Das Affenfossil "Ida" ist wohl doch kein Vorfahr des Menschen - und damit auch nicht der ominöse "Missing Link", der bislang unbekannte gemeinsame Urahn von Mensch und Affe. Der Fund eines neuen, rund zehn Millionen Jahre jüngeren Nachfahren Idas legt nahe, dass von den beiden heute keine lebenden Nachfahren mehr existieren.
Zunächst schien es eine wissenschaftliche Sensation: Im Mai dieses Jahres präsentierte eine Forschergruppe um den norwegischen Paläontologen Jörn Hurum ihre Forschungsergebnisse über ein kleines affenähnliches Wesen mit langen Armen, dem sie den Namen Ida gaben. Mit einem Alter von 47 Millionen Jahren sollte die Kreatur, die in der Nähe von Darmstadt ausgegraben wurde, der bislang älteste bekannte Vorfahr des Menschen sein. Gar vom sogenannten Missing Link war die Rede, der Astgabel, an der die evolutionären Stammlinien von Mensch und Affe auseinanderlaufen.
Das jetzt entdeckte Primatenfossil mit dem lateinischen Namen Afradapis longicristatus aus dem heutigen Ägypten ist 37 Millionen Jahre alt. Einem Bericht von "spektrumdirekt" zufolge ist das Wesen ein Nachfahr Idas und weist wie diese mehrere Merkmale auf, die auch bei heute lebenden Primaten und beim Menschen zu finden sind. Die Zähne und der Kieferbau seien dazu denen menschlicher Vorfahren sehr ähnlich. Das bedeute allerdings noch lange nicht, dass letztere von Ida beziehungsweise von Afradapis abstammen.
Wie der Online-Dienst eine Forschergruppe um den Paläontologen Erik Seiffert von der New Yorker Stony Brook University zitiert, hätten hier lediglich unterschiedliche Arten die gleichen Merkmale ausgebildet. Diese sogenannte konvergente Evolution belege eine groß angelegte Untersuchung der US-Forscher an 117 lebenden und ausgestorbenen Affenarten, in der sie 360 unterschiedliche Körpermerkmale miteinander verglichen. Mitnichten seien die entsprechenden Arten deshalb aber eng miteinander verwandt.
Weiter habe die Untersuchung ergeben, dass sowohl Ida als auch Afradapis der Gruppe der Feuchtnasenaffen angehören, einer umgangssprachlich auch "Halbaffen" genannten Unterordnung der Primaten. Zwar leben heute noch Halbnasenaffen wie zum Beispiel die Makis auf Madagaskar. Die Linie, der Ida und Afradapis angehören, ist aber längst ausgestorben.
Damit ist das Fossil Ida weder der Missing Link zwischen Mensch und Affe, noch ist sie die wissenschaftliche Sensation, als die sie in einer zeitgleich mit dem Erscheinen von Hurums Analyse veröffentlichten TV-Dokumentation gepriesen wurde. Ida ist Zeugnis einer weitgehend unbedeutenden und lange ausgestorbenen Affenart – und möglicherweise eine wohl inszenierte PR-Aktion.
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