Steinzeitliches Schicksal: Eine Studie rekonstruiert das Leben eines Mannes, der einst an der Küste Skandinaviens lebte und in einem Moor im heutigen Dänemark geopfert wurde. Vor allem die Nahrung offenbart seine Geschichte.
Als Jäger in Skandinavien geboren, als Teenager freiwillig oder in Gefangenschaft nach Dänemark gezogen, schließlich in einem Torfmoor geopfert: Eine im Fachblatt "PLOS ONE" veröffentlichte Studie rekonstruiert die Lebensgeschichte eines steinzeitlichen Nordeuropäers. Besonders aufschlussreich waren dabei die Ernährungsgewohnheiten des Mannes.
Seine Überreste waren 1915 in einem Torfmoor im Nordwesten Dänemarks gefunden und auf die Zeit zwischen 3300 und 3100 vor Christus datiert worden. Der nach dem Fundort benannte "Vittrup-Mensch" war zum Zeitpunkt seines Todes zwischen 30 und 40 Jahre alt. Erste Hinweise auf sein Schicksal gibt schon der Zustand des Skeletts: So deutet der zertrümmerte Schädel auf ein gewaltsames Ende hin.
Eine DNA-Untersuchung zeigte 2014 auch, dass sich die genetische Signatur des Vittrup-Mannes von der anderer Skelette der Region aus jener Zeit unterscheidet. Das motivierte den Archäologen Anders Fischer von der schwedischen Universität Gothenburg und sein Team dazu, genauer hinzuschauen.
Ziegen statt Wale - Ernährungsveränderung im Alter
Die Forschungsgruppe nutzte DNA-, Isotopen- und Protein-Analysen, um die Lebensgeschichte des Steinzeit-Menschen so exakt wie möglich zu rekonstruieren. Strontium-, Kohlenstoff- und Sauerstoffisotope aus dem Zahnschmelz des Vittrup-Menschen legten nahe, dass dieser seine Kindheit an der Küste Skandinaviens verbrachte - eine These, die durch genetische Analysen bestätigt wurde. Die Untersuchung ergab darüber hinaus eine enge Verwandtschaft zwischen dem Vittrup-Menschen und norwegischen sowie schwedischen Vertretern der Mittelsteinzeit.
Zusätzliche Isotopen- und Protein-Analysen der Zähne und Knochen deuteten darauf hin, dass sich die Ernährung des Vittrup-Menschen im Laufe seines Lebens von Robben, Walen und Meeresfischen in der frühen Kindheit zu Bauernkost mit Schafen und Ziegen verlagerte - eine Veränderung, die in seinen späten Teenager-Jahren stattfand.
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Es scheint, er sei umgezogen
Diese Ergebnisse sprechen der Forschungsgruppe zufolge dafür, dass der Vittrup-Mensch seine ersten Lebensjahre in einer nördlichen Jäger- und Sammlergesellschaft verbrachte, bevor er - vermutlich auf dem Seeweg - in eine dänische Bauerngesellschaft umzog. Ob dieser Umzug freiwillig erfolgte, können die Forschenden nicht sagen.
In der Studie spekulieren sie: "Für einen solch drastischen Wechsel der Lebensweise und der geografischen Lage sind viele Erklärungen möglich, wie sie in ethnografischen und frühgeschichtlichen Quellen belegt sind." So könnte er ein Einwanderer oder Händler gewesen sein, der gleichberechtigt mit anderen Mitgliedern der lokalen Trichterbecherkultur in die Gesellschaft integriert wurde.
Trichterbecherkultur
- Als Trichterbecherkultur wird die erste durch Ackerbau geprägte Kultur des nordischen Frühneolithikums bezeichnet; sie erstreckte sich in der Zeit zwischen 4000 und 2700 vor Christus von den Niederlanden bis zur westlichen Ukraine und erhielt ihren Namen wegen der für diese jungsteinzeitliche Epoche charakteristischen Tongefäßform, den Trichterbechern.
Der Vittrup-Mensch könne aber auch ein Gefangener oder Sklave gewesen sein, der seine Arbeitskraft und möglicherweise seine maritimen Kenntnisse zur Verfügung stellte. "Weder seine Todesart noch seine Lebensweise lassen jedoch eindeutige Rückschlüsse auf seine soziale Stellung zu", so das Forschungsteam.
Zweifelhafte Ehre: Mann wurde geopfert
Für den Tod gibt es ein genaueres Bild: Zu dieser Zeit sei es im heutigen Dänemark üblich gewesen, Menschen in Mooren zu opfern, und diese Taten seien oft auf gewaltsame Weise durchgeführt worden. "Offensichtlich wurde diese zweifelhafte Ehre auch Personen nichteinheimischer Herkunft zuteil." Die Opferung des Mannes habe nicht unbedingt etwas mit seinem sozialen Status zu tun. So zeugten historische Quellen von Sklaven in relativ hohen sozialen Positionen und erwähnten Fälle, in denen hochrangige Personen als Opfer ausgewählt worden seien.
Insgesamt gebe der Vittrup-Mensch zwar noch Rätsel auf - die Aufschlüsselung seiner geografischen und ernährungsbedingten Lebensgeschichte biete aber neue Einblicke in die Interaktionen zwischen mittel- und jungsteinzeitlichen Gesellschaften in Europa, so die Autorinnen und Autoren. "Unseres Wissens nach ist es das erste Mal, dass die Forschung die Lebensgeschichte eines nordeuropäischen Bewohners so detailliert und in so großem zeitlichem Abstand kartieren konnte." (Von Alice Lanzke, dpa/mak)
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