Vor Millionen von Jahren schlug ein Meteorit im heutigen Bayern ein und hinterließ einen beeindruckenden Krater: das Nördlinger Ries. Die Spuren dieses gewaltigen Ereignisses sind noch heute sichtbar – sogar in Form winziger Diamanten, die in den Mauern der Nördlinger Häuser verborgen sind.

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Vor etwa 15 Millionen Jahren schlug ein gewaltiges kosmisches Geschoss dort ein, wo sich heute das Nördlinger Ries befindet. Innerhalb weniger Minuten wurden massive Gesteinsmassen durch die Luft geschleudert und jegliches höheres Leben im Umkreis von 100 Kilometern ausgelöscht. Die Spuren dieses Ereignisses sind heute noch sichtbar, in Form des 25 Kilometer breiten Kraters und in den historischen Mauern der Stadt Nördlingen.

Im Zentrum der Stadt an der Grenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg ragt das Wahrzeichen Nördlingens empor: der Turm der St.-Georgs-Kirche, den die Nördlinger liebevoll "Daniel" nennen. Das gotische Bauwerk, das zwischen 1427 und 1505 errichtet wurde, besteht wie viele Gebäude der Stadt aus Suevit, einem gräulichen Gestein, das extrem selten ist.

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Suevit entsteht durch die sogenannte Schockmetamorphose von Gesteinen am Ort eines Meteoriteneinschlags (auch Impakt genannt), also wenn durch extreme Hitze und den enormen Druck des Einschlags Gestein teilweise aufgeschmolzen wird.

Der 1,5 Kilometer breite Asteroid sorgte damals mit einer Wucht von 250.000 Hiroshima-Bomben und einem Druck von bis zu einer Million Bar für das bis heute größte Suevit-Vorkommen der Erde.

Der Name leitet sich vom lateinischen "Suevia" für Schwaben ab – Suevit ist also der Schwabenstein. Die Theorie des Asteroideneinschlags war bis in die 1960er-Jahre umstritten. Geologen gingen damals davon aus, dass das Nördlinger Ries kein Einschlagskrater, sondern ein erloschener Vulkan sei. Auch Adolf Sauer, der 1920 das Gestein als Suevit bezeichnete, vertrat diese Ansicht.

Wie die Nasa nach Nördlingen kam

Die Erklärung für die großen Suevit-Vorkommen im Nördlinger Umkreis führte er auf Tuffstein zurück, ein Gestein, das sich nach einer Vulkaneruption verfestigt. Als jedoch im Barringer-Krater in Arizona ebenfalls Suevit gefunden wurde und die Geologen Eugene Shoemaker und Edward C. T. Chao in den 1960er-Jahren nachwiesen, dass das Ries ein Einschlagskrater ist, änderte die Wissenschaft ihre Meinung.

Altstadt Nördlingen
Viele Gebäude der Stadt Nördlingen bestehen aus Suevit, einem gräulichen Gestein, das extrem selten ist und winzige Diamanten enthält. © Getty Images/Animaflora

Die Erkenntnisse rund um das Suevit machten das Ries zu einem Mekka für Geologen und zogen sogar die US-Raumfahrtbehörde Nasa an. Die Astronauten sollten im Ries lernen, sogenannte Impaktgesteine von Vulkangesteinen zu unterscheiden – eine Fähigkeit, die für Mondmissionen entscheidend war. So bereiteten sich beispielsweise vier Astronauten im Rahmen der Apollo-14- und Apollo-16-Missionen 1970 im Ries vor.

Da sie später Gesteinsproben von Impaktkratern auf dem Mond zur Erde bringen sollten, war das Nördlinger Ries der perfekte Trainingsort auf der Erde. In der Folge entstand das Zentrum für Rieskrater- und Impaktforschung in Nördlingen.

Kein optimaler Stein zum Bauen

Bis in die Moderne war die Herkunft dieses Steins nicht relevant. Als Baumaterial wurde er hingegen schon in der Antike genutzt, als die Region rund um Nördlingen Teil des Römischen Reiches war. Besonders stark wurde es im Mittelalter für den Bau von Kirchen, Klöstern und Mauern verwendet.

Neben dem 90 Meter hohen "Daniel" besteht auch die fast vollständig erhaltene Stadtmauer von Nördlingen aus Suevit. Dazu karrten Ochsen die Steine aus dem rund acht Kilometer entfernten Steinbruch in die Stadt.

Doch trotz der alten Bauwerke hat Suevit seine Schwachstellen, wie sich auch am Kirchturm zeigt: Aufgrund der geologischen Zusammensetzung sind die Steine nicht einheitlich stabil. Während manche auch nach 500 Jahren kaum verwittern, bröckeln und brechen andere. Heutzutage werden Suevit-Steine an alten Gebäuden oft durch Sandstein ersetzt.

Mini-Edelsteine im Mauerwerk

Zwei Besonderheiten machen Suevit zusätzlich einzigartig: Zum einen sind das die sogenannten "Flädle" im Gestein – Schmelzfetzen, also Glas, das sich bei der Hitze gebildet hat und den Steinen farbige Striemen verleiht.

Außerdem sind durch den hohen Druck winzige Diamanten entstanden, sodass in fast jedem alten Nördlinger Haus Mini-Edelsteine im Mauerwerk verbaut sind. Diese Diamanten sind jedoch so klein, dass sie nur mit mikroskopischen Methoden nachgewiesen werden können – von einem wirtschaftlichen Abbau ganz zu schweigen.

Für die Besucher der Stadt ist dies jedoch wohl ohnehin eher zweitrangig: Für die über 400.000 Touristen pro Jahr sind das kreisrunde Stadtzentrum mit der alten Stadtmauer, die Fachwerkhäusern, der hohe "Daniel" und die Natur im Rieskrater von größerem Interesse.

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