Sorge um das Great Barrier Reef: Zunehmende Hitzewellen hindern gebleichte Korallen an der Erholung. Nur schneller Klimaschutz kann das australische Weltnaturerbe noch retten.
Forscher und Forscherinnen haben die Temperaturen des Great Barrier Reef seit dem Jahr 1618 rekonstruiert. Demnach herrschten dort lange Zeit stabile Temperaturen. So warm wie im ersten Quartal 2024 war es zu keiner Zeit des untersuchten Zeitraums.
"Das Great Barrier Reef ist wärmer als je zuvor und die wiederholten Hitzewellen haben das Riff an den Rand seiner Belastbarkeit gebracht", kommentiert Miriam Pfeiffer, Paläontologin an der Universität Kiel, die Studie, an der sie nicht beteiligt war. Die Ergebnisse seien besorgniserregend, weil sie zeigten, dass die Hitzeextreme der letzten Jahre nicht nur ungewöhnlich, sondern beispiellos sind.
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Für die in dieser Woche in "Nature" veröffentlichte Studie haben Forscher und Forscherinnen aus Australien und den USA um Benjamin Henley von der Universität Wollongong geochemische Analysen von Korallen durchgeführt. Dadurch konnten sie für einen Zeitraum die Temperaturen der Meeresoberfläche ermitteln, für den es bis dato weder Aufzeichnungen noch Beobachtungsdaten gegeben hatte. Korallenskelette bilden ähnlich wie Baumringe Schichten, aus deren chemischer Struktur sich Rückschlüsse auf die Wassertemperatur in der Vergangenheit ziehen lassen. Ab dem Jahr 1900 liegen empirische Messdaten der Temperatur vor, anhand derer die Forschenden ihre Methode verifiziert haben.
2017, 2020 und 2024 waren die wärmsten Riffjahre seit 1618
Die Temperaturen im Zeitraum von Januar bis März in den Jahren 2017, 2020 und 20204 waren demnach die höchsten seit mindestens vier Jahrhunderten. 2024 hält dabei den Rekord mit einer Abweichung von 1,73 Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt.
Die Studie belegt, dass Häufigkeit und Intensität von Meereshitzewellen seit Beginn des 20. Jahrhunderts signifikant zugenommen haben. Vor 1900 lagen die Temperaturabweichungen im Meeresgebiet rund um das Great Barrier Reef fast durchgehend unterhalb der heutigen Werte. Den Temperaturanstieg im 20. und 21. Jahrhundert schreiben die Forschenden anhand ihrer Modelle eindeutig dem menschlichen Einfluss zu.
Laut der Studie liegt die Erwärmungsrate seit 1960 bei 0,12 Grad pro Jahrzehnt, was zu einer Häufung extremer Hitzeperioden geführt hat, die wiederum massenhafte Korallenbleiche-Ereignisse auslösten. Den Autoren zufolge könnte das australische Riff bald jährlich solche Korallenbleichen erleben.
Korallenbleiche selbst während La Niña
Tatsächlich berichteten Forscher und Forscherinnen bereits im vergangenen Jahr, dass selbst in den sonst eher kühlen La-Niña-Jahren 2021 und 2022 die Korallen einem Hitzestress ausgesetzt waren, der zweieinhalbmal stärker war als in früheren La-Niña-Phasen. Ursache dafür war vermutlich, dass die großräumigen Wettermuster, die wie Wellen die Erde umlaufen, sich verschoben haben und so das Riff in einer Hitzezone eingeschlossen war. Die Folge war eine weitflächige Korallenbleiche.
Miriam Pfeiffer, die Paläontologin von der Uni Kiel, hebt hervor, dass die Erwärmung der Meere nicht nur das Überleben der Korallen gefährdet, sondern auch die unzähligen Arten, die auf das komplexe Riff-Ökosystem angewiesen sind. In Korallenriffen versammeln sich drei Viertel der gesamten Artenvielfalt der Weltmeere. "Mit jeder neuen Hitzewelle wird die biologische Vielfalt des Riffs weiter reduziert. Die komplexen Strukturen, die vielen Meeresbewohnern Schutz und Nahrung bieten, drohen zu verschwinden."
Ohne schnelle und drastische Maßnahmen, die die Treibhausgasemissionen verringern, gebe es kaum Hoffnung für das Great Barrier Reef – davon ist Pfeiffer überzeugt. "Die Erwärmung, die wir bereits erlebt haben, zeigt deutlich, dass die internationale Gemeinschaft weit mehr tun muss, als nur nationale Ziele zu setzen. Wir brauchen eine globale Klimapolitik, die sofortige und umfassende Maßnahmen umfasst."
"Wenn die Erderwärmung die Grenze von 1,5 Grad erreicht oder überschreitet, dann werden wir einen radikalen Wandel erleben, wie Riffe aussehen und funktionieren", warnt auch Sonia Bejarano, Korallenforscherin am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen. Für riffbildende Korallen sei es schwer, dann zu überleben.
