von 130 ein völlig anderer Mensch bist."

Sybille Beyer, Sprecherin von Mensa Deutschland

"Man trifft hier interessante Leute und man lernt unverhoffte Dinge, über die man sonst nie stolpern würde", sagt Annette. Steuererklärungen, Elementarphysik, Archäologie und KI führt die 54-Jährige als Beispiele an, die ihren Nachnamen nicht nennen will.

"Man wird hier auf sehr interessante Ideen gebracht", sagt Peter aus Köln und erzählt von einer 62 Kilometer langen Strecke in Nepal zum Mount Everest Basecamp. Der 64 Jahre alte Informatiker studiert jetzt Physik, damit ihm nach dem Berufsleben nicht langweilig wird.

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Hochbegabung habe viele Facetten, sagt Beyer. Das Mensa-Vereinsleben sei daher sehr vielfältig. Sowohl bei den Stammtischen als auch zu den Deutschland-Treffen wie in Mainz seien auch Nicht-Mitglieder willkommen. "Es ist ja nicht so, dass Du ab einem IQ von 130 ein völlig anderer Mensch bist."

Was Hochbegabte gemeinsam haben

Ein paar Vorlieben und Verhaltensweisen seien unter Hochbegabten oft zu finden, erzählen die Mensaner: Schnelles Sprechen, eine Abneigung gegen "sinnlosen Smalltalk", dafür in Gesprächen aber ein rasches Springen von Thema zu Thema – und eine Vorliebe für knifflige Spiele, zählen sie auf. "Laute Geräusche, grelles Licht, zu viele Menschen, Mords-Gewusel – das ist etwas, was viele von uns ganz schwer abkönnen", berichtet Beyer. Und gerade Jüngere suchten meist Kontakt zu Älteren.

Annettes Töchter sind auch hochbegabt. Ob dies das Familienleben einfacher mache, könne sie nicht beurteilen, sagt die Apothekerin. "Wir haben bei uns zu Hause jedenfalls die Karte "Nerdschutzgebiet" aufgehängt."

"Mensa ist meine Wahlfamilie", sagt Mel Jäger aus Münster. "Man kommt mit Leuten in Kontakt, die man sonst nicht gekannt hätte." Das gelte weltweit, der Dachverband zähle 150.000 Mitglieder. "Mit dem Couchsurfing-Programm zum Beispiel kann man jederzeit irgendwo unterkommen." Sie habe schon ihren gesamten Urlaub mit Mensanern in aller Welt geplant. Dazu komme im Herbst ein seltenes Ereignis in Deutschland: das Welt-Treffen in Düsseldorf. (dpa/bearbeitet von mak)

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