Wann vermischte sich der moderne Mensch mit dem Neandertaler? Und wann begann er, sich auf der Erde auszubreiten? Gleich zwei neue Studien zu Genom-Analysen liefern Antworten auf diese Fragen.

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Gleich zwei neue Studien werfen ein Schlaglicht auf jene graue Vorzeit, als der moderne Mensch Afrika verließ - unabhängig voneinander, aber mit ähnlichen Befunden.

Die Resultate liefern nicht nur recht detaillierte Hinweise darauf, wann der moderne Mensch begann, sich um die Erde zu verbreiten, sondern auch dazu, wann er sich mit Neandertalern vermischte. Die beiden Arbeiten unter Federführung des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie wurden zeitgleich in den Fachzeitschriften "Nature" und "Science" veröffentlicht.

Mensch verbreitete sich vor 47.000 Jahren

Untersuchungen deuteten bereits darauf hin, dass der moderne Mensch erst grob vor etwa 50.000 Jahren damit begann, sich von Afrika aus um die Erde zu verbreiten. Die beiden Studien kommen nun zu dem Resultat, dass er dabei vor grob 47.000 Jahren während einer einzelnen längeren Phase der Vermischung mit Neandertalern jene Merkmale erwarb, die bis heute im Genom aller Nicht-Afrikaner nachweisbar sind. Gleichzeitig enthüllt die Analyse der bislang ältesten Homo-sapiens-Genome aus der Ilsenhöhle im thüringischen Ranis und aus der Fundstätte Zlatý kůň bei Prag überraschend detaillierte Befunde über die ersten menschlichen Ankömmlinge in Mitteleuropa.

Zum Kontext: Die letzten gemeinsamen Vorfahren von Neandertalern und modernen Menschen lebten vor etwa 500.000 Jahren. Neandertaler besiedelten Eurasien seit mindestens 300.000 Jahren bis zu ihrem Aussterben vor etwa 40.000 Jahren.

Vermischung des modernen Menschen und des Neandertalers

Doch noch immer sind viele Fragen offen: Der moderne Mensch entstand nach derzeitigem Forschungsstand vor etwa 300.000 Jahren in Afrika und verbreitete sich - wesentlich später - von dort aus um die Welt. Dabei vermischten sich Menschen, die den Kontinent verließen, vermutlich im Nahen Osten mit Neandertalern, sodass bei heutigen Menschen nicht-afrikanischer Abstammung etwa zwei Prozent des Genoms auf Neandertaler zurückgehen.

Die beiden Studien deuten nun nicht nur darauf hin, dass der moderne Mensch und Neadertaler sich später vermischten als bisher vermutet, sondern auch, dass dies in einem relativ überschaubaren Zeitraum erfolgte - zumindest mit Blick auf jene übernommenen Genvarianten, die im Genom des Menschen bis heute erhalten sind.

Analysierte Genome stammen aus Thüringen und Prag

Für die in "Nature" präsentierte Studie analysierte das Team um Arev Sümer, Kay Prüfer und Johannes Krause vom Leipziger Max-Planck-Institut die mit etwa 45.000 Jahren bislang ältesten bekannten menschlichen Genome. Sie stammen aus der Ilsenhöhle im Südosten von Thüringen und aus einer Höhle am tschechischen Berg Zlatý kůň südwestlich von Prag.

Erst im Januar hatte eine Genom-Studie gezeigt, dass die Funde aus Ranis eindeutig vom Homo sapiens stammen - und damit belegt, dass der moderne Mensch Mitteleuropa schon vor mindestens 45.000 Jahren erreicht hatte. Damit waren Menschen und Neandertaler in diesem Lebensraum nach derzeitigem Kenntnisstand noch etwa 5.000 Jahre gemeinsam präsent.

"Zu unserer großen Überraschung entdeckten wir eine genetische Verwandtschaft fünften oder sechsten Grades zwischen der Frau aus Zlatý kůň und zwei Individuen aus Ranis."

Studienautorin Arev Sümer

Nun untersuchte das Team 13 Knochenfragmente, die von mindestens sechs Menschen stammten - drei männlich und drei weiblich - und die zumindest teilweise eng miteinander verwandt waren. Am erstaunlichsten war jedoch, dass auch Menschen aus Ranis und die Frau vom etwa 230 Kilometer entfernten Zlatý kůň verwandt waren. "Zu unserer großen Überraschung entdeckten wir eine genetische Verwandtschaft fünften oder sechsten Grades zwischen der Frau aus Zlatý kůň und zwei Individuen aus Ranis", sagt Erstautorin Sümer. "Die Gruppe, zu der die Frau aus Zlatý kůň gehörte, war also genetisch Teil der Raniser "Großfamilie"."

Diese Verwandtschaft der einzigen Funde aus dieser Zeit in Mitteleuropa könnte dafür sprechen, dass nur ausgesprochen wenige Menschen in diese damals kalte und unwirtliche baumarme Steppe vordrangen. Und dass sie Teil einer Gruppe waren, die sich kurz nach dem Verlassen Afrikas von den übrigen Menschen trennte. Die Ranis-Zlatý-kůň-Population habe aus etwa 200 bis 300 Individuen bestanden, vermutet das Team in "Nature".

