Jüngst ging ein Aufschrei durch Presse und Kommentarspalten: Die EU wolle die Baumwolle verbieten. Die Meldung wurde längst dementiert. Wahr ist allerdings, dass die EU den textilen Müllbergen den Kampf ansagt – doch beim derzeitigen Fokus auf Langlebigkeit von Textilien ziehen Naturfasern schnell den Kürzeren, sagt eine Expertin.
Von Bettwäsche über Handtücher und T-Shirts bis hin zum vielleicht beliebtesten Kleidungsstück der Welt, der Jeans: All diese Dinge bestehen im Wesentlichen aus Baumwolle. Die Naturfaser ist aus unseren Wäscheschränken kaum mehr wegzudenken, doch jüngst machten in sozialen Medien und in der Presse dramatisch wirkende Schlagzeilen die Runde.
"EU will Baumwolle verbieten" und "Baumwollkleidung droht wegen EU-Regel das Aus" war unter anderem zu lesen. Bald müssten wir uns in Europa mit Plastikkleidung begnügen, so das Fazit. Aber was ist dran an dieser Behauptung?
Der Aufschrei basiere auf "völliger Unkenntnis", sagt Maike Rabe, Leiterin des Forschungsinstituts für Textil und Bekleidung an der Hochschule Niederrhein: "Die EU will Baumwolle nicht verbieten."
Wahr ist allerdings, dass die EU eine Kreislaufwirtschaft anstrebt, bei der bereits vorhandene Produkte und Materialien wiederverwendet werden sollen – auch im Textilsektor. Das soll Ressourcen schonen und Müll vermeiden. Textilerzeugnisse auf dem EU-Markt sollen demnach bis 2030 langlebiger und wiederverwendbarer werden. Sie sollen größtenteils aus Recyclingfasern bestehen, dabei keine gefährlichen Stoffe enthalten und unter Einhaltung der sozialen Rechte sowie im Sinne des Umweltschutzes hergestellt werden.
Noch gibt es gar keine konkreten Zahlen
Warum das Thema hochkochte, ist nicht ganz klar – denn die Pläne der EU sind alles andere als neu: Bereits im März 2022 präsentierte die EU-Kommission ihre Strategie zur Kreislaufwirtschaft, im Juni 2023 wurde sie vom EU-Parlament angenommen. Bislang ist es aber nicht viel mehr als eine Willenserklärung – und rechtlich nicht bindend, wie die EU betont. Auch ein konkreter Weg dorthin wurde bislang nicht skizziert.
Lediglich einen ersten kleinen Schritt in diese Richtung hat die EU bereits unternommen: Nach einer Änderung der Abfallrichtlinie müssen Textilien in der EU ab dem 1. Januar 2025 gesondert eingesammelt und möglichst wiederverwertet werden.
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Woher die konkreten Zahlen in den vielen Presseberichten stammen, denen zufolge bis zum Jahr 2030 50 Prozent aller Textilien recyclebar und 25 Prozent vollständig kreislauffähig sein sollen, ist unklar. Die EU hat entsprechende Berichte in einer Pressemeldung bereits dementiert.
Auch in keiner der bisherigen Veröffentlichungen zur EU-Strategie ist von derart konkreten Zielsetzungen die Rede. Selbst der Autor des Artikels im Modeportal "Fashion United", der die Zahlen wohl erstmals in Umlauf brachte und auf den sich nachfolgende Artikel beziehen, kann sie laut "Neuer Zürcher Zeitung" nicht belegen. "Es gibt bislang noch keinerlei Information darüber, wie hoch zum Beispiel der Anteil von Recyclingfasern bei welchen Produkten in Zukunft sein soll. Das Ganze befindet sich noch in der Entwicklung", sagt auch Rabe. Derzeit werde darüber diskutiert, welche Kriterien in diesem Zusammenhang für die Zukunft der Textilprodukte relevant sind.
12,6 Millionen Tonnen Textilabfälle allein in Europa
Dass Textilabfälle weltweit ein großes Problem darstellen, ist indes unumstritten. Allein in Europa häufen sich laut EU-Angaben jährlich 12,6 Millionen Tonnen Textilabfälle an. Jedes Jahr werfen Bürgerinnen und Bürger der EU im Schnitt pro Kopf zwölf Kilogramm Kleidung in die Mülltonne – vieles davon kaum mehr als ein- oder zweimal getragen.
Grundsätzlich begrüßt Textilexpertin Rabe das Ziel der EU, dem Kleidermüll den Kampf anzusagen – sie schränkt jedoch ein: "Ich persönlich finde die Pläne nicht ausgewogen." Derzeit fokussiere sich die EU vor allem auf Langlebigkeit und Recyclebarkeit von Textilien. "Da ziehen Naturfasern schnell den Kürzeren", sagt Rabe.
Naturfasern wie Baumwolle oder auch Wolle und Seide werden in erster Linie mechanisch recycelt. Bei diesem Prozess werden die Textilteile zerkleinert, um die Einzelfasern zurückzugewinnen und daraus neues Garn zu spinnen. Eine Verkürzung der Fasern ist dabei unumgänglich. "Durch den Prozess wird die Qualität der Einzelfasern in Mitleidenschaft gezogen", sagt Rabe.
