Altern stellt für viele Menschen eine körperliche wie emotionale Herausforderung dar. Dabei kann laut Franziska Rubin die Lebensmitte für Frauen zur besten Zeit ihres Lebens werden - "und genau diese Jahre gilt es positiv anzupacken und erfüllend zu gestalten", plädiert die Ärztin und Moderatorin.
Beim Gedanken an die zweite Lebenshälfte denken viele Menschen häufig an die Midlife-Crisis oder altersbedingte Gebrechen und Herausforderungen. Warum neigen wir dazu, Altern zunächst mit etwas Negativem zu assoziieren?
Franziska Rubin: Dass wir das tun, war nicht immer so, und auch in anderen Kulturvölkern ist das Verhältnis zum Altern häufig ein anderes. Umfragen zeigen aber, dass wir Altern mit Gebrechlichkeit, Abbau und Verlust verbinden. Dabei ist eigentlich das Gegenteil der Fall, denn im Alter werden wir erfahrener, klüger und gelassener und genau das ist etwas Tolles. Und auch Studien zeigen, dass es ab der Lebensmitte eher auf- statt abwärts geht mit unserem Glücksgefühl.
Über die Gesprächspartnerin
- Franziska Rubin (56) ist eine deutsche Fernsehmoderatorin, Medizinjournalistin, Ärztin und Bestsellerautorin zu den Themen Gesundheit, Hausmittel und gesundes Kochen. Als TV-Moderatorin präsentierte sie unter anderem 17 Jahre lang die Gesundheitssendung "Hauptsache Gesund" des MDR.
Inwiefern geht es eher aufwärts?
Rund um die Lebensmitte haben wir in der Regel ganz schön viel Stress, mit Job, Kindern und Hausabzahlen, danach wird es leichter, wir kennen uns besser und haben in unserem Leben in der Regel bereits einiges erreicht. Wir scheren uns nicht mehr so viel um die Meinung der anderen und wissen auch, was wir wollen. So können wir uns all dem Neuen, was kommt, öffnen und widmen. Und genau das können wir mit viel Kraft tun. Eine heute 20-Jährige kann statistisch betrachtet 100 Jahre alt werden und auch ich habe mit meinen heute 56 Jahren statistisch betrachtet noch 30 gute Jahre vor mir – und genau diese Jahre gilt es positiv anzupacken und erfüllend zu gestalten.
Eben diesem Thema widmen Sie sich in Ihrem neuen Buch "Magic Midlife: Wie die zweite Halbzeit zur besten Ihres Lebens wird". In diesem Zusammenhang fällt ein wichtiges Stichwort: Weichen stellen. Wie stellt man die Weichen für eine gesunde und glückliche zweite Lebenshälfte?
Da ist erst mal die Haltungsfrage. Klar ist Altern nicht immer lustig, aber es kann noch viel Gutes kommen. Manche Menschen werden hart, starr in ihren Meinungen und igeln sich eher ein. Diese geistige Unbeweglichkeit macht oft krank, wir wissen, dass unser Gehirn von neuen Reizen und positivem Denken profitiert. Es ist wichtig, für Neues offen zu sein und sich zu interessieren. Indem wir diese gedankliche Weiche stellen, bleiben wir geistig beweglich, jung und offen.
Es gibt aber auch körperliche Weichen, die wichtig sind. Damit meine ich zum Beispiel, dass es Lebensmittel gibt, die sich besonders für die zweite Lebenshälfte eignen. Die uns das geben, was wir brauchen, ohne uns zu schwächen. Dazu kommt das leidige Thema Gewicht. Leider ist es tatsächlich so, dass wir von ganz alleine zunehmen mit den Jahren. Schleichend wird in uns Muskel in Fett umgebaut. Ich kenne das Thema nur zu gut. Was jetzt zählt, ist sich mehr zu bewegen, und zwar so, dass es einem Spaß macht. Am besten jeden Tag eine halbe Stunde raus an die frische Luft, spazieren gehen, auch mal bergauf laufen und ein bisschen was für die Muskeln tun – egal ob im Garten, beim Tennis oder im Fitnessstudio.