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Thorsten Uthmeier von der Universität Erlangen-Nürnberg mahnt bei der Interpretation der Studienresultate zu Vorsicht. So sei vorstellbar, dass vor rund 45.000 Jahren noch weitere, nicht unmittelbar mit der aktuell untersuchten "Großfamilie" verwandte Gruppen in Mitteleuropa lebten. Der Ur- und Frühgeschichtler verweist darauf, dass Ranis und Zlatý kůň zur Kultur des sogenannten Lincombien-Ranisien-Jerzmanowicien (LRJ) zählen, die auf einer bestimmten Steinbearbeitung beruht. Diese Kultur, von der es nur wenige Fundstellen gibt, zieht sich vom heutigen südlichen Polen in einem schmalen Streifen bis nach Südengland, das damals noch Teil des Festlands war. "Wir haben nur sehr wenige Fundstellen", sagt der Experte, der nicht an den Studien beteiligt war. "Es ist aber dennoch durchaus möglich, dass es neben der Ranis-Zlatý-kůň-Population noch weitere Gruppen innerhalb dieses Technokomplexes gab."

Wie dem auch sei: Letztlich bildeten die Bewohner von Ilsenhöhle und Zlatý kůň eine evolutionäre Sackgasse - sie starben aus und hinterließen keine Spuren im Erbgut heutiger Menschen. Aber ihre Genome enthalten der Studie zufolge bereits Spuren der Vermischung mit Neandertalern, die auch bei heutigen Menschen vorkommen.

Vermischung erfolgte 80 Generationen lang

Mithin muss diese Vermischung vor mehr als grob 45.000 Jahren stattgefunden haben - und zwar bei jener Vorfahren-Population außerhalb Afrikas, auf die alle späteren Menschen zurückgehen. Das Team schätzt, dass die Vermischung grob 80 Generationen erfolgte, bevor die untersuchten Individuen in Ranis lebten. Das entspräche bei einer mittleren Generationsdauer von 29 Jahren etwa 2.000 Jahren, was rechnerisch grob auf die Zeit vor etwa 47.000 Jahren hindeutet - und damit wesentlich später als in vielen früheren Kalkulationen angenommen.

"Diese Ergebnisse helfen uns, die ersten modernen Menschen, die Europa besiedelten, besser zu verstehen", sagt Hauptautor Johannes Krause, Direktor am Leipziger Institut. "Sie zeigen auch, dass alle Überreste moderner Menschen, die außerhalb Afrikas gefunden wurden und älter als 50.000 Jahre sind, nicht zu der Population gehören können, die sich außerhalb Afrikas mit den Neandertalern vermischte und heute in den meisten Teilen der Welt zu finden ist."

Gleicher Genfluss von Neandertalern und aller heutigen nicht-afrikanischen Menschen

Die Erkenntnisse passen zur zweiten, in "Science" publizierten Arbeit einer Gruppe um Leonardo Iasi vom Leipziger Max-Planck-Institut und Priya Moorjani von der University of California in Berkeley. Dieses Team untersuchte mehr als 300 frühe und auch moderne menschliche Genome auf Neandertaler-Einflüsse. 59 Individuen lebten vor 2.000 bis vor 45.000 Jahren.

"Wir wollten den Zeitpunkt und die Dauer des Genflusses vom Neandertaler zum modernen Menschen bestimmen. Dazu haben wir einen Katalog der Neandertaler-Abstammung erstellt", sagt Moorjani. "Durch den Vergleich von Segmenten zwischen Individuen aus verschiedenen Zeiträumen und geografischen Regionen konnten wir zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Neandertaler-Abstammung auf einen einzigen, gemeinsamen und langjährigen Genfluss von den Neandertalern zu den gemeinsamen Vorfahren aller heutigen nicht-afrikanischen Menschen zurückgeführt werden kann."

Dieser Genfluss begann demnach vor etwa 50.500 Jahren und dauerte etwa 7.000 Jahre - also bis vor 43.500 Jahren. "Diese Zeitachse stimmt gut mit den archäologischen Belegen für die zeitliche Überschneidung von Neandertalern und modernen Menschen in Europa überein", sagt Erstautor Iasi.

Einige Genvarianten blieben erhalten

Dabei hielten sich Genvarianten im Genom der Menschen, die sich als vorteilhaft erwiesen: Sie hängen insbesondere mit der Hautpigmentierung, mit dem Stoffwechsel und mit der Immunfunktion zusammen. Dabei könnte der moderne Mensch, der in einen neuen Lebensraum mit möglicherweise auch neuen Krankheitserregern vordrang, von seinen Vettern, die schon seit langer Zeit daran angepasst waren, nützliche Genvarianten übernommen haben, erläutert Iasi.

Allerdings: Genflüsse zwischen modernen Menschen und Neandertalern könnte es auch außerhalb dieser Phase gegeben haben. Denn die Studienresultate gelten nur für jene Vermischung, die bis heute sichtbare Spuren im Genom moderner Menschen hinterlassen hat. "Es kann durchaus sein, dass es häufiger Vermischungen zwischen Mensch und Neandertaler gegeben hat", sagt Iasi. "Aber nicht in dem Maße, dass es bei heutigen Menschen noch nachweisbar ist."

Ohnehin war es möglicherweise nicht die Ausnahme, dass menschliche Populationen wie in Ranis und Zlatý kůň letztlich ausgestorben sind, sondern sogar die Regel. Das betont auch Uthmeier: "Man kann davon ausgehen, dass der Siegeszug des modernen Menschen sich viel schwieriger darstellt als vielfach angenommen." (dpa/bearbeitet von mak)

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