Wie und wann werden Menschen älter? Studien zeichnen ein immer klareres Bild davon. Dabei geht es nicht primär um Krankheiten und den Tod. Sondern eher darum, wie lange die Menschen heutzutage selbstbestimmt leben können.

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Die Wette läuft seit 25 Jahren - und voraussichtlich wird keiner der beiden Wettpartner ihren Ausgang erleben. Im Jahr 2000 behauptete der US-Biologe Steven Austad, damals an der University of Idaho in Moscow, ein damals bereits geborener Mensch werde noch das Jahr 2150 erleben. Der Epidemiologe Jay Olshansky von der University of Illinois in Chicago setzte 150 Dollar dagegen.

Erst drei Jahre zuvor, 1997, war die Französin Jeanne Calment im Alter von 122 Jahren gestorben. Doch bis heute, seit nunmehr 28 Jahren, ist dieser dokumentierte Altersrekord eines Menschen unangefochten.

Niemand weiß, wie sich die Lebenserwartung in den kommenden Jahrzehnten entwickeln wird. Doch neue Studien liefern ein immer klareres Bild davon, wie und wann Menschen älter werden. "Wir altern immer gesünder", sagt der Alternsforscher Christoph Englert vom Fritz-Lipmann-Institut in Jena. So nähmen etwa an sportlichen Wettkämpfen zunehmend Senioren teil.

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Lebenserwartung hat zugenommen: Wie hat sich Gesundheit entwickelt?

Gestützt wird dieser persönliche Eindruck nun von einer Studie. Darin untersuchte ein internationales Forschungsteam um John Beard von der Columbia University in New York nicht die Lebenserwartung und auch nicht, in welchem Alter bestimmte Krankheiten auftraten. Stattdessen ging es um die kognitiven, motorischen, psychischen und sensorischen Fähigkeiten älterer Menschen.

Im Lauf des 20. Jahrhunderts, so das Team, habe die Lebenserwartung in fast allen Ländern zugenommen. Unklar sei jedoch, wie sich die Gesundheit entwickelt habe. Denn viele Menschen erreichten dank moderner Medizin zwar ein höheres Alter, aber möglicherweise verbunden mit einer höheren Krankheitslast.

"Eine passendere Art, den sich wandelnden Gesundheitsstatus zu betrachten, wäre, Trends im Funktionieren zu untersuchen", betont die Gruppe. Sie definiert Gesundheit anhand eines Vorschlags der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Demnach sollte die Einschätzung auf der Fähigkeit eines Menschen beruhen, jene Dinge tun zu können, die ihm wichtig sind - unabhängig von Erkrankungen. Fachleute sprechen von intrinsischer Kapazität.

"Altern ist nicht nur ein biologisches Phänomen, sondern hat auch eine psychologisch-soziale Dimension", bestätigt Alternsforscher Englert. Während das biologische Alter anhand von epigenetischen Markern ermittelt werde, wertete das Team um Beard zwei Langzeit-Datenreihen aus England und China nach Geburtsjahrgängen aus - von 1920 bis 1950.

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Je später Menschen geboren werden, desto länger können sie ihnen wichtige Dinge selbst erledigen

Die englische Studie enthielt Daten zu knapp 15.000 Menschen ab 50 Jahren, die chinesische Untersuchung zu etwa 11.500 Menschen ab 45. Für beide Untersuchungen ist die Tendenz ähnlich: Je später die Menschen geboren wurden, desto länger konnten sie die ihnen wichtigen Dinge selbst erledigen - körperlich wie mental.

Ein 1950 geborener 68 Jahre alter Mensch hatte demnach die Fähigkeiten eines 62-Jährigen, der 1940 geboren war. Und der wiederum war körperlich und geistig fitter als Menschen aus früheren Geburtsjahrgängen, wie die Gruppe im Fachjournal "Nature Aging" berichtete.

