Für Tom Middendorp gehen Sicherheit und Klima Hand in Hand. Zumindest ist das mittlerweile der Fall - denn lange Zeit spielte der Klimawandel für den einstigen General keine Rolle. Bis ihm ein Vorfall die Augen öffnete. Heute nennt er sich selbst "Klima-General" und inspiriert Menschen weltweit.

Ein Porträt
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Sophie Bierent sowie ggf. von Expertinnen oder Experten. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es war eine bestimmte Erfahrung, die Tom Middendorp dazu brachte, seinem Leben einen neuen Sinn zu geben.

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Der Niederländer war im Jahr 2009 als Kommandeur in Südafghanistan. "Ich habe gesehen, welche verheerenden Auswirkungen Wasserknappheit auf die Bauern vor Ort hatte. Sie sind auf Wasser angewiesen, um ihre Felder zu bewirtschaften. Wenn das Wasser knapp wurde, stiegen die Spannungen, und es kam zu Kämpfen um den Zugang. Die Taliban nutzten diese Spannungen gezielt aus, um ihre Macht zu festigen."

Das niederländische Militär habe dann eine Lösung für das Wassermanagement ausgehandelt, die Konflikte seien verschwunden – und die Taliban hätten in diesem Bezirk Einfluss verloren. Heute sagt Middendorp, der sich selbst als "Klima-General" bezeichnet: "Diese Erfahrung ließ mich erkennen, dass der Klimawandel ein viel größeres Problem ist und mit unserer Arbeit beim Militär viel stärker verknüpft, als ich jemals gedacht hätte."

Der Weg zum "Klima-General"

40 Jahre lang diente Middendorp beim niederländischen Militär, mittlerweile ist er General im Ruhestand. Im Laufe seine Karriere hatte er zahlreiche Positionen inne und stand ständig vor neuen Herausforderungen. "In vielerlei Hinsicht war es eine Reise der Selbstentdeckung", erzählt er.

"Während meiner Einsätze wurde mir klar, dass das Klima mehr als nur ein begrenzender Faktor für unsere Operationen ist – es prägt auch unser Sicherheitsumfeld."

Tom Middendorp

Mit dem Klima hatte er sich lange Zeit gar nicht befasst. Für die meisten Soldaten sei das etwas sehr Abstraktes, auch wenn das Militär unter verschiedensten klimatischen Bedingungen operiere und dabei die Begebenheiten vor Ort berücksichtige. "Während meiner Einsätze wurde mir jedoch klar, dass das Klima mehr als nur ein begrenzender Faktor für unsere Operationen ist – es prägt auch unser Sicherheitsumfeld."

Nach seinem "echten Augenöffner" in Afghanistan war er bis Oktober 2017 unter anderem Verteidigungschef der niederländischen Streitkräfte und für Missionen in über 20 Regionen weltweit verantwortlich. Dabei habe er tiefere Einblicke in die Ursachen und Dynamiken von Konflikten bekommen, erzählt er.

Im Irak habe er gesehen, dass der IS den Mossul-Staudamm besetzte und die Wasserversorgung als Waffe einsetzte, um die Bevölkerung zur Kooperation zu zwingen oder den Menschen das Wasser zu entziehen.

In Somalia habe er erlebt, wie arme Bauern und Fischer aus Mangel an Alternativen zur Piraterie gedrängt wurden.

In Nord-Mali habe er mitbekommen, wie die Tuareg-Stämme zunehmend anfällig für extremistischen Einfluss wurden – unter anderem aufgrund des Klimawandels und der zunehmenden Dürren. Ihre traditionelle Lebensweise sei immer schwerer aufrechtzuerhalten gewesen.

