Flutkatastrophe in Spanien, verheerende Hurrikans in Florida und immer neue Temperaturrekorde: Extremwetterereignisse bestimmen mittlerweile die Nachrichten. Das Interesse am Klimaschutz hingegen scheint abgeflaut zu sein. Neurowissenschaftlerin Maren Urner erklärt, warum das so ist.

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Ständig werden weltweit neue Temperaturrekorde verzeichnet, die Nachrichten sind voll von Hochwasser, Dürre und anderen Extremwetterereignissen, doch das Interesse am Klimaschutz scheint seltsam abgeflaut zu sein. Erklärungen bietet die Neurowissenschaftlerin Maren Urner, Autorin des Bestsellers "Radikal emotional - wie Gefühle Politik machen".

Als einen wesentlichen Punkt für das nachlassende Interesse am Klima nennt Urner im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP, "dass unser Gehirn nicht besonders gut darin ist, langfristig zu denken und zu planen". Es fällt uns "unheimlich schwer, komplexe Zusammenhänge, die sich über einen langen Zeitraum entwickeln, zu verstehen beziehungsweise dafür zu sorgen, dass wir unser Verhalten ändern".

Dies liegt auch daran, dass die Folgen der Klimaveränderungen zwar konkret sind, aber der Zusammenhang zu unserem eigenen Leben eher komplex und indirekt: "Nur weil ich mich jetzt irgendwie hier sehr CO2-intensiv verhalte, ist es nicht so, dass direkt neben mir fünf Bäume umkippen", sagt die Professorin für Nachhaltige Transformation an der Fachhochschule Münster.

Zu viele Krisen: Das Thema Klima tritt schnell in den Hintergrund

Doch warum scheint die Bedeutung von Klimaschutz in der öffentlichen Debatte statt stärker sogar schwächer zu werden? Urner verweist hier auf die aktuelle "Akkumulation von Krisen", angefangen mit der Corona-Pandemie, gefolgt vom Krieg in der Ukraine und seit mehr als einem Jahr auch in Nahost.

Wenn so ein "ganz akuter Reiz" wie eine Pandemie wirke, "dann tritt das Thema Klima schnell in den Hintergrund", sagt die Wissenschaftlerin. Aus überlebenstechnischer Sicht sei dieser Effekt "auch sinnvoll", schließlich müsse das Gehirn zuallererst fürs Überleben im Hier und Jetzt sorgen.

Zudem spiele hier auch der ebenfalls tief in der menschlichen Natur verankerte Drang nach Sicherheit eine zentrale Rolle. "Wenn wir eine Krise nach der anderen verspüren oder stärker noch, gefühlt 35 Krisen parallel passieren, wird die Unsicherheit größer. Dann passiert das, was wir jetzt weltweit beobachten können, sprich die Hinwendung sehr vieler Menschen zu vermeintlich einfachen Antworten politischer Natur."

Neurowissenschaftlerin Maren Urner bleibt optimistisch

Auch Beharrungskräfte nähmen in solchen Zeiten der Unsicherheit zu, sagt Urner. Aus all diesen Gründen hätten im Umgang mit dem Klimanotstand zumindest Teile von Politik und Gesellschaft "nicht nur eine falsche Abbiegung genommen, sondern eine ganze Litanei an falschen Abbiegungen".

Verstärkt würden diese Effekte durch Lobbyarbeit fossil arbeitender Unternehmen, aber auch die Mechanismen im Politik-Betrieb. Da gehe es vor allem darum, "dass falsche Belohnungsmechanismen die Kurzfristigkeit im Denken und Handeln unterstützen. Die Verteilung von Ämtern und Erfolg steht häufig nicht im Einklang mit der Maximierung des Gemeinwohls." So würden dann Geschichten erzählt, "die Erfolg als etwas definieren, was dafür sorgt, dass wir unsere eigenen Lebensgrundlagen gerade zerstören, mit zunehmender Geschwindigkeit".

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Gleichwohl bleibt Urner optimistisch, was die Chancen angeht, von dieser "kollektiven Selbstzerstörung" wegzukommen. "Wenn ich davon nicht überzeugt wäre, dann könnte ich mich nicht motivieren, morgens aufzustehen", sagt sie AFP. Zentral sei, "sich aktiv hoffend dafür einzusetzen, dass es besser wird". Dies bedeute, "nicht zu wissen, dass es gut ausgeht, sondern davon überzeugt zu sein, dass das, was man tut, sinnvoll ist und dazu beitragen kann, dass es besser wird".

Urner zeigt erste Schritte auf

Der erste Schritt müsse sein, sich die beschriebenen Mechanismen bewusst zu machen, sich auch klar zu machen, dass bestimmte Verhaltensweisen Teil der menschlichen Biologie sind, sagt Urner. Dann gelte es, "radikal ehrlich" darüber "zu reden und Herausforderungen zu benennen". Allein dies könne "sehr befreiend" wirken.

Im nächsten Schritt, müsse es dann um die Frage gehen, "wie wir nun damit umgehen wollen" - auch im Bewusstsein, wer und welche Kräfte auf der anderen Seite aktiv seien. So sei es möglich, gesellschaftliche und auch wirtschaftliche Strukturen zu verändern, "natürlich alle gemeinsam", betont die Neurowissenschaftlerin. Dann würden auch "neue Gesetze gemacht, weil Menschen es einfordern" - immerhin gehe es hier "nur" um menschliche Regeln und Strukturen – nicht wie beim Klimawandel um unveränderliche Naturgesetze. (afp/bearbeitet von nap)

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