Pflanzen treffen strategische Entscheidungen und passen sich gezielt an Umweltbedingungen an. Die Molekularbiologin Farhah Assaad-Gerbert erforscht, wie Pflanzen auf Stressfaktoren wie Hitze und Trockenheit reagieren und wie nachhaltige, klimaangepasste Landwirtschaft aussehen kann.

Die Forschung zeigt: Pflanzen treffen strategische Entscheidungen, passen sich gezielt an Umweltbedingungen an und interagieren sogar miteinander. Gerade in Zeiten des Klimawandels ist dieses Wissen essenziell, um nachhaltige Ökosysteme zu gestalten und widerstandsfähige Landwirtschaftssysteme zu entwickeln.

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Die Molekularbiologin Farhah Assaad-Gerbert ist Expertin auf diesem Gebiet. Sie forscht an der Technischen Universität München (TUM) im Bereich Biotechnologie von Naturprodukten.

Ihr besonderes Interesse gilt der Frage, wie Pflanzen auf Stressfaktoren reagieren – sei es Hitze, Trockenheit oder Lichtmangel. Wie kann man sich Ihre Forschung vorstellen?

prof. Dr. Farah Assad-Gerber
Die Molekularbiologin Farhah Assaad-Gerbert forscht dazu, wie Pflanzen Entscheidungen treffen. © Frank Bauer

Farhah Assaad-Gerbert: Ich forsche dazu, wie Pflanzen Entscheidungen treffen und wie sie trotz der verwirrenden Signale unseres sich verändernden Klimas erkennen können, was wirklich relevant ist. Um das zu untersuchen, haben wir Experimente mit Keimlingen unter verschiedenen Stressfaktoren durchgeführt. Zum Beispiel sollte die Wurzel bei Wassermangel länger werden, um die knappen Ressourcen besser zu erreichen. Fehlt hingegen Licht, sollte der Spross länger werden, um ans Licht zu gelangen. Dabei haben wir Erstaunliches festgestellt: Die Pflanze reagiert mit beeindruckender Präzision. Während Spross und Wurzel im Dunkeln je nach Stress unterschiedlich wachsen, bleibt die Gesamtlänge der Pflanze exakt gleich. Das bedeutet, dass der Keimling sein begrenztes Wachstumspotenzial strategisch verteilt – je nach Umweltbedingungen.

Das klingt fast so, als könnten Pflanzen bewusst handeln.

Ganz genau! Dieses Experiment zeigt, dass Pflanzen ebenso wie wir Menschen eine Form von Rationalität besitzen – sie optimieren ihre Überlebensstrategie mit beeindruckender Genauigkeit.

Was passiert, wenn Pflanzen mehreren Stressfaktoren ausgesetzt sind? Und wie werden diese durch den Klimawandel beeinflusst?

Grundsätzlich gibt es drei Arten von Stress: Verwirrung, Mehrfachbelastung und fehlende Erholung. Verwirrende Stressoren sind zum Beispiel Lichtverschmutzung oder abrupte Wetterumschwünge – etwa milde Winter mit Spätfrost oder plötzliche Extreme wie Dürre und Flut. Solche Schwankungen bringen Pflanzen in Schwierigkeiten. Einzelne Stressfaktoren können Pflanzen meistens noch gut bewältigen. Problematisch wird es, wenn mehrere gleichzeitig auftreten, zum Beispiel Dürre, Hitze und Schädlingsbefall. Und besonders tückisch ist Stress in der Erholungsphase.

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Ein Beispiel: Die Fichten in der Schweiz haben die Dürre 2018 zunächst erstaunlich gut überstanden und es gab Pläne, ein Paper über ihre Widerstandsfähigkeit zu veröffentlichen. Doch nach der erneuten Dürre im Folgejahr begann ein massives Baumsterben. Das hat gezeigt, dass unsere Wälder weniger resilient sind, als wir dachten. In der Erholungsphase fehlt es den Bäumen an Reserven für die nächste Belastung. Der Klimawandel verschärft dieses Problem, da alle drei Stressarten –Verwirrung, Mehrfachbelastung und fehlende Erholung – zunehmend gleichzeitig auftreten.

Könnte man Pflanzen genetisch an die sich verändernden klimatischen Bedingungen anpassen?

Gentechnisch kann man Pflanzen so verändern, dass sie gegen einzelne Stressfaktoren resistent sind – zum Beispiel gegen bestimmte Pilzerkrankungen oder Dürre. Aber was passiert, wenn dann ein Hagelsturm im August kommt oder es plötzlich Überschwemmungen gibt? Eine einzelne genetische Anpassung hilft da nicht weiter. Was hingegen viele dieser Herausforderungen abfedern kann, ist eine gesunde Pflanzengesellschaft.

