Ein Erlebnis hat Eckart von Hirschhausen nachhaltig geprägt: Er beobachtete einen Pinguin, der an Land völlig unbeholfen wirkte. Im Wasser allerdings - seinem Element - glitt er elegant dahin. Den Pinguinen und ihrem Verhalten widmet Hirschhausen sein neues Buch. Im Interview berichtet er, was wir seiner Ansicht nach aus der Pinguin-Geschichte lernen können.
Sie haben beim Besuch eines Zoos einen Pinguin an Land für "eine volle Fehlkonstruktion" gehalten, erzählen Sie in Ihrem neuen Buch. Was passierte dann?
Wie hat Sie das beeinflusst?
Die Pinguin-Geschichte habe ich mir nicht ausgedacht - sie ist mir passiert und hat mich ermutigt, mich zu verändern. Ich habe selbst unterschätzt, welche heilsame Kraft in der Metapher des Pinguins steckt. Ein Video, in dem ich die Geschichte erzähle, wurde auf YouTube über eine Million Mal angeklickt. Therapeuten, Lehrer und viele andere, die mit Menschen zu tun haben, nutzen sie. Und ein ganzes Kapitel meines Buchs besteht nur aus Rückmeldungen von persönlichen Erfahrungen, die andere mit dieser Geschichte gemacht haben.
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Können wir solche augenöffnenden Momente, wie Sie ihn hatten, auch bewusst herbeiführen?
Ja, klar! Das geht gut in der Natur, in der Stille, aber auch beim Tanzen oder Singen. Wenn man mal die Sau rauslässt, ist das oft nicht der schlechteste Persönlichkeitsanteil. (lacht) Pinguine haben etwas unmittelbar Komisches. Ich habe lange gezögert, ein Buch daraus zu machen, bis ich mit Stefan Christmann einen genialen Naturfotografen gefunden habe, dessen einmalige Bilder allein beim Blättern schon Freude machen.
"Wir sind füreinander gemacht – nicht gegeneinander."
Ich kann mich immer wieder amüsieren, wie die Küken unter den wärmenden Bäuchen der Eltern herausschauen, um mit den anderen Küken zu quatschen. Wie die Eltern sich über eine Art Synchrontanz wiedererkennen. Oder wie die Kolonie bei Kälte zusammensteht und gemeinsam La Ola macht. Da können wir uns viel von abschauen: Wir sind füreinander gemacht – nicht gegeneinander.
Die richtige Umgebung ist wichtig, damit zum Vorschein kommen kann, was in einem steckt – so die Lehre aus der Pinguin-Geschichte. Woran merkt man aber, dass man in der richtigen Umgebung ist – oder in der falschen?
Was ich oft erlebt habe: Viele Menschen wissen gar nicht, worin sie richtig gut sind. Weil ihnen so selbstverständlich vorkommt, was sie tun. Frag andere, wer du bist. Schau nicht zu lange nach deinem Bauchnabel oder in den Spiegel. Selbsterkenntnis funktioniert im Dialog mit einem echten Gegenüber oft besser als im stillen Kämmerlein. Und wenn dir etwas leichtfällt, ist das kein Grund, es für wertlos zu halten oder gar sein zu lassen. Vielleicht wird davon gerade mehr gebraucht, weil es anderen eben nicht leichtfällt.
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Nach dieser Selbsterkenntnis sollte der Sprung ins Ungewisse folgen. Doch das ist oft gar nicht so einfach. Was hält uns davon ab? Und welcher Gedanke hilft, wenn man merkt, dass man sich selbst zurückhält?
Warum willst du so sein wie andere? Andere gibt es doch schon genug! Jede Veränderung bringt ein gewisses Risiko mit sich. Aber es gibt smarte Wege, dieses Risiko zu minimieren: Erst kleine Schritte ausprobieren, Nebenprojekte starten, ein Sicherheitsnetz aufbauen. Klar, man kann auch bei dem großen Sprung auf die Schnauze fallen. Aber das viel größere Risiko ist doch, ein Leben lang unglücklich zu bleiben.
Spielt bei der Angst vor Veränderung auch eine Rolle, dass wir uns zu häufig mit anderen vergleichen?
Unbedingt. Und Social Media macht das deutlich schlimmer. Ständig vergleichen wir uns mit anderen, zu unseren Ungunsten. Wer wissen will, wie Menschen wirklich aussehen, sollte nicht scrollen, sondern in die Sauna. Da sieht man alle ungeschminkt. Eine weitere Stolperfalle: Wir kennen von unserem "Mist" im Kopf 100 Prozent, wir sind automatisch Zeuge aller dummen Gedanken, die uns zwischendurch das Hirn zumüllen. Und das darf man halt nicht allzu ernst nehmen. Jeder Mensch kennt seine eigenen Zweifel, Unsicherheiten und Fehler – die der anderen sehen wir aber nur von außen. Wir vergleichen also unser "Making-of" des Selbstbewusstseins mit dem Hochglanz-Endprodukt der anderen. Das führt dazu, dass wir oft schlechter von uns denken, als es tatsächlich der Fall ist. Wenn man das einmal verstanden hat, geht man hoffentlich ein bisschen liebevoller mit den eigenen Macken um.
"Hätte ich doch …" oder "Damals wollte ich eigentlich …" – Sätze wie diese hört man immer wieder. Was, wenn man eine Entscheidung bereut? Wie schafft man es, nach vorne zu blicken und Vergangenes ruhen zu lassen?
Unter einem der Fotos von einem Pinguin, der allein durch die Gegend läuft, steht: "Umwege erhöhen die Ortskenntnis." Und die große Frage steht unter einem Foto mit Spuren im Schnee: "Wer möchte ich gewesen sein?" Wir hinterlassen Spuren, mit allem, was wir tun, und allem, was wir nicht tun. Was werden wir mehr bereuen? Worauf möchte ich einmal zurückschauen? Und wie werden wir zu guten Vorfahren? Und da kommt es auf die eine oder andere Bauchlandung nicht an. Hauptsache, wir stehen wieder auf.
Über den Gesprächspartner
- Dr. Eckart von Hirschhausen ist Arzt, TV-Moderator und Gründer der Stiftung "Gesunde Erde – Gesunde Menschen". In seinen Impulsvorträgen möchte er den aktuellen Stand der Wissenschaft leicht vermitteln und Menschen bewegen. Sein Fachgebiet ist die "planetare Gesundheit". Kürzlich veröffentlichte er das Buch "Der Pinguin, der fliegen lernte".
- Sie haben schon mal ein Pinguin-Erlebnis gehabt? Ihre Geschichte können Sie Eckart von Hirschhausen per Mail an pinguin@hirschhausen.com zuschicken.
Hinweis
- Das Interview wurde aus Zeitgründen schriftlich geführt.
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