Die Lebenserwartung ist im 20. Jahrhundert stetig um etwa drei Jahre pro Jahrzehnt angestiegen. Dieser Trend hat sich nun deutlich abgeschwächt - zumindest in Ländern mit hoher Lebenserwartung.
Die Lebenserwartung der Menschen in Industrieländern steigt nicht mehr in dem Maße wie noch im vergangenen Jahrhundert. In den Ländern mit der größten Lebensspanne nahm sie während des 20. Jahrhunderts um durchschnittlich drei Jahre pro Jahrzehnt zu - also um insgesamt etwa 30 Jahre.
Dagegen waren es von 1990 bis 2019 nur noch 2,17 Jahre pro Jahrzehnt, mit sinkender Tendenz. Eine Ära des schnellen Anstiegs der Lebenserwartung sei beendet, schreibt die Forschungsgruppe um den Biostatistiker Jay Olshansky von der University of Illinois in Chicago im Fachmagazin "Nature Aging".
Gibt es bei der Lebenserwartung eine Obergrenze?
"Die meisten älteren Menschen leben in einer Zeit, die die Medizin herbeigeführt hat", wird Olshansky in einer Mitteilung seiner Universität zitiert. Der medizinische Fortschritt und die medizinische Versorgung haben in den meisten Ländern in allen Altersgruppen zu sinkenden Sterberaten und mithin zu steigender Lebenserwartung geführt.
Manche Wissenschaftler nehmen an, dass die Lebenserwartung weiterhin in ähnlichem Ausmaß zunehmen wird - und dass heute geborene Kinder eine große Chance haben, 100 Jahre alt zu werden.
Doch Olshansky war bereits in einer 1990 veröffentlichten Studie zu dem Schluss gekommen, dass bei einer Lebenserwartung von durchschnittlich 88 Jahren bei Frauen und 82 Jahren bei Männern eine Art Obergrenze erreicht sei, ab der sich die Zunahme abschwächt. Um dies zu prüfen, untersuchte er mit seinen Kollegen die Trends bei der Lebensspanne anhand von Daten aus Regionen mit sehr hoher Lebenserwartung.
Die Länder waren Australien, Frankreich, Italien, Japan, Südkorea, Spanien, Schweden und die Schweiz - berücksichtigt wurden zudem Hongkong und die USA. Unter den Ländern hatte Japan demnach im Jahr 2019 die höchste Lebenserwartung mit 87,44 Jahren für Frauen und 81,36 Jahren für Männer.
100-Jährige sind immer noch Ausnahmen
Zwischen 1990 und 2019 erreichte lediglich Südkorea eine Steigerung der Lebenserwartung von mehr als drei Jahren pro Jahrzehnt. In den untersuchten Ländern hatten Frauen eine Wahrscheinlichkeit von durchschnittlich 5,3 Prozent, 100 Jahre alt zu werden, für Männer lag sie bei 1,8 Prozent. In Hongkong lagen die Werte für Frauen bei 12,8 Prozent und für Männer bei 4,4 Prozent.
In den USA waren es hingegen nur 3,1 Prozent bei Frauen und 1,3 Prozent bei Männern. Zwar würden mehr Menschen als früher heutzutage 100 Jahre alt - dies seien jedoch noch immer Ausnahmen, die nicht zu einer statistisch nennenswerten Steigerung der Lebenserwartung beitrügen.
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Ungleichheiten beseitigen und Risikofaktoren reduzieren
Die Erkenntnis bedeute hingegen nicht, dass weiterer medizinischer Fortschritt den Menschen nichts bringe, betonen die Wissenschaftler. "Wir sollten uns jetzt auf Bemühungen konzentrieren, die das Altern verlangsamen und die Spanne eines gesunden Lebens verlängern", empfiehlt Olshansky. Risikofaktoren könnten reduziert, Ungleichheiten beseitigt und die Menschen zu einem gesünderen Lebensstil ermutigt werden.
Zudem könne es in der Zukunft durchaus weitere Fortschritte in Bezug auf Langlebigkeit geben, schreibt die Gruppe: "Aber bevor es möglich wird, die biologische Alterungsrate zu beeinflussen und jene Hauptfaktoren grundlegend zu verändern, die die menschliche Gesundheit und Langlebigkeit antreiben, bleibt eine radikale Lebensverlängerung in bereits langlebigen Bevölkerungen in diesem Jahrhundert unwahrscheinlich." (dpa/bearbeitet von ff)
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