Es gibt einen regelrechten Hype um einen möglichen Weltuntergang. Die sogenannte Kollapsologie ist eine Bewegung aus Frankreich, die sich nicht nur darauf vorbereiten will – sondern auch Vorteile im Zusammenbruch der Zivilisation sieht. Wie gefährlich ist das?

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Das Buch, das den Stein ins Rollen brachte und den modernen Weltuntergang salonfähig machte, heißt: "Wie alles zusammenbrechen kann". Es etablierte einen Begriff, den es bis zu seinem Erscheinen noch nicht gab, den der "Kollapsologie". Der Agrarwissenschaftler und Biologe Pablo Servigne und der Ökoberater Raphaël Stevens veröffentlichten das Buch 2015 in Frankreich, 2023 wurde es ins Deutsche übertragen. In Frankreich war es ein Bestseller und verkaufte sich in sechs Jahren 100.000 Mal.

2018 erschien das zweite Buch des Autorenduos unter dem (übersetzten) Titel "Ein anderes Ende der Welt ist möglich" – das Buch ist allerdings noch nicht in deutscher Übersetzung erhältlich – und etwa zur gleichen Zeit gründeten sich Klimabewegungen wie Extinction Rebellion und Fridays for Future, es erschien ein Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) zu den Folgen der globalen Erwärmung um 1,5 Grad und es protestierten die Gelbwesten in Frankreich gegen die ungleich verteilten Kosten von Klimaschutzmaßnahmen.

2018 war auch das Jahr, in dem der Mehrheit der Menschen in Europa klar wurde, dass die Erde bis zum Jahr 2100 bis zu fünf Grad heißer werden könnte, wenn es schlecht läuft – Temperaturen, die das Überleben auf dem Planeten infrage stellen.

2018 war also das Jahr, in dem Kollapsologie als Bewegung, wissenschaftliche Disziplin und medialer Hype groß wurde. Und es war das Jahr, in dem den Autoren, wie sie selbst sagen, der Begriff entglitt wie Frankenstein sein Monster.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff "Kollapsologie"?

Kollapsologie ist eine Wortschöpfung aus dem ersten Buch von Servigne und Stevens und war eigentlich scherzhaft gemeint. Kurz gesagt geht es dabei um die Beschäftigung mit dem Ende der Zivilisation. "Schwerwiegende und irreversible systematische Schocks könnten sehr wohl bereits morgen auftreten", schreiben die Autoren dazu. Zu diesem Schluss kamen sie, nachdem sie fast 4.000 wissenschaftliche Artikel und 600 Bücher ausgewertet hatten, die sich mit den Katastrophen unserer Epoche beschäftigen.

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Servigne und Stevens vergleichen den drohenden Kollaps mit einer unheilbaren Krankheit: Die Menschen würden darauf in ähnlicher Weise reagieren. Zuerst herrschten Trauer, Verzweiflung und Wut vor. Diese Gefühle ließen sich aber überwinden und in Akzeptanz umwandeln. Auf dem Weg zur Akzeptanz versuchten viele sich durch Leugnung der Tatsachen und Verdrängung des Bedrohungsszenarios zu entlasten. Wer es schaffe, diese Phase hinter sich zu lassen, könne sogar mit einer gewissen Heiterkeit der Zukunft ins Auge sehen.

Wie geht es nach dem Kollaps weiter?

Anhänger der Kollapsologie plädieren dafür, zunächst Gefühle zuzulassen, die angesichts der drohenden Katastrophe natürlich seien und die man unter normalen Umständen ablehnen würde, also negative Gefühle wie Angst, Wut und Trauer. Sie gehen davon aus, dass diese Gefühle vorübergehen, wenn man lernt, sie zu akzeptieren. Aus dieser Akzeptanz ließe sich dann eine Art Zuversicht und Hoffnung ableiten.

Damit liegen sie eigentlich auf einer Linie mit Psychologen und Psychologinnen wie Katharina von Bronswijk, die sagt, dass die Ablehnung schwieriger Gefühle häufig zu einer Überkompensation führt. Wer Angst nicht zulässt oder sie nicht zeigen kann, kompensiert sie oft mit Wut. Wut auf alles Mögliche. Dann bleiben die hinter der Angst liegenden Bedürfnisse unbefriedigt. Das kann Schaden anrichten.

Servigne und Stevens liegen damit eigentlich auch auf einer Linie mit Philosophen und Philosophinnen wie Corine Pelluchon, die zu den Voraussetzungen für Hoffnung in der Klimakrise arbeitet. Sie sagt: "Hoffnung ist eine überwundene Verzweiflung, sie ist eine Rückkehr zum Leben, die Gewissheit, dass trotz Enttäuschungen und verpassten Begegnungen, Verzögerungen und Rückschritten etwas geschieht, das dem Lauf der Dinge eine neue Wendung gibt und einen Fortschritt bewirkt."

