In den kommenden Jahren könnten bis zu 90 Prozent aller Korallenriffe weltweit verloren gehen. Forschende entwickeln daher neue Ansätze, die Korallenriffe wieder aufzubauen. Was bringt das?
Es ist eine Kurve, die mich seit Monaten beschäftigt: die Oberflächentemperatur der Weltmeere. Seit mehr als einem Jahr sind die Ozeane so heiß wie nie zuvor in den vergangenen 65 Jahren. Und die Kurve flacht nicht ab. Forschende vermuten, dass mehrere Faktoren zu diesem starken Anstieg der Temperatur führen. Der Hauptgrund ist der Klimawandel.
Die Folgen für das marine Leben sind gravierend – vor allem für die Korallen. Sie gehören zur Gruppe der Nesseltiere und leben in einer biologischen Zweckgemeinschaft mit farbigen Mikroalgen. Sind die Wassertemperaturen zu hoch, stoßen die Korallen die Algen ab und bleichen aus. Während dieser Bleiche sind Korallen ohne ihre Symbionten – also die Algen – extrem schwach. Zwar können sich Korallen von einer Bleiche erholen und wieder Algen aufnehmen, wenn die Wassertemperaturen fallen. Halten die hohen Wassertemperaturen allerdings über einen längeren Zeitraum an, sterben sie.
Globale Massenbleiche steht bevor
Das Problem: Die Hitzewellen nehmen zu, der Abstand zwischen ihnen wird immer geringer, aktuell beträgt er circa zwei bis drei Jahre. Das reicht nicht aus, damit sich ein Korallenriff wieder komplett erholen kann. Die Folge: Bis 2050 könnte die Zahl der Korallen in den Meeren um bis zu 90 Prozent schrumpfen, heißt es im Weltklimabericht IPCC.
Vor ein paar Wochen verkündeten australische Behörden nach neuen Luftaufnahmen, dass das bekannte Korallenriff Great Barrier Reef in Australien erneut eine Massenbleiche erlebt. Und nicht nur das: Daten des Coral Reef Watch Tools der Nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde NOAA zeigen, dass das Problem sehr wahrscheinlich weit über Australien hinausgeht und die Welt in den kommenden Monaten eine neue globale Massenbleiche von Korallen erlebt.
Korallenriffe sichern das Überleben von Millionen Menschen
Und ja, das Korallensterben geht auch uns Menschen an. Korallenriffe sind wahre Hotspots der Artenvielfalt. Sie ernähren rund ein Viertel des marinen Lebens, obwohl sie weniger als ein Prozent der Meeresböden bedecken. Gut 500 Millionen Menschen sind weltweit auf Korallenriffe angewiesen.
Vor allem in Ländern des globalen Südens tragen Korallenriffe etwa ein Viertel des gesamten Fischfangs bei. Korallenriffe verringern außerdem als natürlicher Küstenschutz die Wucht von Sturmfluten und sind damit ein wirksamer Schutz gegen Überschwemmungen.
Geglückte Renaturierung von Korallenriffen
Eine jüngst veröffentlichte Studie aus dem Fachmagazin "Current Biology" gibt nun Anlass zur Hoffnung: Den Forschenden ist die Renaturierung stark geschädigter Korallenriffe vor der Küste der indonesischen Provinz Südsulawesi geglückt. Mithilfe von sogenannten "Reefstars" – Stahlgestängen, mit Korallenfragmenten besetzt – konnten die Forschenden die einst kahlen Schotterfelder in lebendige Riffe verwandeln.
Auch wenn die neu belebten Korallenriffe nach vier Jahren noch nicht die gleiche Vielfalt an Arten aufweisen wie natürliche Riffe, ist die Rückkehr der Fischpopulationen ein ermutigendes Zeichen. Zudem leisten die neuen Korallenkolonien einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Küstenlinie.