"Unsere Studie deutet darauf hin, dass es sowohl in England als auch in China in den jüngeren Kohorten älterer Menschen deutliche Verbesserungen im Funktionieren gab", schreibt die Gruppe. Die Verbesserungen traten in allen Unterkategorien auf und galten für Frauen wie für Männer. "In dieser Studie ist 68 das neue 62", schreibt die Gruppe mit Blick auf die englischen Geburtsjahrgänge 1950 und 1940.

Für viele Menschen könnte 70 das neue 60 sein

"Wir waren überrascht, wie groß diese Verbesserungen waren - insbesondere wenn man Menschen, die nach dem 2. Weltkrieg geboren wurden, mit vorher geborenen Gruppen vergleicht", sagt Beard. "Insgesamt waren die Trends sehr deutlich und deuten darauf hin, dass für viele Menschen 70 das neue 60 sein könnte."

Der Jenaer Experte Englert bestätigt das Resultat: "Wir gehen mit höheren intrinsischen Fähigkeiten ins Alter. Und diese Fähigkeiten nehmen tendenziell flacher ab als früher."

Doch woran liegt das? "Eine offensichtliche einzelne Ursache haben wir nicht gefunden", schreibt das Team um Beard und verweist auf zwei Mechanismen: Einflüsse im früheren Leben, vor allem die deutlich gesunkene Kindersterblichkeit, sowie medizinische Fortschritte.

Demnach erreichten die späteren Geburtsjahrgänge ein höheres Alter bei besserer Gesundheit - insbesondere hinsichtlich der Geisteskraft. So sei die Demenzrate in Europa und Nordamerika in den vergangenen 25 Jahren um 13 Prozent pro Dekade gesunken. Hier könnten größere Bildungsmöglichkeiten in der Kindheit eine Rolle spielen, ansonsten verweisen die Forschenden auf bessere Ernährung, mehr Hygiene und weniger Kontakt zu Krankheitserregern.

Der zweite große Faktor ist demnach die bessere medizinische Versorgung im Alter: So sei in England etwa das Bewusstsein für Bluthochdruck und Diabetes sowie die Behandlung beider Probleme stark gestiegen. Zudem sei der Tabakgebrauch deutlich gesunken. "Insgesamt sind die Erklärungen für die beobachteten Verbesserungen wahrscheinlich komplex und betreffen sowohl die sozialen Veränderungen im Lauf des vorigen Jahrhunderts als auch Fortschritte von Medizin und öffentlicher Gesundheit."

Studie deutet auf Kipppunkte beim Altern hin

Allerdings gelte der Trend nicht für alle Menschen, räumt das Team ein: "Auch wenn 70 das neue 60 für manche ist, ist es für viele andere immer noch das gleiche 70 (oder schlimmer)." Englert verweist ebenfalls darauf, dass die Lebenserwartung auch in Deutschland mit dem sozioökonomischen Status korreliert.

Doch wie läuft Altern überhaupt ab? Kürzlich hatte eine US-Studie ergeben, dass Altern - zumindest bezogen auf das biologische Alter - kein gleichmäßiger Prozess ist. Stattdessen, so schrieb das Team um Michael Snyder von der Stanford University im Fachblatt "Nature Aging", gebe es Kipppunkte. "Mitte 40 ist eine Zeit dramatischen Wandels und auch die frühen 60er", sagte der Genetiker in einer Mitteilung. "Und das gilt unabhängig davon, auf welche Klasse von Molekülen man schaut."

Untersucht wurden 108 Menschen aus Kalifornien zwischen 25 und 75 Jahren, die regelmäßig Blut oder Gewebe gespendet hatten. Unter die Lupe nahm das Team Marker - Moleküle, Proteine oder Stoffwechselprodukte - unter anderem für Nieren, Herz-Kreislauf-System oder Immunsystem. Veränderungen häuften sich demnach im Mittel mit Mitte 40 und Anfang 60.

Veränderungen wie Häufung von Übergewicht könnten Trends umkehren

"Altern ist ein nicht-linearer Prozess, der möglicherweise in Wellen abläuft", meint Joris Deelen vom Kölner Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns. Allerdings, so der Forscher, schwankten das Auftreten und der Zeitpunkt dieser Wellen, je nachdem, welche Bevölkerungsgruppe man gerade untersuche.

