Hin und wieder zu grübeln, ist normal. Nehmen negative Gedankenschleifen aber überhand, sollte man etwas ändern. Wann Nachdenken mehr schadet als nützt und wie dann eine Stoppuhr helfen kann.
Warum immer ich? Was habe ich falsch gemacht? Warum habe immer ich solche Probleme und die anderen nicht? Warum scheitere ich daran, eine längere Beziehung zu führen? Warum gehen bei mir alle Dinge schief? Wer solche Gedanken kennt, der grübelt womöglich.
Wobei Grübeln nicht gleich Grübeln ist. Umgangssprachlich bedeutet grübeln, jemand denkt angestrengt nach, sinniert und brütet, wie ein Problem zu lösen sein könnte. Psychologen verstehen darunter hingegen etwas anderes: eine negative Art des Nachdenkens über Probleme, bei der sich dieselben Gedankenschleifen immer und immer wiederholen, nie zu einem Ergebnis führen und sich gedanklich kaum stoppen lassen. Eine zugespitzte Version des Alltagsgrübelns sozusagen.
Eine recht gefährliche noch dazu. Im Kontext psychischer Krankheiten findet das Grübeln inzwischen stärkere Beachtung – als Symptom, aber auch als Auslöser für Erkrankungen der Psyche. Wer ständig grübelt, sollte etwas dagegen unternehmen. Doch wann wird das Grübeln zu viel? Und was kann man überhaupt dagegen tun?
Frauen grübeln mehr als Männer
Zunächst mal sei gesagt: Jeder grübelt hin und wieder, manche Menschen häufiger als andere, Frauen im Durchschnitt etwas mehr als Männer. Das Alltagsphänomen ist sogar nützlich, wie Thomas Ehring, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie, erklärt. Er sagt: "Grübeln ist erstmal ein hilfreicher psychologischer Prozess." Durch das Grübeln richte man seine Aufmerksamkeit auf ein Problem, das einen beschäftige und mit dem man sich daher auseinandersetzen müsse.
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"Hilfreiches Grübeln bedeutet ein Nachdenken über Probleme, damit man eine Lösung finden kann", sagt Ehring. Wenn es diese Funktion erfülle, sei Grübeln auch nichts Schlechtes. Man kann sich das gut vorstellen: Wer über seine Beziehung grübelt und im Ergebnis künftig öfter mal Blumen mitbringt oder was Leckeres kocht, dem hat das Grübeln sicher geholfen.
Es kann aber auch passieren, dass man ständig über etwas nachdenkt, ohne sich der Lösung auch nur ein Stückchen zu nähern. Nimmt dieses sogenannte dysfunktionale Grübeln überhand, kann das zum Problem werden. Heute wissen Forscherinnen und Forscher, dass dysfunktionales Grübeln eine zentrale Rolle bei vielen psychischen Problemen spielt. Es erhöht das Risiko, eine Depression, eine Angststörung oder eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zu entwickeln; auch schlafen Grübler schlechter.
Probleme können aber auch andersherum entstehen: Psychische Störungen können zum Grübeln führen oder es verstärken. Das wiederum manifestiert die Krankheit – ein Teufelskreis. Deswegen ist es wichtig, die Grübelei im Blick zu behalten.
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Eine Lösung: Die Zwei-Minuten-Regel
Edward Watkins, Psychologie-Professor an der britischen University of Exeter, hat dazu eine Gesetzesmäßigkeit formuliert: Wer funktional nachdenkt, der stellt Wie-Fragen, also "Wie kann ich das Problem lösen?" oder "Wie kann ich mein Ziel erreichen?". Wer hingegen dysfunktional grübelt, der stellt Warum-Fragen. Etwa: "Warum ist mir das bloß passiert?"
Eine Alternative bietet die "Zwei-Minuten-Regel" der US-amerikanischen Psychologen Michael Addis und Christopher Martell. Sie raten: Wenn man merkt, dass man gerade wieder nachdenkt: Einfach zwei Minuten damit weitermachen. Danach stelle man sich folgende drei Fragen:
- Bin ich mit der Lösung vorangekommen?
- Habe ich etwas verstanden, was mir vorher noch nicht klar war?
- Bin ich in der Zeit weniger selbstkritisch und/oder weniger depressiv geworden?
Wer nicht wenigstens einmal klar "Ja" sagen könne, der habe vermutlich gerade dysfunktional gegrübelt.
