Sommer von April bis November: Im Jahr 2018 wird ein Wetterrekord nach dem anderen geknackt und es scheint, als würde die Umwelt verrücktspielen. Wir sprachen mit dem Hamburger Klimaexperten Frank Böttcher, was dieses Hitzejahr zu bedeuten hat.

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Herr Böttcher, was hat es mit diesem Hitzejahr auf sich?

Frank Böttcher: 2018 ist tatsächlich das wärmste Jahr in Deutschland, seit es Wetteraufzeichnungen gibt. Global gesehen könnte dieses Jahr unter den fünf wärmsten Jahren landen. Die Temperaturen lagen auf der ganzen Welt von Januar bis September 1,04 Grad über den Werten, die man im Pariser Klimaabkommen als Referenz festgelegt hat.

Damit liegen wir global doch unter dem Zwei-Grad-Ziel der internationalen Klimapolitik?

Das ist richtig, gilt aber in diesem Jahr nicht für Mitteleuropa und auch nicht für Deutschland. Denn von Juli bis September lag der größte Wärmepol der Welt in Europa. Und so bewegten sich die Temperaturen bis einschließlich Oktober in Deutschland 2,2 Grad über den normalen Werten. Deutschland hat damit in diesem Jahr die 2-Grad-Grenze überschritten. Der Norden und Osten Deutschlands erlebte zudem den wärmsten Sommer.

Sie sprechen von 2-Grad-Grenze an Stelle von 2-Grad-Ziel?

Ein Ziel möchte man erreichen. Das ist beim Klima anders. Eine Erwärmung von zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit ist für uns Menschen eine ernste globale Bedrohung. Es ist also keinesfalls erstrebenswert, dieses Ziel zu erreichen. Es ist vielmehr eine Grenze, die wir nicht überschreiten sollten. Der Wert ist zudem eine politische Zahl, eine Art Richtschnur. Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob nicht bei 1,9 Grad globaler Erwärmung schon schwere Folgen für Mensch und Umwelt auftreten oder ob es bei 2,1 Grad noch erträglich ist.

Warum war es von April bis November so ungewöhnlich warm?

Wir erleben in Mitteleuropa Veränderungen im Auftreten von Wetterlagen. Südwest-Strömungen treten häufiger auf, die warme Luft aus Spanien und Frankreich zu uns bringen. Diese Wetterlagen bringen auch wärmere Luft mit sich als früher. Das zusammen genügt schon, um einen großen Teil der Übererwärmung zu bewirken. Windrichtungen aus Norden und Nordwesten kommen seltener vor, die brachten sonst häufiger Abkühlung. In meiner Heimatstadt Hamburg hatten wir 18 Tage mit Temperaturen von mehr als 30 Grad! Das gab es noch nie im hohen Norden Deutschlands. Die Sommermonate waren hier im Mittel so warm wie in Nizza am Mittelmeer.

Der letzte Beweis, dass der Klimawandel uns fest im Griff hat?

An einem einzelnen Sommer, auch wenn er besonders warm war, kann man den Klimawandel nicht beweisen. Es verhält sich umgekehrt mit kalten Wintern. Mit ihnen kann man den Klimawandel auch nicht widerlegen. Entscheidend ist die Einordnung ins große Ganze: Klimawandel bedeutet, dass sich das Wetter verändert. Heiße Tage werden häufiger, heiße Sommer auch. Das heißt aber nicht, dass es nicht plötzlich mal wieder ein paar Wochen eiskalt werden kann.

Bekommen wir überhaupt noch kalte Winter?

Ja, aber eben deutlich seltener. Denn die Wahrscheinlichkeit für milde Winter ist höher als für sehr kalte, was an der globalen Erwärmung liegt, die wie ein Hintergrundrauschen überall dabei ist.

Das ist so, als würde man bei einem tropfenden Wasserhahn gegen die Tropfen pusten. Dann kommen nur noch selten ein paar Tropfen unten an. Denn die meisten Tropfen pustet man einfach an den Beckenrand. Für den Winterverlauf ist die zweite Dezemberhälfte interessant, erst dann kann man anhand der Höhenströmungen über den Polarregionen, den Einwinterungsprozessen über Nordosteuropa und einigen anderen Entwicklungen erkennen, ob der Winter das Potenzial für kräftige Kälte bei uns entwickelt.

