- Ein Mensch, der längere Zeit alleine ist, muss nicht unbedingt einsam sein.
- Das Gefühl der Einsamkeit hat andere Gründe, erklärt Psychologe Marcus Mund von der Uni Jena im Interview.
- Ob der Lockdown die Menschen einsamer macht, lässt sich nicht pauschal beantworten. Das hänge von verschiedenen Faktoren ab.
Einsamkeit wird oft mit Stress gleichgesetzt. Warum eigentlich? Manche Leute ziehen sich sogar freiwillig in die Einsamkeit zurück, um Ruhe zu haben.
Marcus Mund: Das sind zwei unterschiedliche Sachen. Das eine ist, wenn ich freiwillig alleine sein möchte, niemanden sehen will, in ein Kloster gehe. Dieses Alleinsein wird als positiv empfunden und kann jederzeit beendet werden. Einsamkeit ist ein längerer Gefühlszustand, der durchweg als negativ empfunden wird. In der wissenschaftlichen Literatur ist auch von sozialem Schmerz die Rede.
Wie entsteht das Gefühl der Einsamkeit genau?
Bei Einsamkeit nehmen Menschen Defizite in ihren sozialen Beziehungen wahr. Das muss sich nicht unbedingt auf die Anzahl der Freunde beziehen, also auf die Quantität. Es kann auch an der Qualität liegen. Jemand, der viele Freunde hat, aber diese Freundschaften ihm nicht intim genug sind, kann sich ebenfalls einsam fühlen. Und jemand, der wenige Freunde hat, muss sich nicht einsam fühlen. Von außen ist es deshalb schwer einzuschätzen, ob sich jemand einsam fühlt oder nicht.
Und wie kommt es bei Einsamkeit zu diesem Stressgefühl?
Einsamkeit wird als bedrohlich empfunden. Nach der Theorie handelt es sich um ein Spannungsfeld im Kopf, das der Betroffene beenden will. Die Person will sich einerseits selber davor schützen und soziale Kontakte aufbauen, andererseits können sich einsame Menschen nicht so schnell öffnen, sind schüchtern oder haben ein geringeres Selbstwertgefühl. Das Spannungsfeld ist also: Ich möchte die Einsamkeit beenden, aber ich kann nicht. Dazu kommt noch, dass chronisch einsame Menschen Reize aus der Umwelt oft als negativ oder gegen sich gerichtet wahrnehmen.
Kann dann Einsamkeit auch eine Chance sein?
Einsamkeit wird als durchweg negativ wahrgenommen und ist schädlich. Hier gilt wieder der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein. Dahingehend bietet Alleinsein viele Chancen. Man kann einen klaren Kopf bekommen, sich über Dinge bewusst werden, neue Sachen ausprobieren, andere soziale Kontakte aufbauen, das kann positive Ergebnisse haben. Bei Einsamkeit ist das nicht der Fall.
Was machen die Einsamkeitsgefühle langfristig mit Menschen?
Sie sind ein Risikofaktor für Depressionen und chronischen Stress. Einsamkeit kann auch Effekte auf den ganzen Körper haben und zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Bei einsamen Menschen wurden im Blut erhöhte Entzündungsmarker festgestellt. Menschen, die chronisch einsam sind, sterben eher. In der Literatur heißt es dazu, dass Einsamkeit so gefährlich ist wie 15 Zigaretten pro Tag. Das kann aber auch am ungesunden Lebenswandel einsamer Menschen liegen. Sie versuchen oft, negative Gefühle durch Alkohol in den Griff zu bekommen, sitzen durchschnittlich länger und haben einen höheren Body-Maß-Index.
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"Gefühl der Einsamkeit an sich ist ähnlich"
Gibt es unterschiedliche Arten von Einsamkeit?
Das Gefühl der Einsamkeit an sich ist ähnlich. Es entsteht einerseits durch Erlebnisse im Alltag. In diesem Fall vergeht der Gefühlszustand oft wieder. Es gibt aber Einsamkeit auch als Persönlichkeitsmerkmal. Das betrifft Menschen, die immer einsamer sind als andere, unabhängig von dem, was sie erleben.
Was ist das Besondere an diesen Menschen?
Nimmt man die fünf Persönlichkeitsmerkmale, also die sogenannten Big Five, lässt sich sagen, dass einsame Menschen im Vergleich weniger extrovertiert sind, weniger emotional stabil und bei sozialen Kontakten tendenziell ängstlicher. Sie fühlen sich weniger wertvoll, haben einen negativen Blick auf die Welt, das Vertrauen zu anderen Leuten fehlt. Sie fühlen sich in einem Dauerbedrohungszustand.
Und wie wird man zu einem einsamen Menschen? Wird man so geboren oder sind es einschneidende Erlebnisse?
Beides. Studien zeigen, dass die Unterschiede zwischen Menschen auch auf genetischer Ebene zu finden sind, das ist eine erhebliche Komponente. Die Umwelt und die Erfahrungen in sozialen Bereichen verstärken diese Grundausrichtungen aber. Es ist schwer zu sagen, ab welchem Zeitpunkt, ob es mit der Ausgrenzung in der Schule losgeht oder eher oder später.
Was kann ich gegen Gefühle der Einsamkeit tun?
