Zu viele Autos sorgen für schlechte Luft und heiße Innenstädte. Doch es geht auch anders, wie das Beispiel Barcelona zeigt: Sogenannte Superblocks erhöhen die Lebensqualität deutlich und nachweislich. Doch was steckt hinter dem Konzept?
Spielende Kinder auf einer Straßenkreuzung, ein Fahrradfahrer schlängelt sich samt Hund gemächlich hindurch. Man hört Lachen und das rhythmische Klackern eines Tischtennisballs. Auf Bänken sitzen neben bunten Blumentrögen ältere Menschen und schauen dem Treiben zu. Große gelbe Farbkreise lockern die schwarze Asphaltfläche auf, Autos sind keine zu sehen.
Wie ein kleiner Dorfplatz wirkt die lebendige Szene, dabei befindet sich die verkehrsberuhigte Kreuzung in einem dicht bebauten Stadtteil der spanischen Millionenstadt Barcelona. Bei den Einheimischen ist das Konzept als "Superilles" bekannt, in Deutschland und anderen europäischen Städten hat sich der Begriff "Superblock" dafür etabliert.
Was ist ein Superblock?
Die Idee der Superblocks entstand schon Ende der 1990er-Jahre. Die Stadtverwaltung von Barcelona kämpfte mit einer enorm hohen Bevölkerungsdichte bei wenigen Grünflächen und einer gesundheitsgefährdenden Lärm- und Schadstoffbelastung durch den Straßenverkehr. Um den Durchgangsverkehr in den typisch schachbrettartigen Wohnvierteln zu reduzieren, fasste man 2003 erstmal drei mal drei Häuserblocks zusammen und richtete Einbahnstraßen dazwischen ein.
Lesen Sie auch
- Diese Klimaschutzprojekte geben Hoffnung
- Umweltpreisträgerin räumt mit Irrtümern über Moore auf
Durchfahrtsperren für Autos machen die Straßen unattraktiv für Abkürzungen und bleiben so den Anwohnenden vorbehalten. Jede Straße im Superblock lässt sich weiterhin anfahren, nach zwei Straßenecken landet man wegen einer Abbiegevorschrift aber wieder auf der geschäftigen Umgehungsstraße, die um den Superblock herum und weiter in die Stadt führt. Die verbleibenden Autos dürfen nur mit 10 bis 20 km/h ein- oder ausfahren, zu Fuß Gehende und Radler haben grundsätzlich Vorrang.
Weniger Luftverschmutzung, mehr Bewegung
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Durch die schmaleren Autostraßen entsteht mehr freier Platz für Schatten spendende Bäume, insektenfördernde Blumen, Parkbänke und Tischtennisplatten. Für Kinder wird die Teilnahme am Verkehr sicherer und sie lernen dadurch früher, sich selbständig im eigenen Viertel zu bewegen. Der Parkverkehr wird in zentralen Quartiersgaragen untergebracht, die sich in fußläufiger Entfernung befinden.
Im Superblock Poblenou wurde die Anzahl der Bänke von 36 auf 385 mehr als verzehnfacht, für Kinder entstanden über 500 Quadratmeter neue Spielfläche. Zudem wurden 176 große Bäume gepflanzt. Es öffneten mehr lokale Geschäfte und Lokale, wodurch das ganze Viertel noch attraktiver wurde.
Die Stadtverwaltung Barcelona konnte in einer wissenschaftlichen Begleitung der Umgestaltung belegen, dass die Bewegung der Anwohner und Anwohnerinnen um ein Drittel zunahm. Mit dem gleichzeitigen Rückgang der Stickstoffdioxidbelastung um 33 Prozent leben die Menschen laut Bundesumweltamt in einem Superblock deutlich gesünder.