Tom Middendorp
General Tom Middendorp spricht mit Soldaten bei einem Einsatz in Gao, Mali, am 26. Mai 2014. © picture alliance / dpa/Evert-Jan Daniels

"Der Klimawandel betrifft nicht nur Einzelne – er verändert das Leben von Millionen von Menschen", appelliert Middendorp. Seine Erfahrungen hätten ihn erkennen lassen, dass das Militär den Klimawandel ernster nehmen müsse. "Als Generalstabschef war ich fünfeinhalb Jahre lang bei zahllosen Nato- und EU-Treffen – doch das Thema 'Klima' wurde nie angesprochen. Es war schlichtweg kein Thema", sagt er. "Das musste sich ändern." Seitdem hat er viele öffentliche Reden gehalten und macht weltweit auf den Zusammenhang von Klimawandel und Sicherheit aufmerksam.

Wie sich der Klimawandel auf unsere Sicherheit auswirkt

Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Sicherheit sind laut Middendorp breit gefächert. Da wäre zum einen die strategische Dimension. So führe die Verknappung von Ressourcen zu einem verschärften Wettbewerb. Ein Beispiel, das er nennt, ist die schmelzende Arktis. Sie eröffne den Zugang zu Ressourcen, was den Wettbewerb zwischen China, Russland, den USA und Europa anheize.

"Außerdem entstehen neue Versorgungsrouten, die den Transport von China nach Europa über Russland unter Umgehung des Suezkanals ermöglichen. Diese Verlagerung verändert die wirtschaftliche Dynamik und stärkt die strategische Position Russlands", sagt er. Mit dem Zugang zu beiden Ozeanen von Norden her positioniere Russland seine Streitkräfte neu und stelle eine direktere Bedrohung für Europa und die USA dar.

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Große Sorge bereiten dem Niederländer fragile Regionen, die besonders unter den neuen Klimabedingungen leiden. Vergangenes Jahr war er unter anderem in Somalia, Bangladesch und im Irak. "Die Gebiete im Landesinneren leeren sich, weil die Bauern ihr Land aufgeben. Sie können nicht mehr davon leben. Sie wandern in die überfüllten Städte ab, wo es kaum Arbeitsplätze gibt, was zu Spannungen und Verzweiflung führt", berichtet er.

"Diese wachsende Unsicherheit beunruhigt mich zutiefst."

Tom Middendorp

In Somalia seien zwei Drittel der Bevölkerung minderjährig - "junge Menschen ohne Perspektiven". Da sie nur wenige Möglichkeiten hätten, wendeten sich viele der Migration, der Kriminalität oder extremistischen Gruppen zu, was die Instabilität weiter fördere. "Diese wachsende Unsicherheit beunruhigt mich zutiefst", sagt Middendorp.

Eine weitere Auswirkung auf die Sicherheit, verstärkt durch den Klimawandel, seien Naturkatastrophen. "Wir erleben jedes Jahr neue Rekorde. Und es werden immer mehr. Überschwemmungen, Wirbelstürme, Waldbrände", schildert der General besorgt und nennt als Beispiel die Waldbrände in Kalifornien im Januar. Staaten müssten ihre Widerstandsfähigkeit ausbauen, rät er und fasst zusammen: "Der Klimawandel wirkt sich in vielerlei Hinsicht auf die Sicherheit aus, was direkte Folgen für das Militär hat."

Klimasicherheit zur Priorität machen

"Bewusstheit ist der Schlüssel. Ohne das Problem zu erkennen, wird sich nichts ändern", appelliert Middendorp. Deshalb gründete der General im Jahr 2019 den International Military Council on Climate and Security, kurz IMCCS. Er selbst fungiert als Vorsitzender dieses globalen Netzwerks von Expertinnen und Experten aus über 40 Ländern.

Tom Middendorp
General Tom Middendorp bei einem Treffen mit dem damaligen US-Präsident Barack Obama im Jahr 2014. © IMAGO/Newscom World/Aude Guerrucci

Das Ziel ist es, Verständnis für klimabedingte Sicherheitsrisiken zu vertiefen und Organisationen wie der Nato und der EU Erkenntnisse zu vermitteln. Mit seiner Vision ist Middendorp nach eigener Aussage mittlerweile schon weit gekommen. "Ich freue mich, dass die Nato der Klimasicherheit nun Priorität einräumt und sich zum Ziel gesetzt hat, in dieser Frage die Führung zu übernehmen. Das ist ein entscheidender Schritt nach vorn", sagt er - nicht ohne Stolz.