Wer sich nun häufiger beim Grübeln ertappt und etwas dagegen unternehmen möchte, für den hat der Münchner Psychologie-Professor Thomas Ehring drei Strategien parat. "Erstens kann helfen, sich bewusst zu machen, dass Grübeln zu einer Gewohnheit werden kann", sagt Ehring. "Wer immer in bestimmten Situationen grübelt, kann versuchen, etwas an der auslösenden Situation zu verändern."
Viele kommen ins Grübeln, wenn sie abends ins Bett gehen. Wenig Reize, allein mit seinen Gedanken – beste Grübel-Bedingungen. Ein paar Tage später mag das Grübeln ein zweites Mal einsetzen – wer hier nicht aufpasst, gewöhnt sich das Grübeln schnell an und allabendlich dreht sich das Gedankenkarussell.
Wer einen solchen Zusammenhang bemerkt, sollte sich fragen, wie er den Rhythmus durchbrechen kann. "Wenn ich merke, dass ich immer abends im Bett anfange zu grübeln, kann es helfen, eine andere Routine vor dem Schlafengehen zu entwickeln", sagt Ehring. "Wenn man Gewohnheiten verändern will, hilft es, die Umgebung oder die Situation zu verändern und sich bewusst zu machen, was die Auslöser für das unerwünschte Verhalten sind und wie man sie verändern könnte."
Es kann helfen, einen anderen Umgang mit Stress zu üben
Der zweite Tipp zielt darauf ab, die Art des Denkens zu verändern. Klingt kompliziert bis unmöglich, doch das muss es nicht sein. "Wenn man sich die Gedanken beim Grübeln genauer anschaut, sind sie in der Regel sehr vermeidend", sagt Ehring. "Man glaubt, über ein Problem nachzudenken, aber im Grunde setzt man sich gar nicht richtig damit auseinander."
Beispiel Beziehung: Kommt man immer wieder ins Grübeln, warum man nicht glücklich ist, alle anderen aber vermeintlich schon, führen solche Gedanken häufig zu Sorgen und Selbstzweifeln. Sie führen aber nicht dazu, dass man sich überlegt, woher die Sorgen im Detail kommen und was man dagegen tun kann.
"Um das zu ändern, kann man sich hinsetzen, das Problem aufschreiben und dabei ganz konkret werden", sagt Ehring. Also etwa: Wie fühle ich mich? Wie hängt das Gefühl mit der Beziehung zusammen? Was ist mir wichtig in einer Beziehung und was fehlt mir in meiner? Welche konkreten nächsten Schritte möchte ich unternehmen – etwa, das Gespräch mit meiner Partnerin oder meinem Partner suchen. "Sich solche konkreten Fragen zu stellen, bedeutet zwar viel mehr Konfrontation und Aushalten negativer Gefühle als die üblichen Grübelgedanken, ist aber langfristig hilfreicher", sagt Ehring.
Drittens kann es helfen, anders mit Stress oder Belastung umzugehen. "Grübeln tritt häufig in Situationen auf, in denen man sich hilflos, belastet oder gestresst fühlt und nicht weiß, wie man anders reagieren soll", sagt Ehring. "Man kann aber trainieren, mit solchen Situationen anders umzugehen."
Als Alternativprogramm kommt allerlei infrage: von Entspannungs- oder Atemübungen über Achtsamkeitstrainings, Yoga oder kleine Lockerungsübungen bis hin zu Sport. "Das alles sind Dinge, die gut gegen Grübeln helfen können", sagt Ehring. "Man muss sie aber üben und lernen, sie in den Alltag zu integrieren. Das erfordert ein bisschen Training."
Sollten all diese Strategien fehlschlagen und nimmt das Grübeln eher noch zu, sollten Betroffene überlegen, ob die Selbsthilfe an ihre Grenzen gelangt ist. Ob es die Hilfe eines Profis braucht, um den Gedankenschleifen zu entkommen.
In der Tat fällt es vielen Menschen schwer, einzuschätzen, ob dieser Punkt schon erreicht ist. Sie müssen das aber gar nicht selbst herauszufinden, wie Thomas Ehring sagt, denn schon für diese Einschätzung seien die Profis da: "Wenn man merkt, dass man seinen Alltag nicht mehr bewältigen kann oder man sich durch psychische Symptomatik belastet fühlt, kann man gut mal eine Sprechstunde bei einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin aufsuchen. Wenn ich mich seit längerer Zeit schlapp fühle oder Schmerzen habe, gehe ich ja auch mal zum Arzt und lasse mich untersuchen."
Über den Gesprächspartner
- Thomas Ehring ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und hat ein Buch über "Pathologisches Grübeln" geschrieben.
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