Bei Kunstfasern wie Polyester stehen neben mechanischen Prozessen weitere Möglichkeiten des Recyclings bereit. Sie können eingeschmolzen und neu ausgesponnen oder durch chemische Prozesse zurückgewonnen werden. Problematische Aspekte von synthetischen Fasern, wie zum Beispiel dabei entstehendes Mikroplastik oder schlechte biologische Abbaubarkeit, stünden bei der Planung der EU derzeit nicht im Vordergrund, bemängelt die Expertin.
Baumwolle lässt sich schlecht recyceln
Völlig unbegründet ist die Sorge um die Baumwolle also nicht: Gemessen an Langlebigkeit und Recyclebarkeit hat die Naturfaser im Vergleich zu ihren künstlichen Konkurrenten das Nachsehen. Auf der anderen Seite scheint es aber nahezu unmöglich, gänzlich auf Baumwolle zu verzichten. "Bei Bettwäsche, Hemden- und Blusenstoffen oder Unterwäsche, also überall, wo Textilien die Körperfunktionen unterstützen, können reine Synthetikfasern die Baumwolle in Bezug auf Komfort und Gebrauchsverhalten nicht ersetzen", sagt Rabe.
Aus Sicht der Expertin ist die Vision der EU auch nicht ausreichend, um das eigentliche Problem der textilen Müllberge zu lösen. "Die Maßnahmen sind zu kurz gesprungen", urteilt Rabe. Mangelnde Haltbarkeit sei nicht der Hauptgrund, warum so viele Kleidungsstücke nach nur kurzer Zeit weggeworfen werden "Die Produkte werden nicht aussortiert, weil sie Materialschwächen oder gar Schäden haben, sondern weil man sie nicht mehr gerne trägt. Da geht es vor allem um Ästhetik und Mode", sagt Rabe. "Wir haben es mit einem Problem der emotionalen Haltbarkeit zu tun."
Die Expertin schlägt vor, nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern auch die Hersteller und Inverkehrbringer bei der eigentlichen Entsorgung von Kleidungsstücken mehr in die Verantwortung zu nehmen. "Vergleichbar mit dem Konzept 'Grüner Punkt' für Verpackungsabfälle", sagt Rabe. Produktverpackungen mit einem "Grünen Punkt" werden gesondert in gelben Tonnen oder Säcken gesammelt und von speziellen Unternehmen sortiert und recycelt. "Da müssten wir in der EU auch im Bekleidungsbereich hinzukommen", findet Rabe.
Billig-Mode erfüllt das Kriterium der Langlebigkeit
In jedem Fall müsse die EU den Handel mit Billig-Kleidung von Online-Händlern, die die EU von außen fluten, in den Griff kriegen. "Wenn wir das nicht anpacken, dann brauchen wir uns im Grunde gar nicht weiter um Regulatorik zu bemühen, denn sie wird einfach unterwandert", sagt Rabe.
Selbst Ultra-Fast-Fashion aus China und anderen Teilen der Welt könne die derzeitig angestrebte Langlebigkeitsdoktrin der EU mit etwas textiltechnologischem Wissen erfüllen. Diese Hersteller setzen vorwiegend auf Polyester, was nicht nur ein besonders günstiges, sondern eben auch strapazierfähiges und damit langlebiges Material ist.
"Der Fokus auf Haltbarkeit spielt Ultra-Fast-Fashion-Anbietern, zumeist sehr große Firmen, eher in die Karten", sagt Rabe. "Mittelständische, regionale Unternehmen mit individuellen Angeboten hingegen werden durch einen enormen Prüfaufwand geschwächt."
Innovationen, wie beispielsweise neue Faserstoffe, würden dann gar nicht mehr weiterentwickelt. Das könnte die Grundidee, Bekleidungsmüll zu reduzieren und den Weg zu nachhaltiger Bekleidung ad absurdum führen, fürchtet Rabe. "Das ist zumindest die Gefahr, die ich darin sehe."
Über die Gesprächspartnerin
- Prof. Dr. Ing. habil. Maike Rabe ist Leiterin des Forschungsinstituts für Textil und Bekleidung der Hochschule Niederrhein.
Verwendete Quellen
- Telefoninterview mit Prof. Dr.-Ing. habil. Maike Rabe von der Hochschule Niederrhein
- eur-lex.europa.eu: Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft - Für ein saubereres und wettbewerbsfähigeres Europa
- austria.representation.ec.europa.eu: EU-Verbot von Baumwolle ist nicht in Sicht
- nzz.ch: Kommt bald das "Baumwollverbot", wie Dutzende Medien schreiben? "Nein, diese Information ist nicht korrekt", sagt die EU
- ec.europa.eu: Kreislaufwirtschaft für Textilien: Verantwortung übernehmen für Verringerung, Wiederverwendung und Recycling von Textilabfällen und Märkte für gebrauchte Textilien ankurbeln
- environment.ec.europa.eu: Waste Framework Directive
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