Nachts leuchtet das Meer bis zum Horizont, mitunter über Wochen hinweg und dehnt sich bis zu 10.000 Quadratkilometer aus: Seit Jahrhunderten berichten Seeleute von riesigen, grünlich leuchtenden Meeresflächen – den sogenannten Milky Seas. Zwei US-Forscher haben das seltene Naturphänomen nun genauer untersucht. Was steckt dahinter? Und lässt es sich bald vorhersagen?
Seemannsgarn oder seltenes Naturspektakel? Seit Jahrhunderten kursieren unter Seeleuten Erzählungen über ein gleichmäßiges grünlich helles Meeresleuchten – so weit das Auge reicht und oft wochenlang. Um das Phänomen zu ergründen, haben zwei US-Forscher nun sämtliche bisherigen Berichte in einer Datenbank zusammengefasst – ergänzt um moderne Satellitenbilder.
Manche Augenzeugen habe das Erlebnis – im Englischen Milky Seas (dt. Milchige Meere) genannt – an Geistergeschichten erinnert, an eine Verdrehung der Wirklichkeit oder sogar an die biblische Apokalypse, schreiben Justin Hudson und Steven Miller von der Colorado State University in Fort Collins im Fachjournal "Earth and Space Science". "Milky Seas sind eine der seltensten und spektakulärsten Formen von Biolumineszenz, wobei die Meeresoberfläche nachts von Horizont zu Horizont leuchtet, mitunter über Monate." Unter Biolumineszenz versteht man die Fähigkeit von Lebewesen zu leuchten – bekannt etwa von Glühwürmchen.
Bei dem nun untersuchten, wesentlich größeren Phänomen handelt es sich jedoch nicht um das sehr bekannte Leuchten in aufgewühltem Wasser – etwa in brechenden Wellen oder in Bugwellen von Schiffen. Dieses wird von winzigen Organismen verursacht – sogenannten Dinoflagellaten. Bei ihnen sorgen mechanisch verursachte Veränderungen der Zellwände über eine Kettenreaktion dafür, dass das Protein Luciferin oxidiert wird und Licht abgibt.
Augenzeugenberichte seit dem 17. Jahrhundert
Das Milky-Seas-Schauspiel dagegen betrifft offenbar eher das ruhige Meer – und zwar mitunter über enorme Flächen von teils mehr als 100.000 Quadratkilometern – sodass das Leuchten mit empfindlichen Instrumenten sogar vom Weltall aus zu sehen ist.
Augenzeugenberichte gibt es seit dem 17. Jahrhundert zu Hunderten – vor allem aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. "Schiff fuhr in großes leuchtendes Gebiet", notierte der Kapitän des Schiffes MV Westmorland im Juli 1976 im Arabischen Meer. "Keine Grenzen am Horizont sichtbar. Beim Durchqueren des Gebietes glänzte das Meer (und der Himmel am Horizont) in brillantem und hellem Grün."
Bakterium auf Alge scheint beteiligt zu sein

Auch beim Milky-Seas-Ereignis gibt es Hinweise darauf, dass Mikroorganismen beteiligt sein könnten: Im Jahr 1985 stieß die Besatzung eines Forschungsschiffs nahe der zu Jemen zählenden Insel Socotra zufällig auf das Phänomen und entnahm eine Wasserprobe: Darin fanden Forscher unter anderem auf bestimmten Algen das Bakterium Vibrio harveyi, das in tropischen Meeren lebt und ebenfalls leuchten kann.
Ob es aber auch hinter dem großflächigen Meeresleuchten steckt, ist unklar. Denn die gewöhnlich in Meeren vorhandenen Konzentrationen von etwa 10 Zellen pro Milliliter sind dem Artikel zufolge um mehrere Größenordnungen zu gering, um ein so heftiges Leuchten zu verursachen. Dafür wären den Berechnungen der Forscher zufolge mindestens 10 Millionen bis 1 Milliarde Zellen pro Milliliter erforderlich. Es müssten also noch weitere biogeochemische Bedingungen erfüllt sein, betont das Duo und nennt als Beispiele Temperatur, Nährstoffe und Salzgehalt.
Forscher sollen Phänomen künftig vorhersagen können
Um die Ursache des Leuchtens zu klären, hat das Autorenduo nun sämtliche Berichte dazu aus den vergangenen 400 Jahren erstmals systematisch in einer Datenbank gesammelt – zudem 22 Aufnahmen von Erdbeobachtungssatelliten. Die insgesamt gut 400 Belege zu mindestens 257 solchen Ereignissen sollen es Forschenden künftig ermöglichen, das Phänomen vorhersagen zu können und dann in die jeweiligen Gewässer zu reisen, um systematisch Informationen zu sammeln.
Die Regionen, in denen es meistens auftritt, lägen im nordwestlichen Indischen Ozean nahe Somalia und der Insel Socotra mit fast 60 Prozent aller bekannten Vorkommnisse, erläuterte Hudson in einer Mitteilung seiner Uni. "Gleichzeitig wissen wir, dass die Phasen des indischen Monsuns die biologische Aktivität in der Region antreiben durch Veränderungen der Windmuster und Strömungen." Möglicherweise hänge das Leuchten mit dem Transport von Kohlenstoff und Nähstoffen und aufsteigenden Meeresströmungen zusammen.
Hotspots im Indischen Ozean und bei Indonesien
"Die durch Satelliten beobachteten Ereignisse erstrecken sich über Flächen von Hunderten bis über 100.000 Quadratkilometer und dauerten von zwei Nächten bis mindestens 45 Nächten", heißt es in der Studie. Zusammengenommen lässt die Analyse die Einschätzung zu, "dass ein typisches Meeresleuchten weniger als drei Wochen andauert und etwa die Ausdehnung von 10.000 Quadratkilometern hat", bilanziert das Duo. Das entspricht knapp der vierfachen Fläche des Saarlands (2.570 Quadratkilometer).
Hotspots sind neben dem nordwestlichen Indischen Ozean auch das Gebiet südlich der indonesischen Insel Java sowie der östlich davon gelegenen Bandasee - mit insgesamt 18 Prozent der Sichtungen. Häufigste Jahreszeiten sind von Juli bis September und von Januar bis Februar. (dpa/bearbeitet von ali)