Vor einem Jahr haben Wissenschaftler die Rote Feuerameise in Sizilien gefunden und damit erstmals in der EU. Doch konkrete Gegenmaßnahmen lassen noch auf sich warten. Die Behörden wollen die Ameise mit heißem Dampf bekämpfen, statt mit Insektiziden.
Wenn sie zubeißt, folgen auf den stechenden Schmerz weiße Pusteln, die Narben hinterlassen können. Sie attackiert Nutzpflanzen auf den Feldern, Rinder auf der Weide und seltene Vögel in ihren Nestern. Sogar Elektrogeräte sind vor ihr nicht sicher. Die Rote Feuerameise ist eine der am meisten gefürchteten invasiven Arten der Welt.
Von Südamerika aus hat sich Solenopsis invicta über hundert Jahre hinweg rund um den Globus verbreitet. Jährlich werden allein in den USA viele Millionen Menschen von der Ameise gestochen, denn sie bevorzugt die Nähe des Menschen, etwa in Parks und Freibädern. In Australien könnten Picknicks und Veranstaltungen im Freien bedroht sein, wenn es nicht gelingt, die Feuerameise wieder auszurotten, warnt die Regierung. Auch China liefert der Ameise eine verzweifelte Abwehrschlacht, seit sie vor zwanzig Jahren erstmals aufgetreten ist.
Kommt dasselbe nun auf Europa zu?
Vor einem Jahr informierten Wissenschaftler die italienische Regierung darüber, dass sie in der Gegend um die sizilianische Stadt Syrakus Nester der Roten Feuerameise gefunden haben. Sie warnten, dass großer Schaden droht, sollte sich die invasive Art weiter in Europa ausbreiten. Am 4. August 2023 ging ein entsprechendes Schreiben bei der Regierung in Rom ein und am 11. September erschien die dazugehörige Studie der Insektenforscher Enrico Schifani, Roger Vila und Mattia Menchetti im Journal "Current Biology".
Ein Jahr nach dem Fund sieht die Lage noch viel schlimmer aus, als die Wissenschaftler dachten. Statt 27 Nester, von denen die Forscher zuletzt ausgingen, gibt es wohl bereits etwa hundert Nester, die sich über einen knapp 30 Kilometer langen Gürtel südlich von Syrakus verteilen. Das hat die Regionalregierung von Sizilien ermittelt.
Lesen Sie auch
- Invasive Art in Europa entdeckt: Was Rote Feuerameisen so gefährlich macht
- Experten sind alarmiert: Erste Japankäfer im Südwesten gefunden
Das EU-Gesetz gegen invasive Arten schreibt vor, dass maximal drei Monaten nach der Meldung einer neuen gefährlichen Art nach Brüssel effektive Maßnahmen zu ihrer Auslöschung ergriffen und kommuniziert sein müssen. Piero Genovesi, der zuständige Abteilungsleiter beim staatlichen italienischen Institut für Umweltschutz und Forschung (ISPRA), sagte 2023 schnelles Handeln zu.
Doch Fehlanzeige: Man ließ sich in Sizilien viele Monate Zeit, einen wissenschaftlichen Beirat und einen Sonderbeauftragten zu ernennen und einzelne Feldversuche zu machen. Die EU-Kommission in Brüssel wird bereits ungeduldig. Man habe die zuständigen italienischen Behörden "bei mehreren Gelegenheiten, über verschiedene Kanäle und auf verschiedenen Ebenen auf ihre Verpflichtungen im Rahmen der Verordnung über invasive gebietsfremde Arten hingewiesen", sagt eine Sprecherin. Doch bisher seien keine Gegenmaßnahmen nach Brüssel gemeldet worden. Es sei möglich, dass die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat einleite, der EU-Recht nicht umsetzt.
Sizilien bittet um Geduld
Luca Ferlito, der beim Forstwirtschaftskorps der Region Sizilien als Sonderkommissar für die Feuerameise eingesetzt wurde, bittet noch um Geduld. Man habe erst abwägen müssen, welche Gegenmaßnahmen am sinnvollsten seien. Viele Länder setzen auf den Einsatz hochgiftiger Pestizide in Sprühlösungen, um die Bedrohung abzuwehren. Doch dagegen hatte die sizilianische Regionalregierung erhebliche Bedenken, aus Sorge um Schäden für andere Arten oder sogar Menschen.
Die Suche nach Alternativen führte zu einer Maschine, mit der sich heißer Wasserdampf in den Untergrund injizieren lässt. "Erste Ergebnisse sind positiv, sodass wir ab September mit einem größeren Einsatz beginnen wollen", sagt Ferlito. Früher sei dies nicht sinnvoll, da sich die Ameisen wegen der sommerlichen Hitze zu tief in ihre Bauten zurückgezogen hätten.
