Es ist jedes Jahr das gleiche Spiel: Erst sind es nur wenige bunte Blätter, dann aber werden es immer mehr, bis alles Laub in gelben, roten, braunen und orangefarbenen Tönen glänzt. Auf den Wegen und Wiesen bildet sich ein raschelnder Belag, der den Gärtnern Arbeit und den Kindern Freude verschafft. Wie aber entsteht dieses Herbstspektakel - warum färben sich die Blätter bunt? Dieser Frage gehen wir in unserer Serie "Nachgefragt" auf den Grund.

Mehr zum Thema Natur & Umwelt

Die Herbstfärbung gehört, besonders wenn die Sonne scheint, zu den Höhepunkten der Jahreszeit. Bevor der graue, feuchte November anrückt, veranstaltet die Natur ein wahres Fest fürs Auge. Dabei ist die Buntfärbung der erste Schritt auf dem Weg zur Winterruhe der Bäume. Allerdings scheint die Annahme falsch zu sein, sie wäre nur eine erfreuliche aber funktionslose Begleiterscheinung des Blattsterbens vor dem Winter.

Das in der Vegetationszeit vor allem wahrgenommene Blattgrün, das Chlorophyll, ist lebensnotwendig für den Baum. Er will es in der frostigen Jahreszeit, wenn die Blätter als große Wasserspeicher im Frost zu erfrieren drohen, keinesfalls verlieren. Denn ohne Chlorophyll keine Fotosynthese und ohne Fotosynthese fehlt es nicht nur Mensch und Tier an Sauerstoff, sondern auch dem Baum an Nahrung. Deshalb wird das Chlorophyll in den Stamm und die Wurzeln geleitet und dort als Energiequelle für die Knospen im Frühling aufbewahrt.

Fehlt das Grün, kommen die anderen Farbstoffe im Blatt zum Vorschein: Das Gelb entsteht durch Carotinoide, das Rot durch Anthocyane, die Brauntöne bildet sich durch Gerbstoffe. Interessanterweise sehen wir nicht allein die verbliebenen Farbpigmente des Blattes, das Rot durch die Anthocyane wird im Herbst sogar neu gebildet.

Schützende Farben

Der Biologe Martin Schaefer von der Universität Freiburg konnte nachweisen, dass gerade dieses Rot mitnichten eine reine Begleiterscheinung ist, sondern mehrere Funktionen besitzt. Die Farbpigmente wirken dabei wie eine Sonnencreme für die empfindlichen Blätter. "In den herbstlichen Morgenstunden ist ein Baum Licht- und Kältestress ausgesetzt. Diese Kombination hemmt die Fotosynthese", sagte Schaefer dem Wissenschaftsportal "spektrum.de". Der Farbstoff schütz demnach zum Ausgleich vor zu viel zerstörendem Licht, bis alles Chlorophyll "gerettet" ist.

Die Wirkung der Carotinoide, die man zum Beispiel aus Mohrrüben kennt, ist eine ähnliche, betont der Wissenschaftler. Allerdings ist sie das ganze Jahr vorhanden, also nicht auf den Herbst beschränkt.

Giftrote Abwehrkräfte

Schaefer und sein Kollege David Wilkinson von der Universität in Liverpool haben pflanzenphysiologische Daten aus mehreren Jahren gesammelt und ausgewertet. Sie sind davon überzeugt, dass die Buntfärbung das Blattgewebe bewahrt und damit einen Energiezuwachs für die gesamte Pflanze bewirkt. Für Schaefer steht fest: "Im Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung hört die Fotosynthese nämlich nicht auf, wenn sich die Blätter färben."

Schaefers neuere Tests belegen einen weiteren Zusammenhang, auch zwischen der Anthocyan-Menge und der Menge von Abwehrstoffen in den Blättern. Das Fazit: Je mehr rote Farbe, desto höher die Giftkonzentration, die den Baum vor Schädlingen schützt. Demnach zeugt der kräftige Farbton der Pflanze von ihrer Wehrhaftigkeit, denn die Abwehrstoffe an sich sind farblos. Schaefer ist jedoch kein Anhänger der sogenannten Signal-Theorie: "Es ist möglich, dass manche Insektenarten gelernt haben, farbige Blätter zu meiden, aber nicht, weil ein Baum sie als Warnsignal einsetzt."

Die Signal-Hypothese

Diese Signal-Hypothese wurde zuerst von William Hamilton, einem der bedeutendsten Evolutionsbiologen des 20. Jahrhunderts, aufgestellt. Folgt man ihr, wie es zum Beispiel der Schweizer Marco Archetti von der Universität Fribourg tut, bedeutet die Buntfärbung der Blätter einen Insektenschutz. Würden Blattläuse im Herbst hier ihre Eier ablegen, könnten die Larven sich im Frühling über die neuen Blättchen hermachen. Giftige Substanzen in den Herbstblättern wären ein Schutz für den Baum. Starke und gesunde Bäume hätten demnach besonders leuchtende und kräftig gefärbte Blätter. Ein wirkungsvoller Schutz, denn Insekten wählen lieber die blasseren Exemplare für ihre Nachkommen aus. Archetti sieht diese Vermutung durch die Beobachtung von Blattläusen bestätigt, die eindeutig grüne Blätter bevorzugen, gelbe und rote dagegen meiden.

Die Blätter fallen

Nach der Farbenpracht kommt irgendwann doch der November. Wenn der Baum die Blätter nicht mehr braucht, bildet sich allmählich eine dünne Korkschicht zwischen dem Blatt und seinem Versorgungsstrang, dem Ast. Es "verhungert" gewissermaßen und fällt zu Boden. Ein raschelnder Spaziergeh-Teppich, den erst der Winter zudeckt.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.