Das Militär selbst hat für Middendorp drei Schlüsselrollen bei der Klimasicherheit: Aufklärung, Schadensbegrenzung und Anpassung. So sei es wichtig, das Klima als Faktor der Instabilität in nachrichtendienstliche Bewertungen einzubeziehen. "Dadurch können wir Vorhersagen und Frühwarnungen verbessern und Regierungen helfen zu handeln, bevor Krisen eskalieren."

Auch müsse das Militär selbst als großer Verursacher von Umweltverschmutzung seinen ökologischen Fußabdruck verringern. Middendorp pocht daher auf Innovationen: "Elektrische Panzer sind nicht praktikabel, aber neue Technologien in den Bereichen Kreislaufwirtschaft und Energiewende können die Streitkräfte autarker machen."

"Die Unterstützung des Nahen Ostens und Nordafrikas bei der Anpassung an den Klimawandel verringert die Sicherheitsrisiken weltweit."

Tom Middendorp über Aufgaben des Militärs

Bei Einsätzen müsse das Militär auf extreme Klimabedingungen vorbereitet sein und wichtige Infrastrukturen schützen. "Die Unterstützung des Nahen Ostens und Nordafrikas bei der Anpassung an den Klimawandel verringert die Sicherheitsrisiken weltweit", sagt er weiter. Stabilität sei der Schlüssel: "Das Militär vor Ort muss die Führung übernehmen und wir können Menschen ausbilden und unterstützen, um diese Grundlage zu schaffen."

Aktuelle Entwicklungen sind für Middendorp ein Rückschlag, aber keine Krise

Dass einige Menschen den menschengemachten Klimawandel leugnen, bereitet dem "Klima-General" Sorge. Auch auf die aktuellen politischen Entwicklungen blickt er angespannt. Dass Donald Trump in den USA erneut zum Präsidenten gewählt wurde, ist für den General "ein Rückschlag, aber keine Sackgasse".

Denn selbst Trump wisse, dass es ein Fehler wäre, die Energiewende an China zu verlieren, meint er. "Seine Politik mag andere dazu verleiten, Maßnahmen zu verzögern, aber der Klimawandel wird nicht warten. Je länger wir ihn ignorieren, desto größer werden die Probleme sein."

"Wenn man den Klimawandel als Sicherheitsproblem betrachtet, bringt das die Menschen zum Nachdenken, vor allem diejenigen, die traditionell nicht so klimabegeistert sind. Wenn sie die Auswirkungen auf die Sicherheit sehen, beginnen sie, das Thema ernst zu nehmen."

Tom Middendorp

Der Militärexperte gibt zu bedenken: "Der Klimawandel hat natürlich auch Auswirkungen auf Migration und Wirtschaft." Middendorp fordert deshalb ein neues Narrativ. "Wenn man den Klimawandel als Sicherheitsproblem betrachtet, bringt das die Menschen zum Nachdenken, vor allem diejenigen, die traditionell nicht so klimabegeistert sind. Wenn sie die Auswirkungen auf die Sicherheit sehen, beginnen sie, das Thema ernst zu nehmen."

Der Klimawandel sei nicht nur ein Umweltproblem, sondern habe auch massive wirtschaftliche und sicherheitspolitische Auswirkungen. Dennoch blickt Middendorp positiv in die Zukunft: "Wenn wir diese Auswirkungen greifbar machen, werden die Menschen den Klimawandel anders sehen und erkennen, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, zu handeln."

Redaktioneller Hinweis

  • Das Gespräch wurde per Videocall auf Englisch geführt und im Anschluss übersetzt.

Verwendete Quellen

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