Allerdings wurde Wasserdampf bisher hauptsächlich zur Eindämmung der Roten Feuerameise eingesetzt, nicht aber für den Versuch, die Art ganz auszulöschen. Das staatliche Umweltinstitut ISPRA in Rom würde deshalb auch grünes Licht für den Einsatz von hochgiftigen Pestiziden geben und hat eine Liste möglicher Produkte nach Sizilien übermittelt. "Wir würden Sondergenehmigungen für jeden zugelassenen Stoff erteilen, der wirksam ist", sagt der Umweltbeamte Piero Genovesi. Doch davon will die Regionalregierung keinen Gebrauch machen.
Gelingt es den italienischen Behörden nicht, die Ausbreitung der Art zu unterbinden, droht weiten Teilen von Europa der Einmarsch einer gefürchteten und gefährlichen Ameisenart. Den Forschern Schifani, Vila und Menchetti zufolge sind weite Teile von Südeuropa und in Deutschland der Rheingraben, das Ruhrgebiet und Berlin schon heute "moderat gut" für die Art geeignet. 2050 könnten aufgrund des fortgeschrittenen Klimawandels dann weite Teile Deutschlands auf Feuerameisen einladend wirken.
Königin legt Dutzende Eier - pro Stunde
Alles, was die Rote Feuerameise für die Ausbreitung braucht, ist eine Königin, die im Neuland überleben kann. Bald beginnt sie, Dutzende Eier pro Stunde zu legen. Nach einem Jahr kann eine Kolonie auf mehrere Hunderttausend Arbeiterameisen angewachsen sein und Ableger gebildet haben. Nur ein vergleichsweise kühles und zudem sehr trockenes Klima kann der invasiven Art effektiv einen Riegel vorschieben.
Das EU-Gesetz über die Bekämpfung invasiver Arten aus dem Jahr 2014 schreibt für besonders gefährliche Arten wie die Rote Feuerameise eine "vollständige und dauerhafte Beseitigung" vor. Ob das mit Wasserdampf, der in die Nester gepumpt wird, zu schaffen sein wird, ist offen.
Der sizilianische Beauftragte Ferlito tröstet sich mit einer weiteren Überraschung bei seinen Ermittlungen: Offenbar sind erste Feuerameisen schon vor vielen Jahren angekommen. Das legen Berichte von Anwohnern nahe. "Wenn sich die Ameise in 25 Jahren oder mehr nicht massiv in Sizilien angesiedelt hat, bedeutet dies, dass sie keine idealen Bedingungen vorfindet", sagt er.
Die Forscher Schifani, Vila und Menchetti, die die Ameisen zuerst entdeckt haben, teilen diesen Optimismus nicht. Für sie steht fest: Die Abwehrmaßnahmen der EU gegen invasive Arten – sie funktionieren nicht, oder mindestens nicht gut genug. "Es kann nicht sein, dass es an einem Zufallsfund und an dem freiwilligen Engagement von Forschern wie uns liegt, ob eine derart große Bedrohung erkannt wird oder nicht", sagt Roger Vila.
Die Ausbreitung der Feuerameise in den USA verlief zudem ebenfalls von einem einzelnen Brückenkopf aus, wie der Insektenforscher Edward O. Wilson herausgefunden hat: Ein Wissenschaftler habe die Art 1925 erstmals in Mobile, Alabama, entdeckt. Nach einer stillen Phase setzte die Rote Feuerameise dann von dort aus in den 1950er-Jahren zu ihrem Siegeszug an. Inzwischen kommt sie in mindestens 15 südlichen Bundesstaaten der USA und in Puerto Rico vor. Mindestens fünf Milliarden Dollar kostet die Bekämpfung der Roten Feuerameise allein die USA pro Jahr – und Millionen Menschen leiden an den schmerzhaften Bissen. Etwa jeder Hundertste muss danach in ärztliche Behandlung, schätzen Gesundheitsbehörden.
Über RiffReporter
- Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter.
- Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.
Verwendete Quellen
- Cell Press: Current Biology Journal: The invasive ant Solenopsis invicta is established in Europe
- eur-lex.europa.eu: Regulation (EU) No 1143/2014 of the European Parliament and of the Council of 22 October 2014 on the prevention and management of the introduction and spread of invasive alien species
- jstor.org: Variation and Adaptation in the Imported Fire Ant
© RiffReporter
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.