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Allerdings ist dieser Ansatz zur Renaturierung nicht universell anwendbar. Denn die Riffe vor Sulawesi wurden vor allem durch Dynamitfischerei stark beschädigt, aber in den letzten Jahren gab es dort keine größeren Korallenbleichen. Dadurch hatten die neu angesiedelten Korallen die Möglichkeit, sich in Ruhe zu entwickeln. Für Regionen, die von Hitzewellen stark betroffen sind, bringen die "Reefstars" daher nicht denselben gewünschten Effekt.
Unterwassersound lockt Korallenlarven und Fische an
Doch es gibt noch andere vielversprechende Ansätze. Eine weitere Methode wurde etwa in der Karibik getestet: ein akustisches Verfahren. Die Grundidee dahinter ist, dass Korallen sich auf unterschiedliche Weisen vermehren, zum Beispiel durch die Befruchtung von Ei- und Samenzellen, die zu kleinen Larven heranwachsen und sich dann an Riffen festsetzen und zu ausgewachsenen Korallen entwickeln.
Für die Studie wurden Unterwasserlautsprecher eingesetzt, um das lebhafte Treiben der Unterwasserwelt zu imitieren. Hören Korallenlarven die Geräusche eines gesunden Ökosystems, sind sie eher bereit, sich auf den Riffen anzusiedeln. Und tatsächlich beobachteten die Wissenschaftler, dass sich die Korallenlarven dank des Unterwassersounds an bereits beschädigten oder an künstlichen Riffen vermehrt ansiedelten – ein echter Erfolg.
Unterwasserbeschallung ist nur ein Teil der Strategie
Auch andersherum funktioniert dieses akustische Verfahren, zeigt eine Studie. Meeresbiologen der Universität Exeter stellten in einigen abgestorbenen Bereichen des Great Barrier Reef Lautsprecher auf, die Geräusche aus gesunden Riffen abspielten. Denn auch Fische hören, welches der Riffe gesund klingt und ziehen eher darin ein. Eine gesunde Fischpopulation hilft den Korallen ebenso, sich anzusiedeln. Und auch hier hatten die Forschenden Erfolg. Die Methode wird nun weiter in Australien getestet.
Allerdings ist diese Beschallung allein nur ein Teil der Strategie, um das Überleben von Korallenriffen zu fördern. Zusätzlich ist es wichtig, Korallen unter kontrollierten Bedingungen zu züchten und dann in die natürliche Umgebung auszusetzen. Künstliche Strukturen wie solche aus Bambus, Metall, Holz oder Beton im Meer helfen dabei, da sie den Korallen einen geeigneten Untergrund bieten, an dem sie wachsen können. Gemeinsam mit dem Unterwassersound könnte man dann sowohl Fische als auch die Korallenlarven anlocken.
Korallenriffe renaturieren: Teuer und zeitaufwendig
Werden wir so die Korallen retten können? Die Antwort: ja und nein. Die Renaturierung von Korallen ist kostspielig und zeitaufwendig. Allein das Great Barrier Reef ist von der Fläche so groß wie Italien. Auf solch einer gewaltigen Fläche neue Korallen anzusiedeln, wäre ein kaum zu bewältigender Aufwand.
Ja, die Ansätze aus der Wissenschaft geben Hoffnung – auch mir – und sind extrem wichtig. Doch solange die Temperaturen weiter ansteigen, werden auch diese Rettungsversuche kaum nachhaltig sein. Die einzige langfristige Rettung für die Korallen ist, unsere Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Nur so kann die weitere Erwärmung der Meere gestoppt werden, nur so kann der Hitzestress für die Korallen reduziert werden. Nur so wird die Temperaturkurve langfristig endlich flacher.
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Verwendete Quellen
- gbrmpa.gov.au: Aerial Surveys confirm widespread Bleaching across the Great Barrier Reef
- coralreefwatch.noaa.gov: Daily Global 5km Satellite Sea Surface Temperature Anomaly
- sciencedaily.com: Good news for coral reef restoration efforts: Study finds 'full recovery' of reef growth within four years
- royalsocietypublishing.org: Soundscape enrichment increases larval settlement rates for the brooding coral Porites astreoides
- nature.com: Acoustic enrichment can enhance fish community development on degraded coral reef habitat
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