Gibt es neben den gedanklichen und körperlichen noch weitere Weichen?
Ja, die gibt es. Zwischenmenschliche Beziehungen stellen beispielsweise eine wichtige Weiche dar. Viele ältere Menschen unterschätzen es, wie wohltuend es ist, sozial integriert und aktiv zu bleiben. Gerade das Alleinsein ist ein gesundheitlicher Risikofaktor. Gute Beziehungen zu Familienangehörigen und Freunden, neuen wie alten, sind ganz wichtig, wir können einander unterstützen. Eine weitere Weiche ist die Akzeptanz der Endlichkeit. Wenn ich verstehe, dass vielleicht mehr Lebenszeit hinter mir liegt als vor mir, dann weiß ich, wie wertvoll die Zeit ist, die mir bleibt. Und es ist ein Appell, sie gut zu gestalten.
Wir sprechen also immer von Prozessen, die in uns stattfinden.
Absolut. Ich persönlich vergleiche die Wandelzeit, das "Magic Midlife", gerne mit der Pubertät, denn wir sprechen hier von einer spannenden und besonderen Zeit. Was damals die Pickel waren, sind jetzt die Falten oder bei Frauen möglicherweise die Wechseljahrsbeschwerden und bei Männern die typische Midlife-Crisis (lacht). Trotzdem bietet diese Zeit immer Potenzial, neu und gestärkt aus ihr hervorzugehen.
Sie vergleichen in dem Buch das Lebensglück mit einem U, dessen Tiefpunkt mit 42,9 Jahren erreicht ist. Was hat es mit diesem Tiefpunkt auf sich?
Forschungen und Umfragen weltweit haben ergeben, dass das Lebensglück gewissermaßen in einer U-Form darstellbar ist. Dieses Lebensglück sinkt ab dem 18. Lebensjahr und erreicht statistisch betrachtet den Tiefpunkt mit 42,9 Jahren. In dieser Lebensphase sind die Menschen häufig mit Themen wie Hausbau, Eigenheim-Finanzierung, Beruf, Care-Arbeit oder Kindererziehung konfrontiert. Bedeutet: In dieser Zeit des Lebens strömt in der Regel viel auf den Menschen ein. Lassen diese Belastungen mit der Zeit nach, geht auch die grafische Darstellung, wie unser Befinden, wieder bergauf. Denn nicht nur unsere Lebenssituation verändert sich, sondern auch unser Gehirn, das damit beginnt, Herausforderungen anders zu bewerten. Rein statistisch gesehen sind wir zwischen 40 und 45 Jahren also am unglücklichsten mit unserem Leben.
Verläuft die U-Kurve bei Männern und Frauen identisch?
Interessanterweise nicht. Bei Männern verläuft sie etwas steiler als bei Frauen. Frauen befinden sich im Vergleich länger in der Tiefpunktphase, während Männer statistisch betrachtet zwar schnell den Tiefpunkt erreichen, diesen aber auch schneller wieder verlassen. Dieser Effekt spiegelt sich dann in der häufig beschriebenen Wahrnehmung einer Midlife-Crisis wider.
Also starten Frauen anders in die zweite Lebenshälfte als Männer?
Ja. Meiner Meinung nach hat das viel mit unserem Gesellschaftsbild zu tun, was vor allem durch die sozialen Medien intensiviert wird. Der Druck auf Frauen ist deutlich größer als auf Männer. Hier lohnt sich beispielsweise ein Blick auf Profile in Dating-Plattformen. 50 Prozent der über 50-Jährigen sind Singles. Dabei ist es wichtig einzuordnen, dass eine Ü-50-Frau vergleichsweise selten von Gleichaltrigen oder jüngeren Personen angeschrieben wird, während ein Ü-50-Mann verhältnismäßig häufig von jüngeren Frauen kontaktiert wird. Hier spielen verschiedene Beweggründe, wie etwa die Versorgerthematik, eine Rolle. Aber auch unsere gesamtgesellschaftliche Bewertung von Alter, besonders bei Frauen, ist in diesem Zusammenhang von Relevanz. Umso mehr appelliere ich an unsere Generation, diese Glaubenssätze über Bord zu werfen. Viele Frauen ab dem "Magic Midlife" sind der Knaller!