So kam 2019 ein Team um den Neurologen Benoit Lehallier von der Stanford University nach Blutuntersuchungen an knapp 4.300 Menschen im Fachjournal "Nature Medicine" nicht auf zwei, sondern auf drei Alterungswellen: die erste schon mit Mitte 30, die zweite um die 60 und die dritte mit Ende 70 - so betagte Teilnehmer hatte Snyder in seiner Untersuchung gar nicht untersucht. "Für ein konkretes Bild der Alterungsprozesse brauchen wir Daten aus viel größeren Populationen", betont Deelen.

Und wie geht es künftig weiter mit dem Altern? Der Trend zum späteren Altern lasse sich nicht unbedingt auf andere Länder oder Zeiträume übertragen, schreibt die Gruppe um Beard in "Nature Aging". Und: "Es gibt keinen Grund für die Aussage, dass wir in der Zukunft vergleichbare Verbesserungen sehen werden", sagt Beard. "Veränderungen wie die Häufung von Übergewicht könnten diese Trends sogar umkehren."

Das bestätigte jüngst eine Studie im Fachblatt "The Lancet Public Health" für Europa. Dort habe die Lebenserwartung von 2019 bis 2021 abgenommen, als Folge der Corona-Pandemie. In Deutschland sank sie demnach in dem Zeitraum um 0,2 Jahre, in England sogar um 0,6 Jahre.

Unabhängig von der Pandemie betont das internationale Forschungsteam, dass die Zunahme der Lebenserwartung in Europa seit 2011 deutlich abgeflacht ist. Verantwortlich dafür seien vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Folge von schlechter Ernährung, Bewegungsmangel und Übergewicht.

Ereignisse und Entwicklungen könnten zu einem Abflachen oder sogar Abbruch des derzeitigen Trends führen, betont Englert. "Im Moment sind wir noch auf dem aufsteigenden Ast, aber das wird nicht ewig so weitergehen." Generell könne man mit weniger Tabak- und Alkoholkonsum, gesunder Ernährung, mehr Bewegung und sozialem Eingebundensein selbst zu einem längeren Leben beitragen, betont er. Allerdings gebe es eine maximale Lebenserwartung, und die liege bei etwa 120 Jahren. "Da stoßen wir an eine Grenze."

Wann es eine zweite Revolution der Langlebigkeit geben könnte

Das glaubt auch der Kölner Experte Deelen. "Wir haben es sehr gut geschafft, die menschliche Lebenserwartung zu optimieren, und dabei inzwischen ein Plateau erreicht." Er verweist auf eine kürzlich in "Nature Aging" publizierte Studie des Altersforschers Olshansky: Demnach ist die Lebenserwartung in den Industrieländern im Lauf des 20. Jahrhunderts um fast 30 Jahre gestiegen - inzwischen habe sie sich jedoch deutlich abgeschwächt.

"Wir schlagen vor, dass das Streben der Menschheit für ein langes Leben weitgehend erreicht worden ist", schreibt die Gruppe. "Es wäre optimistisch, wenn 15 Prozent der Frauen und 5 Prozent der Männer irgendeines Geburtsjahrgangs in diesem Jahrhundert das Alter von 100 Jahren erreichen."

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Damit stünden die Chancen gut, dass Olshansky seine Wette in 125 Jahren - im Jahr 2150 - gewonnen haben wird. Allerdings gelte dies nur, so schränken die Forschenden ein, so lange keine grundlegende Möglichkeit gefunden werde, den Altersprozess zu bremsen. Sollte dies gelingen, so schreiben sie, könnte es eine zweite Revolution der Langlebigkeit geben.

Es bleibt also offen, wem - oder wessen Nachfahren - der Wetteinsatz von Austad und Olshansky - plus Zinsen und Zinseszinsen - einst zufallen wird. (dpa/Walter Willems/bearbeitet von ff)