Dazu muss man verstehen, wie ein Riff und die zu den Nesseltieren zählenden Korallen funktionieren: Steinkorallen lagern Kalk ein und bilden so Skelette, die sich zu Korallenbänken und -riffen ausweiten. Ihre verschiedenen Farben verdanken die Korallen Symbionten: In die Polypenzellen lagern sich Mikroalgen ein, sogenannte Zooxanthellen. Die Algen betreiben Photosynthese und versorgen darüber ihre Wirte mit Energie und Nährstoffen.
Korallen können sich regenerieren – falls sie die Chance bekommen
Doch manchmal wird das friedliche Zusammenleben gestört: "Wird das Meerwasser zu warm oder zu kalt, setzen die Mikroalgen Substanzen frei, die schädlich für die Korallen sind", erläutert Bejarano. "Dann schmeißen die Korallen ihre Symbionten raus." Mit den Mikroalgen verlieren die Korallen ihre Farbe, sie bleichen. Nähert sich die Wassertemperatur wieder dem Normalwert, kehren die Algen zurück – sofern die Korallen noch leben.
Obwohl Korallen relativ lange Zeit ohne ihre Symbionten überleben können, sind gebleichte Korallen sehr hungrig und schwach und es kann einige Zeit dauern, bis sie ihre volle Stärke wiedererlangen und sich wieder vermehren. "Die genaue Dauer, die Korallen während der Bleiche überleben können, bevor sie verhungern, hängt stark von der Art und den Umweltbedingungen ab", berichtet die Meeresforscherin. "Dauert der Hitzestress zu lang, dann bleibt nur noch das Skelett zurück."
Wie viel Zeit Korallen benötigen, um sich zu erholen, und wodurch sich die Hitzetoleranzgrenzen verschiedener Korallenarten und Korallen derselben Art unterscheiden, analysiert die Forschung derzeit. Hilfreich für die Erholung sei es in jedem Fall, dass das Meerwasser in den Korallenhabitaten so sauber und unbelastet wie möglich gehalten wird.
Korallenbleichen treten rund um den Globus immer häufiger auf
Waren Korallenbleichen lange Jahre ein vereinzeltes, regional begrenztes Phänomen, sind sie infolge der Klimakrise zu einem Dauerproblem geworden. "Das Meereswasser wird kontinuierlich wärmer, die Sommer heißer und wir erleben praktisch jedes zweite Jahr Hitzewellen, die die Korallen schädigen", schildert Bejarano.
Zuletzt setzte 2023 das Klimaphänomen El Niño einem großen Teil der tropischen Korallen zu, dann folgte Anfang dieses Jahres eine zweite Hitzewelle. Auch dass La Niña tendenziell kühleres Wasser bringt, beruhigt die Forscherin nicht: "Wird es zu kalt, könnten jene Korallen bleichen, die die Hitze von El Niño überstanden haben."
Nicht nur die Zukunft unzähliger Meereslebewesen, auch Menschenleben hängen an den Korallen: "Mindestens 500 Millionen Menschen weltweit sind für ihre tägliche Ernährung, ihr Einkommen oder andere Bedarfe von Korallenriffen abhängig", erläutert Bejarano. "Entscheidend ist auch, dass Riffe auf mehr als 8.700 Quadratkilometern Land und für 1,7 Millionen Menschen Überschwemmungen verhindern. So vermeiden sie Schäden an Gebäuden und Bauwerken in Höhe von 36 Milliarden Dollar." Mit steigenden Meeresspiegeln wird weiter an Bedeutung gewinnen, dass Riffe als Wellenbrecher wirken und Küstensedimente stabilisieren.
Korallenschutz bedeutet konsequenter Klimaschutz
Was also kann zum Schutz der Korallenriffe getan werden? "Wir müssen massiv CO2-Emissionen reduzieren", fordert Bejarano. Zusätzlich ist es möglich, Korallen zu teilen und die "Ableger" an sicheren Orten aufzuziehen, bevor sie in ein Riff versetzt werden. "Abgestorbene Riffe wiederzubeleben, ist allerdings ein Risiko: Es gibt ja einen Grund, weshalb die Korallen dort abgestorben sind", warnt die Forscherin.
Es gebe auch Möglichkeiten, neue Riffe zu schaffen. "Aber wir müssen erforschen, wie wir das geschickt anstellen", mahnt Bejarano. Ein künstliches Riff aus Autoreifen in den USA etwa hat sich zu einer ökologischen Katastrophe entwickelt. Darum betont die Wissenschaftlerin: "Wir müssen verstehen, was manche Korallen hitzetolerant macht, und die Kosten und Folgen unserer Eingriffe genau kennen."
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Verwendete Quellen
- uni-kiel.de: Prof. Dr. Miriam Pfeiffer
- nature.com: Highest ocean heat in four centuries places Great Barrier Reef in danger
- nature.com: Atypical weather patterns cause coral bleaching on the Great Barrier Reef, Australia during the 2021–2022 La Niña
- Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung: Dr. Sonia Bejarano
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