Was sollte Ihre Generation demnach tun?
Ich bin 56 und empfinde es als durchaus angenehm, dass ein Mann nicht mehr sprichwörtlich gegen eine Laterne läuft, weil er sich auf der Straße den Kopf nach mir verdreht. Denn es ist doch viel wichtiger, dass wir versuchen, ein neues Bild von uns zu zeichnen. Früher war es gewissermaßen unmöglich, mit 50 Jahren einen neuen Job zu bekommen. Heute freue ich mich für meine Freundin, die kürzlich mit 63 Jahren eine Festanstellung bekommen hat. Unsere Generation hat ganz neue Möglichkeiten. Wir wissen viel mehr, wer wir sind, was wir können, was wir wollen und was wir nicht mehr wollen in unserem Leben. Und an genau dieser Stellschraube gilt es zu drehen, um neue Glaubenssätze zu schaffen – allen gesamtgesellschaftlichen Stereotypen zum Trotz.
Was raten Sie Frauen, die mit starken Wechseljahrsbeschwerden zu kämpfen haben?
Ich beobachte, dass betroffene Frauen ihre Hormonschwankungen und Beschwerden heute anders wahrnehmen. Das Schwanken der Hormone sorgt dabei für wechselhafte Probleme. Es braucht also für jede Lebensphase andere Tipps. Ich für meinen Teil bin eine Vertreterin der Naturheilkunde und kann auch aus eigener Erfahrung sagen, dass man Wechseljahrsbeschwerden mithilfe von Naturheilkunde und entsprechender Ernährung sehr gut in den Griff bekommen kann. Es ist gegen fast alles ein Kraut gewachsen und es gibt auch viele gute Anwendungen. Egal ob Traubensilberkerze gegen Schweißausbrüche und für starke Knochen, Johanniskraut gegen Stimmungsschwankungen, Rosmarin bei Haarausfall oder Granatapfel und Sanddorn gegen trockene Haut und Schleimhäute. So brauchen nur die wenigsten Frauen bioidentische Hormone. Es bleibt immer eine sehr individuelle Entscheidung.
Wechseljahre und Wechseljahrsbeschwerden werden häufig weiterhin tabuisiert. In der Folge wird demnach also auch das Älterwerden stigmatisiert.
Absolut. Aber es tut sich grad was. Frauenleiden haben eine nicht so große öffentliche Plattform wie Männerbeschwerden, auch mit Blick auf vermeintlich tabuisierte Themen. Heißt: Es lässt sich leichter über Erektionsstörungen sprechen, als über vaginale Trockenheit. Diese Tatsache bringt mich erneut zu dem bereits angesprochenen Punkt, dass es umso wichtiger für unsere Generation ist, mit diesen Tabus zu brechen.
Sollte Älterwerden nicht viel mehr als Privileg verstanden werden? Immerhin darf nicht jeder Mensch altern …
So ist es. Diese Erkenntnis wird uns vor allem dann bewusst, wenn wir oder ein Mensch aus unserem Leben schwer erkranken und wir mit dem Tod konfrontiert werden. Eine Patientin sagte mal zu mir: "Ich muss gehen und ihr dürft alle weiterleben." Insofern spielt Wertschätzung für die Zeit, die uns bleibt, und Selbstfürsorge beim Älterwerden eine große Rolle. Genau dafür steht auch das "Magic Midlife": Ich nehme mir jeden Tag etwas vor, was mir Spaß macht. Und schaue, dass ich noch mal richtig Wind unter die Flügel bekomme.
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