Nur aus schwindelerregender Höhe konnte dank moderner Technik ein antikes Mysterium an die Oberfläche gebracht werden. Satellitenbilder von der Steppe Kasachstans zeigen rätselhafte Geoglyphen: geometrische Figuren, Kreuze, Linien und Kreise in der Größe mehrerer Fußballfelder. Wozu sind sie vor 8.000 Jahren geschaffen worden?
Eine karge, trostlose Steppe. Das Klima ist rau. Menschen bauen hier Melonen an und beobachten Vögel. Es gibt nicht viel zu sehen oder zu tun. Dementsprechend dünn ist die Bevölkerungsdichte.
Und doch ist die Gegend 300 Kilometer südlich der Stadt Kostanai unter Archäologen weltweit bekannt und eine Sensation.
Geoglyphen statt Pyramiden
Der Grund sind die jahrtausendealten Geoglyphen. Entdeckt wurden sie erst 2007 – und das rein zufällig. Der kasachische Hobbyforscher Dimitri Dey setzte sich an seinen Computer und ging via Google Earth auf die virtuelle Suche nach Pyramiden in seinem Land. Denn laut einer Sendung auf dem Discovery Channel sollte es die auf der ganzen Welt geben.
Doch Dey fand keine der Bauwerke, wie man sie vor allem aus Ägypten kennt. Stattdessen stieß er auf die außergewöhnlichen und vielseitigen Zeichnungen auf der Erdoberfläche. Vergleichbare Formen kannte man vorher nur aus Nazca in Peru, dem Amazonasgebiet oder Oxfordshire in England.
101 Erdhügel formen ein gigantisch großes Rechteck - mehrere Fußballfelder groß. Sie sind jeweils knapp 90 Zentimeter hoch und mehrere Meter im Durchmesser breit. Die Ecken werden über sich kreuzende Linien verbunden. Wer davorsteht, erkennt nichts. Nur aus der Luft kann man das Ausmaß erfassen.
Aber das ist nicht die einzige der mysteriösen Geoglyphen, wie die gewaltigen Bodenlinien auch genannt werden. Anderswo in der Region entdeckt man gewaltige Kreuze, Ringe, Linien und andere Formen. Sie wurden allesamt aus Erde erschaffen. Es gibt teilweise auch Gräben und Wälle, einige davon sind 400 Meter im Durchmesser groß.
Riesiger Aufwand über einen langen Zeitraum
Fest steht, dass Menschen diese Hügel mühsam per Hand erschaffen haben. Ursprünglich waren die Erhebungen wohl bis zu zehn Meter hoch. Viele Personen mussten an der Schöpfung mitgearbeitet haben, über einen langen Zeitraum.
Sie stammen aus unterschiedlichen Zeitaltern, die ältesten sind 8.000 Jahre alt, einige andere aus der Zeit um 85 nach Christus. Exakter können Forscher die Entstehungszeit bisher nicht eingrenzen.
Aber wer hat diese Erdzeichnungen erschaffen – und warum? Um ihren Zweck ranken sich Mythen und Spekulationen.
Obwohl der Fund eine Sensation war, dauerte es trotzdem ein paar Jahre, bis Dey renommierte Wissenschaftler für seinen Fund begeisterte. Das lag auch daran, dass viele dem Entdecker zunächst unterstellten, er habe die ganze Sache erfunden und wolle sich bloß einen Spaß machen.
8.000 Jahre unentdeckt in der Steppe
Der Verdacht lag sogar nahe. Denn wie mysteriös ist es, dass riesige Geoglyphen aus dem Weltall zu sehen sind, aber auf der Erde über Tausende von Jahren unsichtbar blieben?
Das klingt eigenartig, ist aber ganz einfach zu erklären: Die Perspektive macht's. Am Boden ergeben die einzelnen Bestandteile der Erdzeichnungen keinen sichtbaren Zusammenhang. Deswegen baute man vor wenigen Jahren unwissend sogar eine Straße quer durch eine der Strukturen.
Die Geoglyphen-Fotos aus der ISS
Dimitri Dey entdeckte anfangs nur drei Geoglyphen, darunter ein Kreuz und als größte Formation ein gigantisches Quadrat. Der Mann forschte zunächst allein und trug akribisch Informationen zusammen.
Später suchte er sich Verstärkung im Forscherteam von der Universität seiner Heimatstadt. Die Crew untersuchte die Erdstrukturen, nahm Bodenproben und machte Luftaufnahmen. Weitere Geoglyphen wurden entdeckt.
Jetzt wurde auch die NASA darauf aufmerksam – und nahm 2015 eigene Fotos von den mysteriösen Bodenzeichnungen aus der Internationalen Raumstation ISS auf. Damit erst war der Beweis erbracht, dass es sie gibt.
Wozu dienten die Geoglyphen?
Warum aber sind in einer kargen Steppe geometrische Figuren zu sehen? Was hinter den zahlreichen Erdformationen steckt, ist den Experten bis heute ein Rätsel. Entdecker Dey hatte seine eigenen Vermutungen.
Anfangs dachte er, die Sowjets steckten hinter der Entstehung. Vielleicht hatte er die Überreste von geheimen Versuchsanlagen gefunden, die neues Land kultivieren sollten. Später dachte er an eine Art horizontales Observatorium.
Figuren entlang der geraden Linien würden sich hervorragend dazu eignen, den Verlauf der Sonne zu messen. Einen Beweis für die Behauptungen gibt es nicht.
Andere Forscher stellten die Hypothese auf, dass die Geoglyphen eine rituelle Bedeutung hatten. Da auch Feuerstellen in der Region entdeckt wurden, könnten sich dort Menschen versammelt haben. Weil man die Formationen nur von oben sehen kann, wollten die Gläubigen damit womöglich den Göttern eine Botschaft mitteilen.
Manche Verschwörungstheoretiker deuten die großen Zeichnungen anders. Sie gehen ebenfalls davon aus, dass über sie Nachrichten vermittelt werden sollten – allerdings an Außerirdische. Oder vielleicht stammen die Bilder sogar von Aliens und sind für Menschen gedacht?
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