Welche Phänomene gibt es jetzt, die es um diese Jahreszeit nicht geben dürfte?

Durch die Wärme, den vielen Sonnenschein und wenig schwere Stürme hängt das Laub sehr viel länger an den Bäumen - was wir als goldenen Herbst genossen haben. Die Wachstumsphase der Bäume wurde verlängert. Die Flussschiffer jedoch waren durch die extrem niedrigen Wasserstände erheblich eingeschränkt. In der Landwirtschaft gab es massive Trockenschäden, vor allem in Regionen mit sandigen Böden wie in Brandenburg. Viele Pflanzen sind momentan durch den Wechsel von milden Tagen mit ein paar kälteren Tagen im Frühjahrsmodus und blühen. Beim Raps beispielsweise führte das milde Wetter örtlich zur dritten Blüte - was ich im Oktober in Niedersachsen selbst sehen konnte.

Welche Auswirkungen haben die hohen Temperaturen auf unsere Umwelt?

Die Kombination von Trockenheit und Hitze bedeutet enormen Stress für die Pflanzen. Wasserflächen verändern sich durch hohe Temperaturen und langen Sonnenschein. In der Elbe gab es in diesem Jahr nach langer Zeit mal wieder ein sichtbares Fischsterben. Die Kormorane konnten gar nicht so viel fressen. An der Ostsee gab es viele Quallen und Blaualgen, wodurch großflächige Sauerstofflöcher entstanden, die unangenehm stanken.

Die Luftqualität war in vielen Städten schlechter, weil Hochdrucklagen mit wenig Wind den Austausch der Luftmassen einschränkten. Dadurch konnten sich Schadstoffe in den unteren Schichten der Atmosphäre anreichern, was zu Smog führte. Hitzesommer bringen örtlich auch kräftige Gewitterregen mit sich, was wir bei vielen Starkregenereignissen mit dramatischen Folgen erlebten. Lebewesen wird die Lebensgrundlage entzogen, wie einem Kurzflügelkäfer, der nur auf einem Geröllhaldengletscher in der Rhön lebt. Er hat keine Flügel, um bis in die Alpen zu fliegen. Aber auch dort schmelzen die Gletscher. Weltweit gehen 81 Prozent aller Gletscher zurück.

Ist das noch im Rahmen des Normalen oder ungewöhnlich oder gar gefährlich?

Das bewegt sich keinesfalls mehr im normalen Bereich. Wir haben es ja mit der größten Klimaveränderungen der letzten eine Million Jahre zu tun. Das ist nicht nur eine Randnotiz in der Menschheitsgeschichte, wie der Ausbruch des Vesuv. Wir reden hier schon über massive Änderungen im System Erde - und je globaler man schaut, desto stärker sieht man es.

Es ist ein großes Experiment, welches wir mit unserem Planeten durchführen, indem wir eine Art nach der anderen aussterben lassen. Ich vergleiche es immer mit einem Haus, aus dem man einen Balken nach dem anderen herausnimmt. Erst zeigen sich Risse, dann hört man es Knacken und irgendwann stürzen die ersten Teile des Hauses ein, bis es schließlich total in sich zusammenfällt. Im Haus Erde ist das nicht anders. Am Great Barrier Riff im Osten Australiens kann man den Einsturz des Ostflügels im Haus Erde live beobachten. Das ist so, als würde zu Hause das Schlafzimmer einstürzen - da würde jeder sofort reagieren. Im globalen System haben wir jedoch keine Möglichkeit mehr darauf einzuwirken, dafür ist das System zu groß.

Frank Böttcher ist Experte für Klima und Extremwetter, Mitglied des Vorstandes der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft sowie Mitgesellschafter des privaten Wetterdienstes Q.met (wetter.net). Er hat zwei Bücher geschrieben ("Klimafakten" - zusammen mit Sven Plöger - und "Reise durch das Extremwetter der Erde" – zusammen mit seinem Sohn) und ist TV-Wettermoderator beim NDR.
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