Wie sieht eine solche Pflanzengesellschaft aus und warum ist sie der beste Weg, die Resilienz von Pflanzen zu erhöhen?

Klimakammern Pflanzen
Klimakammern im Labor von Prof. Dr. Assad-Gerbert an der TU München. © Prof. Dr. Farhah Assaad-Gerbert

Zu einer solchen Pflanzengesellschaft gehören nicht nur langlebige Arten wie Buche oder Eiche, sondern das gesamte Ökosystem – von der Krautschicht am Boden über Sträucher bis hin zu den hohen Bäumen. Pflanzengesellschaften müssen so gestaltet werden, dass die Pflanzen sich ergänzen und nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Wenn Arten miteinander kooperieren, profitieren sie voneinander. Schattentolerante Pflanzen gedeihen unter lichtliebenden Bäumen und unterschiedliche Wurzeltiefen ermöglichen eine bessere Nutzung der Ressourcen. Stellen Sie sich ein funktionierendes Filmset vor: Es braucht nicht nur die Hauptdarsteller, sondern auch Kameraleute, Techniker, Regie und die ganze Crew. Ohne sie würde nichts laufen. Ist ein solches Netzwerk unter Pflanzen gegeben, spricht man von sogenannten agroforstwirtschaftlichen Systemen.

Was ist "Agroforstwirtschaft"?

  • Agroforstwirtschaft ist ein landwirtschaftliches System, bei dem Nutzpflanzen und Bäume auf derselben Fläche kombiniert werden. Dabei entstehen ökologische und ökonomische Vorteile, da die Bäume helfen, den Boden zu stabilisieren, die Biodiversität zu fördern und den Wasserhaushalt zu verbessern. Gleichzeitig können die Gehölze auch zusätzliche Produkte wie Obst oder Holz liefern. Das System trägt zum Klimaschutz bei und bietet Tieren auf Weiden mehr Schutz und Lebensraum.

Sind Pflanzen also nicht nur rational, sondern auch soziale Lebewesen?

Ganz genau! Pflanzen interagieren und respektieren sich. Zwei Bäume, die nebeneinander wachsen, verzahnen ihre Kronen nicht. Sie stoppen, wo der andere beginnt. Auch im Wurzelbereich respektieren sie den Raum des Nachbarn. Es gibt aber auch "asoziale" Pflanzen wie den Bambus. Der nimmt keine Rücksicht, wuchert in alle Richtungen und verdrängt andere Arten. Solche Pflanzen passen nicht in ein harmonisches Pflanzensystem. Ich liebe Bambus – aber in meinem Garten habe ich ihn in eine tiefe Sperre gepflanzt. Trotzdem muss ich ständig kontrollieren, dass er nicht ausbricht!

Nutzpflanzen, die bewusst angepflanzt werden, leben meist nicht in einem Pflanzensystem, sondern in Monokulturen. Sind sie resilienter als ursprüngliche Arten und brauchen keine soziale Unterstützung anderer Pflanzen?

Ganz im Gegenteil. Das Problem beginnt beim Wurzelsystem. Moderne Nutzpflanzen haben sehr kurze Wurzeln und konzentrieren ihre Energie auf das Wachstum über der Erde – große Halme, große Körner – aber die Verankerung im Boden fehlt. Um die Pflanzen dennoch stabil zu halten, werden sie dicht gesät, sodass sie sich gegenseitig stützen. Zudem müssen Landwirte im Frühjahr Wachstumshemmer einsetzen, um die Halme niedrig zu halten. Im Herbst sind die dichten Bestände anfällig für Pilzbefall, weshalb Fungizide zum Einsatz kommen. Außerdem werden synthetische Düngemittel verwendet, da diese Pflanzen keine natürlichen Symbiosen mit Bodenbakterien und Pilzen mehr eingehen.

Kurz gesagt: Diese Pflanzen können sich weder selbst ernähren noch schützen. Sie haben keine Bitterstoffe zur Abwehr von Schädlingen, weil Verbraucher milde Getreidesorten bevorzugen. Sie sind auf intensive Pflege angewiesen – ohne diese Hilfe würden sie eingehen. Eigentlich ist eine Pflanze keine passive, hilflose Struktur. Doch genau das haben wir mit unseren Nutzpflanzen geschaffen: Pflanzen, die ohne menschliche Unterstützung nicht mehr lebensfähig sind. Dieses System funktioniert unter den neuen Klimabedingungen nicht mehr. Wenn 80 Prozent einer Ernte ausfallen oder Fichten massenweise absterben, müssen wir umdenken.

Was bedeutet Monokultur?