Der Unterschied zwischen den drei Disziplinen ist jedoch, dass in der Kollapsologie der Weltuntergang als unvermeidlich dargestellt wird – und in ihren Augen sogar gewisse Vorteile hätte. Suchen Psychologie und Philosophie nach Werkzeugen, die Menschen ermächtigen, sich selbstwirksam zu fühlen trotz empfundener Ohnmacht, akzeptieren Kollapsologen auch die Ohnmachtsgefühle. Sie halten die Hoffnung, die Erderhitzung noch mildern zu können und die Transformation zu einer klimafreundlichen Wirtschaftsordnung erreichen zu können, für eine leidensverlängernde Leugnung der Tatsachen.

Servigne und Stevens sagen zwar, dass niemand wissen könne, wie eine Gesellschaft nach dem Kollaps aussehen könnte, sie entwerfen dennoch eine Vision von einem Zusammenleben, das stark dem ähnelt, das bereits in der Romantik als Lösung einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft galt: Rückzug. Die Autoren sehen in kleinen Gemeinschaften, die auf Lowtech setzen, naturnah leben, sich selbst mit Nahrung und Energie versorgen sowie sich solidarisch unterstützen, ein resilientes Gesellschaftsmodell für die Zukunft. Dieser Zukunft könne man auch mit einer gewissen Heiterkeit entgegengehen, meinen sie.

Aus ihrer Vision spricht auch eine Kritik an der thermo-industriellen Gesellschaft, wie Servigne und Stevens sie verstehen: kapitalistische Wirtschaftsform, leistungsorientierte Gesellschaft, die Macht auf Konzerne und Eliten begrenzt. Was nicht aus dieser Vision spricht: Ein politisches Modell, das an das anknüpft, was moderne Gesellschaften seit der Aufklärung formte. Die Autoren halten offenbar eine ökologische Transformation, die auch für mehr soziale Gerechtigkeit sorgt, nicht für möglich. Es wirkt, als ob sie sich regelrecht die Apokalypse herbeisehnen, als Kraft, mit der sich ein Neuanfang schaffen ließe und mit dem man all das loswerden könnte, an dem man sich ganz grundsätzlich stört.

Die Katastrophe als unabwendbares Schicksal

Jennifer Stevens forscht an der Universität Jena zu Apokalyptik und kritisiert diese Vorstellung. "Ich habe immer ein Problem, wenn jemand sich sehr gewiss ist, dass der Untergang unabwendbar ist. Wenn gesagt wird: Die Katastrophe ist unser Schicksal, das es gar zu begrüßen gelte."

Sie hält die im Buch implizierte Lösungsaussicht zudem für un- oder sogar anti-gesellschaftlich. "Die Klimakrise ist ein gesellschaftliches Problem, ein globales gesellschaftliches Problem. Dagegen propagieren die Kollapsologen einen 'langen Weg der Mittelmäßigkeit': den Rückzug in kleine Gemeinschaften."

In der Kollapsologie sieht sie daher ein biedermeierliches Moment. So, als ob man sich dieser gesellschaftlichen Herausforderung gar nicht mehr stellen wolle. "Damit läuft man Gefahr, auch in vormoderne Strukturen zurückzufallen. Das halte ich für ein großes Problem an diesem Ansatz", betont sie. "Es ist zudem ein anti-individualistischer Ansatz. Der Individualismus wird in der Gleichung Klimakrise = Kapitalismus = Individualismus zum Problem gemacht, nach der dann auch der moderne Stand individueller und persönlicher Freiheiten nicht länger als verteidigenswert gilt."

Untergangsstimmung als politische Kraft?

Wenn der Untergang als unabwendbare Zukunft entworfen wird, trägt das außerdem zur Radikalisierung von ökologischen Konzepten bei. Die Kollapsologie legt nahe: Wenn der Kollaps nicht verhindert werden kann, lohnt es sich auch nicht, es zu versuchen. Von diesem Gedanken ausgehend ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Transhumanismus oder ökofaschistischen Rechtsextremismus.

Die Vorstellung, eine "natürliche Ordnung" wieder herstellen zu können, in der die Stärksten überleben und diejenigen sterben, die sowieso zu schwach waren, in der die ursprünglichen Bewohner "des Heimatbodens" Auserwählte sind und Einwanderung als "Verschmutzung des Volkskörpers" zu sehen ist, erinnert an dunkelste Zeiten der deutschen und europäischen Geschichte.