Konflikte lassen sich lösen
Zu Anfang standen gerade Geschäftsleute und Autofahrende der Umgestaltung kritisch gegenüber. Zu groß war die Sorge vor Umsatzeinbußen oder Problemen mit der individuellen Mobilität. Das befürchtete Geschäftesterben blieb aber aus. Viele Menschen stiegen um aufs Rad und öffentliche Verkehrsmittel und entdeckten die Freiheit des Zu-Fuß-Gehens, statt auf Parkplatzsuche den Häuserblock umrunden zu müssen. Auch Notfallfahrzeuge kommen schneller ans Ziel, weil sie nicht im Stau stecken bleiben.
Die vielen Vorteile sprachen sich in anderen verkehrsgeplagten Großstädten herum. In Deutschland gründeten sich 2018 in Berlin die erste "Kiezblocks"-Initiativen, 2020 griffen Berliner Bezirksämter die Idee auf und starteten mehrere Pilotprojekte. Während der Corona-Pandemie entdeckten viele Stadtbewohnende die Vorzüge von Parks und Grünflächen in der eigenen Umgebung und wünschten sich mehr Sitzplätze, Spielgeräte oder Mini-Gärten in den eigenen Straßen. Mittlerweile gibt es bundesweit über 15 Bürgerinitiativen, beispielsweise in Stuttgart oder Leipzig, die "Superbüttel" in Hamburg oder die "Freiblocks" im badischen Freiburg.
Superblocks sind für alle gut
In Österreichs Hauptstadt Wien testet die Stadt "Supergrätzl". Als "Grätzl" wird in Wien ein Stadtviertel bezeichnet. Für eine Probephase wurden im letzten Sommer die von einem Landschaftsarchitekturbüro geplanten Maßnahmen wie Fahrbahnverengung oder Bäume und Pflanzkübel farbig auf den Straßenbelägen eingezeichnet.
"So lässt sich das neue Lebensgefühl erst mal in der Praxis ausprobieren, Schwachstellen können leichter behoben und angepasst werden", erklärt Christiane Bröker, Landschaftsarchitektin und Mitglied bei den "Freiblocks". Vorbildlich findet sie auch die vorausgegangene Bürgerbeteiligung: "So lassen sich Konflikte besser bereinigen."
Der Dachverein Changing Cities, unter dem sich viele Initiativen versammeln, hat "Empfehlungen für Superblocks" (ESu) entwickelt, mit einer Anleitung und Standards zur Einrichtung von Wohnvierteln ohne Durchgangsverkehr. Darin finden Kommunen Richtlinien für einfach umzusetzende Maßnahmen zur nachhaltigen und verkehrsberuhigten Stadtentwicklung im Sinne der Superblocks.
Wer einmal einen Nachmittag in einer derartig beruhigten Verkehrszone verbracht hat, findet schnell Gefallen daran. "Der öffentliche Raum ist eigentlich für alle da. Nur 60 Prozent der Menschen haben ein eigenes Auto und trotzdem nimmt der motorisierte Individualverkehr den größten Teil unserer Straßen ein", sagt Christiane Bröker. Sie setzt sich für einen verkehrsberuhigten Superblock in ihrem Viertel ein: "Gerade an heißen Tagen merkt man, wie gut mehr Grün in der Stadt tut und dass Straßen mehr können, als einen nur von A nach B zu bringen."
Über die Gesprächspartnerin
- Die Landschaftsarchitektin Christiane Bröker ist Gründungsmitglied bei den "Freiblocks", einer bürgerschaftlichen Initiative aus Freiburg für Superblocks. Sie findet es schade, dass so wenige Kinder und ältere Menschen im ihrem Viertel auf den Straßen unterwegs sind. "Daran erkennt man, dass hier dringend etwas verändert werden muss."
Verwendete Quellen
- Ajuntament de Barcelona: Towards Superblock Barcelona
- Umweltbundesamt.de: Umgestaltungen in Barcelona – Pionier der Superblocks
- Changing Cities: ESu 23: Empfehlungen für Superblocks
- Persönliches Gespräch mit Christiane Bröker, Landschaftsarchitektin bei Freiblocks (www.freiblocks.de), am 31.07.2024
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.