Warum es uns das Herz brechen kann, wenn Freunde aus unserem Leben verschwinden, welcher Gedanke jetzt hilft und wie wir lernen könnten, den Elefanten im Raum besser zu benennen.
Es ist eine der vielleicht härtesten Lektionen des Erwachsenwerdens: Es gibt Freundschaften, die nicht für die Ewigkeit bestimmt sind. Manchmal driften Menschen einfach auseinander. Sie lernen Menschen kennen, die besser zum neuen Lebensabschnitt passen.
Und dann gibt die Freundschaften, die einfach so wegbrechen, ohne, dass man selbst sagen könnte, woran es genau liegt. Plötzlich braucht die andere Person nicht mehr wenige Momente, um auf eine Whatsappnachricht zu antworten, sondern mehrere Tage. Irgendwann kommt gar keine Reaktion mehr.
Anja Wermann ist Diplom-Psychologin. In ihrer "Ghosting-Ambulanz" im Berliner Stadtteil Kreuzberg spricht sie mit Menschen, die darunter leiden, geghostet worden zu sein. In erstaunlich vielen Fällen geht es dabei nicht um Liebschaften, sondern um Freunde, die ohne viele Worte aus dem Leben verschwinden, erklärt sie unserer Redaktion.
Wenn langjährige Freundschaften ganz unvermittelt wegbrechen, kann das laut Wermann gravierende Folgen für Betroffene haben, weil man sich auf den anderen verlassen hat. "Wenn die andere Person geht, kann das eine große Angst auslösen: Worauf kann ich mich noch verlassen? Wird nicht die nächste Freundin, der nächste Freund dann auch plötzlich gehen?", erklärt die Psychologin.
Hier kann die Arbeit an eigenen negativen Glaubenssätzen und Verhaltensmustern helfen, die man vielleicht verinnerlicht hat. Das können Gedanken sein wie
- "Ich bin nicht liebenswert genug" oder
- "Niemand hält es auf Dauer mit mir aus".
Laut Wermann ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass Ghosting oft mehr über die andere Person aussagt als über einen selbst. Zum Beispiel über deren Unvermögen, Konflikte anzusprechen oder auszutragen. "Außerdem hilft es, sich die Menschen zu vergegenwärtigen, die beständig im eigenen Leben sind, und den Fokus vom anderen weg ('Warum hat er/sie mich geghostet?') wieder zurück auf das eigene Leben zu holen ('Was baut mich wieder auf? Was brauche ich gerade?')".
Wieso Menschen in Freundschaften ghosten
Doch woran liegt es eigentlich, dass sich manche Menschen in Freundschaften still und leise verabschieden? Ein Grund dafür kann Konfliktscheue sein. Man spricht nicht an, was einen an der anderen Person oder in der Freundschaft stört und geht stattdessen auf Abstand. Dabei spielt laut Wehrmann eine Rolle, was man als Kind gelernt hat. "In manchen Familien gibt es offiziell gar keine Konflikte. Alle sind sehr auf Harmonie getrimmt und alles wird unter den Teppich gekehrt. Wie soll man da lernen, Konfliktgespräche zu führen?"
Lesen Sie auch
Das führt dazu, dass uns gerade in den wichtigen, schwierigen Momenten oft die richtigen Worte fehlen. Ein Missstand, den auch Wermann sieht. "Ich fände es schön, wenn wir ein Schulfach 'Kommunikation' hätten, in dem wir das lernen würden."
Wer Geld und Zeit investiert, könne zumindest als erwachsener Mensch lernen, wie man gesünder kommuniziert. Wermann nennt gewaltfreie Kommunikation als Beispiel. Es gehe darum, von sich selbst zu sprechen, statt dem Gegenüber Vorwürfe zu machen. Zu sagen, welche Bedürfnisse nicht erfüllt werden, welche Gefühle das auslöst. "Man lernt, um die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse zu bitten statt zu fordern, was die Fronten oft verhärtet."
Und was, wenn ich die Person bin, die sich zurückzieht?
Was aber, wenn ich selbst die Person bin, die sich aus der Freundschaft zurückzieht - wenn ich ghoste? Laut Wermann sollte man sich fragen, ob es fair ist, sich einfach zurückzuziehen. "So hat der Freund ja auch gar keine Chance, etwas anders zu machen - oder die Freundschaft abzuschließen mit dem Gedanken: Wenn sie oder ihn das so stört, hat es nicht genug gepasst zwischen uns."
Über die Gesprächspartnerin
- Anja Wermann ist Diplom-Psychologin. Neben Paar-, Single- und Sexualberatung berät sie Menschen auch in ihrer "Ghosting-Ambulanz".
Verwendete Quellen
- Videocall und schriftliches Interview mit Anja Wermann