Der Ausbruch des Vesuv 79 nach Christus begrub Tausende Menschen unter Asche und Gestein. Bei einem der Opfer fanden archäologische Teams bereits in den 1960er-Jahren etwas Einzigartiges: Sein Gehirn war zu Glas geworden. Eine Studie erklärt nun, wie es dazu kommen konnte.

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Der 24. August 79 nach Christus war ein düsterer Tag an der Küste Neapels. Am Nachmittag hatte sich eine fast 30 Kilometer hohe Rauchsäule über dem Vesuv gebildet, der Tag wurde zur Nacht. In dieser Wolke entluden sich Gewitter, es regnete Asche, Lava und Bims. Den Menschen damals muss es vorgekommen sein, als würde die Apokalypse sie heimsuchen.

Tausende Menschen in Pompeji, Herculaneum und umliegenden Orten kamen bei dem Ausbruch ums Leben. In den 1960er-Jahren entdeckten Archäologen außergewöhnliche Überreste eines jungen Mannes: Sein Gehirn war zu organischem Glas geworden. Selbst die Nervenstruktur war teilweise noch erhalten. Welche äußeren Extrembedingungen dafür erforderlich waren, berichtet nun ein Forschungsteam im Fachjournal "Scientific Reports".

Wer war der Mann mit dem Glasgehirn?

Bei den Überresten handelt es sich vermutlich um einen 20 Jahre alten Mann, der wohl als Wächter im Collegium Augustalium arbeitete, einem Tempel zu Ehren des Kaisers Augustus. Während viele andere in der Nacht versuchten, vor dem sicheren Tod zu fliehen, entschied sich der Wächter - vielleicht aus Treue zu dem Tempel, den er bewachte, oder aus einem falschen Gefühl der Sicherheit heraus -, sich in seinem Zimmer schlafen zu legen. Fast zwei Jahrtausende später fand man ihn auf seinem Holzbett - mit einem Gehirn aus Glas.

Archäologische Fundstelle aus Herculaneum
Eine Übersicht der gefundenen Überreste des jungen Mannes aus Herculaneum, dessen Gehirn zu Glas wurde. © GUIDO GIORDANO ET AL./SCIENTIFIC REPORTS

Im Jahr 2020 hatte ein Team um den forensischen Anthropologen Pier Paolo Petrone von der Universität Neapel Federico II im "New England Journal of Medicine" berichtet, im Schädel des Mannes glasartige Gehirnreste entdeckt zu haben, die vermutlich durch die enorme Hitze entstanden seien.

Nun beschreibt Petrone zusammen mit einem Team um den Geologen Guido Giordano von der Universität Rom III, wie diese verglaste Masse vermutlich entstanden ist. Laut den Forschenden muss sich das Gewebe zunächst extrem erhitzt haben und danach so schnell abgekühlt sein, dass die Flüssigkeit beim Erstarren nicht kristallisieren konnte.

Schwarze Glasfragmente aus organischem Material
Bei dem gefundenen jungen Mann haben die enorm hohen Temperaturen dafür gesorgt, dass das Gehirn verglaste. Im Bild sind die Überreste des Gehirns mit schwarzen Glasstrukturen zu sehen. © Petrone et al., NEJM, 2020

Organisches Glas ist weltweit einzigartig

Für organisches Glas gebe es bisher nur ein einziges bekanntes Beispiel: die Gehirnreste des jungen Mannes aus Herculaneum. "Ein biologisches Gewebe wie das Gehirn, das reich an Wasser ist, benötigt äußerst spezielle Bedingungen, um sich in Glas zu verwandeln", erklärt Guido Giordano gegenüber der italienischen Zeitung "La Repubblica". Glas entsteht, wenn eine Flüssigkeit so schnell abgekühlt wird, dass sie nicht kristallisieren kann. Das kann zum Beispiel durch Blitzeinschläge entstehen oder durch schnelle Abkühlung von Lava.

Analysen zeigen, dass die hier vorliegende Verglasung bei über 510 Grad stattfand. Vermutet wird, dass beim Ausbruch des Vesuv eine extrem heiße Aschewolke entstand, die die erforderlichen Temperaturen für die Verglasung erreichte. Die Wolke hat sich jedoch nach wenigen Minuten wieder aufgelöst, sodass die Hitze in der Luft wieder rapide abgefallen ist und zur Umgebungstemperatur zurückkehrte. "Wäre der junge Mann sofort von Asche bedeckt worden, hätten seine Überreste noch tagelang heiß bleiben können", so Giordano.

Auch Schädelknochen spielten eine Rolle

Auch die dicken Schädelknochen hatten einen Einfluss auf den Prozess der Verglasung: Sie verhinderten beim Erhitzen, dass das Hirngewebe augenblicklich verdampfte. Während der raschen Abkühlung halfen sie beim Übergang in den Glaszustand. Dass es sich bei dem im Schädel gefundenen Klumpen tatsächlich um das Gehirn handelt, schließt das Team unter anderem aus enthaltenen Rückständen von Proteinen und Fettsäuren, wie sie in menschlichem Hirngewebe vorkommen.

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Die extrem heiße Wolke selbst habe nur eine dünne Ascheschicht auf dem Boden hinterlassen. Erst später folgte demnach der sogenannte pyroklastische Strom, eine extrem heiße Wolke aus Gasen, Asche und Gestein, der bei einem Vulkanausbruch entsteht. Dieser Strom habe die Region unter einer meterdicken Schicht begraben und - so das Team - das bereits verglaste Gehirn damit für die Nachwelt konserviert.

Wieso wurde nur das eine Gehirn zu Glas?

Es bleibt die Frage: Warum sollte bei der Katastrophe nur ein einziges Gehirn zu Glas geworden sein? Das könnte mit dem speziellen Fundort in Kombination mit anderen Faktoren zusammenhängen, vermutet Giordano. Während viele Menschen am Hafen umgekommen seien, habe der junge Mann im Stadtzentrum in einem geschlossenen Raum im Bett gelegen - ohne zu wissen, dass uns sein Gehirn bis heute beschäftigen wird.

Verwendete Quellen