Aber auch im linken Spektrum gibt es Ansichten, wonach der Zusammenbruch von Zivilisationen als Chance begrüßt wird, staatssozialistische oder spirituell-naturverbundene kleinerer Gemeinschaften zu schaffen. Vor allem der Umstand, dass der Weltgemeinschaft die Zeit davonläuft, den Klimawandel zu begrenzen, führt dazu, dass die Erwartung des großen Kollapses antiliberalen und antidemokratischen Weltanschauungen Auftrieb gibt, die zu staatsautoritärem Durchregieren aufrufen.

Radikalisierung kann dann als einziges Mittel gegen den Klimawandel angepriesen werden, das in der Kürze der Zeit noch funktionieren kann. Doch dabei zeigt sich häufig ein paradoxer Effekt: Sowohl linke als auch rechte Radikalisierungen bereiten den Nährboden für immer offensichtlichere Angriffe auf klimapolitische Maßnahmen mittels Desinformationskampagnen.

Wird die Apokalypse missverstanden?

Erzählungen vom Weltuntergang sind heute ein Teil der Popkultur und finden sich in Motiven wie der Zombie-Invasion oder der Ankunft von Außerirdischen wieder. Nicht nur in Filmen, Büchern und Liedern taucht das Ende der Welt, wie wir sie kennen, auf, auch in journalistischen Beiträgen wird mit diesem Motiv gearbeitet. Seitdem die Klimakrise auch in Europa und anderen wirtschaftlich hoch entwickelt Staaten spürbar wird, umso mehr. Servigne und Stevens haben dieser Entwicklung mit ihrem Buch neuen Anschub gegeben und Klimaschutzbewegungen nutzen sie, um die Bedrohungslage zu verdeutlichen, die sich aus Worst-Case-Szenarien ergibt.

"Es stellt sich bei Geschichten vom Ende der Geschichte stets die Frage, welche Lösungsperspektive für die gegenwärtigen gesellschaftliche Konflikte und Problemlagen in ihnen angelegt sind", sagt Jennifer Stevens. Diese Lösungsperspektiven fallen im breiten Spektrum von Endzeiterzählungen ganz unterschiedlich aus: "Es gibt nicht die eine Apokalypse. Es gibt sehr viele unterschiedliche Apokalypsen. So können sie uns mit verschiedenen Problemen konfrontieren und die Frage nach ihrer Bewältigung neu stellen."

Erzählungen vom Weltuntergang sind eine Antwort auf eine Außenwelt, die voller Spannungen und Konflikte ist. Sie können ein Bedürfnis nach mehr Orientierung in unübersichtlichen Verhältnissen und nach Zugehörigkeit zur "richtigen Gemeinschaft" bedienen, indem sie einfache Erklärungen und Einordnungen anbieten. Das kann in komplexen und überfordernden Situationen für ein Gefühl der Sicherheit sorgen. Dagegen können sie aber auch ein Experimentierraum für Ideen sein, die zur Lösung von Konflikten und Linderung von Missständen beitragen können.

"Ich denke, dass Erzählungen über den Verlust unserer Zivilisation uns helfen können, unsere Realität, also das Abzuschaffende in ihr, aber auch das Bewahrenswerte in ihr zu reflektieren."

Jennifer Stevens, Soziologin

Jennifer Stevens fürchtet aber, dass wir uns vielleicht eingestehen müssen, dass Erzählungen und Rhetorik unseren gesellschaftlichen Umgang mit der Natur nicht grundlegend verändern können. "Dafür werden mich wahrscheinlich Literatinnen und Literaturwissenschaftlerinnen rügen. Doch vielleicht sind es weniger die Geschichten, die die Welt verändern, sondern die Welt selbst, die die Geschichten verändert."

Unsere Geschichten erzählen uns etwas darüber, wie wir die Ereignisse um uns herum verarbeiten. Was macht uns daran Angst? Was erzeugt Wut? Wann fühlen wir uns hilflos? Unsere Geschichten helfen uns zu begreifen, was wir an den Ursachen für diese Gefühle ändern wollen: Wovon wollen wir weniger und wovon mehr in der Welt haben? Wie soll unsere Welt aussehen, wenn sie so, wie sie ist, zu viel Leid hervorbringt?

Jennifer Stevens fasst das so zusammen: "Ich denke, dass Erzählungen über den Verlust unserer Zivilisation uns helfen können, unsere Realität, also das Abzuschaffende in ihr, aber auch das Bewahrenswerte in ihr zu reflektieren." Dieses bessere Verstehen und die Reflexion liege aber nicht in der Geschichte oder in der Erzählung selbst, sondern an uns, unserem Umgang mit dem, was da erzählt wird, sagt die Soziologin. "Das kann uns dann helfen, die Verhältnisse zu verändern – und das heißt: die Geschichte."

Zur Person

  • Jennifer Stevens ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am DFG-Graduiertenkolleg "Modell Romantik" an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Als Literatursoziologin forscht sie zur Modernisierung von Endzeitvorstellungen in der historischen Romantik.

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Verwendete Quellen

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