Wichtig zu wissen ist, dass es sich bei Einsamkeit um keine Störung und auch keine Krankheit handelt. Deshalb gibt es auch keine konkrete Therapie. Was jedenfalls nicht funktioniert, sind soziale Kompetenztrainings. Auch Begegnungsstätten oder andere Einrichtungen, in denen Leute gezielt in Kontakt gebracht werden, helfen vermutlich eher gegen soziale Isolation oder gegen kurzfristige Einsamkeitsgefühle. Trotzdem sind das natürlich sehr wichtige und gute Initiativen.
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Tipps gegen Einsamkeit: Was lässt sich dagegen tun
Also lässt sich zunächst wenig machen?
Was man aus eigener Kraft gegen Einsamkeit machen kann, ist Freunde anzurufen, mit vertrauten Personen zu sprechen. Ist das nicht möglich, hilft es kurzfristig trotz aller Schwierigkeiten, Kontakt zu anderen Menschen aufzubauen, um aus der Isolation herauszukommen. Dafür können Orte aufgesucht werden, wo man mit Leuten ins Gespräch kommt, oder anfangs soziale Medien, was oft leichter fällt. Wenn die Einsamkeit so stark ist, dass auch das nicht mehr geht, gibt es sehr leicht zugängliche Hilfsangebote wie Telefonhotlines.
Was bringt langfristig eine Besserung?
Helfen die angesprochenen Dinge nicht oder wird die Einsamkeit zu stark, dann sollten Betroffene professionelle Hilfe suchen. Wenn das nötig ist, ist die Einsamkeit vermutlich schon fast in eine Depression übergegangen. Bei einer Psychotherapie wird beispielsweise langfristig an kognitiven Prozessen gearbeitet, insbesondere an der Interpretation von Situationen. So können Sichtweisen geändert werden, beispielsweise, dass die Umwelt nicht mehr als bedrohlich und beängstigend wahrgenommen wird.
Sie sprachen vorhin von sozialen Medien. Nutzen einsame Menschen häufiger soziale Medien?
Einsame Menschen nutzen zwar oft soziale Medien, aber sie nutzen sie passiver. Sie schauen sich eher Profile und Storys an. Es gibt unterschiedliche Ergebnisse in Bezug auf die Wirkung. Das hängt davon ab, mit welchen Motiven sich jemand mit sozialen Medien beschäftigt. Dazu wird derzeit viel geforscht. Ein klares Bild wird es erst in den nächsten Jahren geben.
Haben die Probleme mit Einsamkeit in Corona-Zeiten zugenommen?
Einerseits zeigen Studien, dass die Einsamkeit generell zugenommen hat. Andererseits wurde festgestellt, dass einsame Menschen durch den Lockdown nicht einsamer geworden sind. Bei den Hilfsangeboten hat sich die Situation ebenfalls nicht groß verändert. Bei der Telefonseelsorge “Silbernetz” für ältere Leute ist Einsamkeit schon immer das Problem Nr. 1 gewesen. Das hat durch Corona nicht zugenommen. Und Lockdown heißt zwar, dass ich andere Menschen schlechter sehen kann. Aber andererseits kann man Menschen auch nah sein, ohne sie direkt treffen zu müssen, durch Telefonate beispielsweise.
Introvertierte Menschen haben Beschränkungen als nicht so schlimm wahrgenommen
Sind die Unterschiede vielleicht damit zu erklären, dass es unterschiedliche Persönlichkeitstypen gibt?
In gewisser Weise ja. In Studien dazu, für wen die Corona-Beschränkungen besonders schwer sind, zeigte sich, dass besonders bei geselligen, extrovertierten Menschen die Lebenszufriedenheit durch den Lockdown abgenommen hat. Im Umkehrschluss könnte man sagen, dass introvertierte Menschen die Beschränkungen als nicht so schlimm wahrnehmen, sie haben mehr Gewohnheit oder mehr Übung, sich allein zu beschäftigen.
Es gibt Menschen, die gehen in den Wald, suchen dort die Einsamkeit und sind damit glücklich. Was unterscheidet sie von anderen Menschen?
Das Einsiedler-Leben ist in der Wissenschaft wenig erforscht. Generell lässt sich sagen: Das Bedürfnis nach sozialen Kontakten und Zugehörigkeit ist angeboren. Bei dem einen ist das Gefühl stärker ausgeprägt, bei dem anderen reichen wenige, zeitlich begrenze Kontakte aus, um glücklich zu sein.
Noch eine abschließende Frage: Was könnte der Grund dafür sein, dass sich Menschen bei unbefriedigenden sozialen Kontakten einsam fühlen?
Eine mögliche Erklärung ist, dass wir von Geburt an auf andere Menschen angewiesen sind. Zunächst auf die Eltern. Wir sind zu diesem Zeitpunkt allein nicht überlebensfähig. Ein weiterer Grund für die Angst vor Einsamkeit ist, dass es in früheren Stadien der Menschheit vorteilhaft war, innerhalb von Gruppen gute soziale Kontakte zu haben. Ansonsten wurde man ausgegrenzt, was damals oft zu bedrohlichen Situationen führte. Das wäre eine evolutionstheoretische Erklärung, warum positive Gefühle mit einem hohen sozialen Status und guten sozialen Kontakten verbunden sind und erklärt andererseits die Angst vor Ausgrenzung.
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