  • Monokultur bezeichnet den Anbau von nur einer einzigen Nutzpflanzenart über mehrere Jahre hinweg auf einer landwirtschaftlichen oder forstwirtschaftlichen Fläche. Monokulturen ermöglichen durch den Einsatz großer Maschinen eine effiziente Bewirtschaftung, können jedoch langfristig negative ökologische und wirtschaftliche Folgen haben, wie etwa Bodenverarmung, Bodenverdichtung durch den Druck von schweren Maschinen und Abhängigkeit von Chemikalien.

Sie haben agroforstwirtschaftliche Systeme angesprochen, in denen Bäume und Sträucher in landwirtschaftliche Flächen integriert werden und Systeme bilden. Würde sich diese Umstellung auch in Deutschland lohnen?

Ja, in Brasilien wurde gezeigt, dass agroforstwirtschaftliche Systeme eine 4,2-fach höhere Produktivität haben als Monokulturen. Das bedeutet, wenn man alle Produkte aus einem solchen System zusammenzählt – Kakao, Bananen, Bohnen und andere essbare Pflanzen – ergibt sich ein deutlich höherer Ertrag. Doch aktuell stammt ein Großteil unserer Ernährung aus nur fünf hochgezüchteten Pflanzenarten. Wenn wir uns langfristig von Gerste und Weizen wegbewegen, müssen wir Alternativen anbieten. Kastanien enthalten viele Kohlenhydrate, Haselnüsse sind ebenfalls wertvoll.

"Wir müssen genau prüfen, welche unserer heimischen Arten für die Zukunft geeignet sind. Die Buche zum Beispiel hält sich noch ganz gut. Aber wie lange noch?"

Farhah Assaad-Gerbert

Und dann haben wir noch einen weiteren Vorteil: Schatten für Tiere. Baumkronenbewuchs sorgt für ein angenehmes Mikroklima. Ich war kürzlich auf einem Bauernhof, wo es so heiß war, dass die Kühe apathisch wurden. Sie hatten nicht einmal mehr die Kraft, selbstständig in den Schatten zu gehen – der Hirte musste sie hinziehen. Das zeigt: Nicht nur Pflanzen, auch Tiere brauchen klimaangepasste Systeme.

Viele heimische Pflanzen werden in Zukunft nicht mehr mit der Hitze klarkommen. Müssen wir dann auf Arten zurückgreifen, die heute schon in südlicheren Regionen wachsen – zum Beispiel in Italien?

Das kann sehr gefährlich sein! In Bayern zum Beispiel haben wir immer noch Spätfrost. Unsere heimischen alten Sorten blühen spät, weil sie "wissen", dass der Frost noch kommt. Würde man wärmeliebende Sorten aus Südeuropa anpflanzen, wären sie schon verblüht, bevor der Frost vorbei ist – und die Ernte wäre verloren. Wir müssen also genau prüfen, welche unserer heimischen Arten für die Zukunft geeignet sind. Die Buche zum Beispiel hält sich noch ganz gut – auch in Monokulturen. Aber wie lange noch? Vielleicht müssen wir sie mit anderen Arten kombinieren, die sie ergänzen und nicht verdrängen. Eine Studie der TU München zeigt, dass die Buche bei einer Erderwärmung von drei Grad Celsius nicht mehr lebensfähig wäre. An ihre Stelle könnte dann die Esskastanie treten. Sie ist robust, liefert Nahrung und ist auch für Agroforstsysteme spannend.

Wenn wir das System so umstellen, wie Sie es vorschlagen – wie würde sich unsere Ernährung verändern? Würden wir mehr Kastanien statt Weizen essen?

Ja, denn in agroforstwirtschaftlichen Systemen braucht man immer hochwertige Nutzpflanzen, diese Rolle könnten Haselnussbäume übernehmen. Sie hätten dementsprechend mehr Kastanienmehl im Angebot und mehr Produkte auf Nussbasis. Wenn beispielsweise Kakao knapp wird, werden Alternativen auf den Markt kommen wie fermentierte, veredelte Sonnenblumenkerne. Außerdem gäbe es wieder mehr ursprüngliche, mehrjährige Gemüsesorten. Für Verbraucher bedeutet das jedoch keine radikale Veränderung. Sie würden vermutlich gar nicht bemerken, dass ihr Spinat aus einer mehrjährigen Staudenart stammt. Sie würden einfach Spinat kaufen – aber die Art der Landwirtschaft dahinter wäre eine nachhaltigere.

Über die Gesprächspartnerin

  • Prof. Dr. Farhah Assaad-Gerbert ist Biotechnologin an der Technischen Universität München und forscht auf dem Gebiet der Anpassungsfähigkeit von Pflanzen an Umweltstress, insbesondere im Kontext des Klimawandels, mit einem Fokus auf ökologische Zusammenhänge und molekulare Mechanismen, die das Wachstum von Pflanzen steuern.
  • Unsere Redaktion hat sie im Rahmen der DLD Munich 2025 im Januar getroffen und interviewt.