Der 1. September 1939 gehört zu den schlimmsten Tagen der Weltgeschichte: Die Nationalsozialisten greifen mit perfiden Methoden und ohne jede Vorwarnung Polen an – der Auftakt zum Zweiten Weltkrieg. Wir dokumentieren noch einmal die dramatischsten und fatalsten Entscheidungen heute vor 80 Jahren.
Wichtige Ereignisse im Überblick
Die Nacht vom 31. August auf den 1. September
Adolf Hitler inszeniert "Grenzzwischenfälle", um den bevorstehenden deutschen Überfall auf Polen zu rechtfertigen: unter anderem in Gleiwitz in Oberschlesien. Mit Luftschüssen, polnischen Kommandos und Flüchen überfallen deutsche Soldaten – verkleidet als Polen – die Radiostation Gleiwitz: Einen Sender, der schon seit 1935 kein eigenes Programm mehr sendet.
Die Geheime Staatspolizei sichert "Beweise" und macht polnische "Freischärler", also Anhänger eines militärischen Freiwilligenverbands, für die Tat verantwortlich. Die Nationalsozialisten bringen für die Propaganda Häftlinge aus Konzentrationslagern nach Gleiwitz, die als polnische Aufständische erschossen werden.
1. September, Danzig, 4:45 Uhr
Die Besatzung des Schulschiffs "Schleswig-Holstein" greift Befestigungen auf der Westerplatte vor Danzig an. Die Eingliederung der Freien Stadt Danzig ins deutsche Reichsgebiet war bereits im Jahr zuvor eine der wesentlichen deutschen Forderungen gewesen.
Der "Freundschaftsbesuch" des Schiffs war schon im Juni angekündigt worden, es ankert gegenüber der Westerplatte. Während auf Deck zunächst nur "harmlose" Kadetten zu sehen sind, bereitet eine 225 Mann starke Einheit unter Deck den Angriff vor. Insgesamt sind fast 2.000 Mann an Bord.
1. September, Wieluń, ebenfalls am frühen Morgen
Mit der ersten von drei Angriffswellen wirft das Sturzkampfgeschwader 76 der Luftflotte 4 in den frühen Morgenstunden 20 Tonnen Bomben auf die Kleinstand Wieluń in Südpolen – in der es keinen militärischen Stützpunkt gibt.
Die Attacken kosten rund 1.200 Menschen das Leben, die Stadt wird zu 70 Prozent zerstört, darunter das voll belegte Krankenhaus. In einem Bericht hält der NSDAP-Kreisleiter Oldwig Otto von Natzmer fünf Tage später fest: "Wieluń hatte 16.000 Einwohner gehabt. Sie sind alle bis auf 200 geflohen."
Dem Einsatzbericht der Nationalsozialisten zufolge erfolgte der Angriff auf Wieluń um 5:40 Uhr. Zeitzeugen aus der Kleinstadt berichten jedoch, dass sie schon um 4:40 Uhr von den Motoren deutscher Bomber geweckt worden sind.
Demnach hat der Überfall in Wieluń begonnen, noch bevor die Nazis Danzig angegriffen. In der polnischen Erinnerungskultur spielen die beiden Orte eine sehr unterschiedliche Rolle: Die Soldaten, die auf der Westerplatte gegen die deutsche Übermacht kämpften, werden als Helden verehrt und stehen für den Widerstand. In Wieluń hingegen waren die Zivilisten den Angreifern auf ihrem Vernichtungsfeldzug hilflos ausgeliefert.
1. September, Danzig, 6:22 Uhr
Die deutschen Angreifer treffen auf unerwartet hartnäckigen Widerstand. "Verluste zu groß, gehen zurück", funken Soldaten an die "Schleswig Holstein". Auch ein zweiter Vorstoß am Nachmittag mit Verstärkung wird scheitern.
Trotz der andauernden Kämpfe lässt Gauleiter Albert Forster Plakate im Stadtgebiet aushängen – mit denen er die Verfassung der Freien Stadt für ungültig erklärt. Die Nationalsozialisten nehmen Tausende polnische und jüdische Bürger fest.
Schon einen Tag später werden die Nazis vor den Toren Danzigs mit dem Bau des Konzentrationslagers Stutthof beginnen. Nach einer Woche mit Angriffen und Schusswechseln werden die polnischen Streitkräfte am Vormittag des 7. September weiße Fahnen auf der Westerplatte hissen.
1. September, Berlin, 10:00 Uhr
Adolf Hitler tritt in der Krolloper vor den Reichstag und verdreht die Wirklichkeit: Er berichtet von den angeblichen "Gräueltaten", die Polen in der Nacht an der Grenze verübt hätten. Seine Ansprache wird im Radio übertragen:
"Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen! Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten.”
1. September, Polen
Für viele Menschen in Polen beginnt der Krieg an diesem warmen Spätsommertag aus im Wortsinn "heiterem Himmel": Deutsche Bomber werfen ihre Munition über Städten und Ortschaften ab – unabhängig davon, ob dort Militär stationiert ist oder nicht.
Schon an Tag eins des deutschen Überfalls auf Polen wird an Orten wie Wieluń deutlich: Die Angriffe richten sich nicht allein gegen die Streitkräfte – sondern gegen die gesamte Bevölkerung.
3. September
Großbritannien und Frankreich erklären Deutschland den Krieg. Hitler hat ihr Ultimatum für einen Rückzug nicht eingehalten. Die Menschen in Polen bekommen wieder Hoffnung: In Warschau versammeln sich jubelnde Massen vor den Botschaften der beiden Großmächte.
Die deutsche Nation hingegen befindet sich im Schockzustand. Doch den Kriegserklärungen werden zum Entsetzen der polnischen Bevölkerung zunächst keine Taten folgen.
Tausende Menschen verlieren in den darauffolgenden Tagen und Wochen in Polen ihr Leben. In Oberschlesien im Grenzgebiet bekämpfen einander plötzlich Nachbarn, Freunde, Familienmitglieder in einer Art Bürgerkrieg.
Beim "Bromberger Blutsonntag" sterben am 3. und 4. September rund 300 Angehörige der deutschen Minderheit. In der Umgebung der Stadt kommt es zu weiteren Massakern. Bis heute ist nicht geklärt, wer die Schüsse abgab, die die Eskalation in Bromberg auslösten – ob sie möglicherweise von deutscher Seite provoziert wurden.
Unter anderem in Tschenstochau und Przemyśl kommt es zu Massenerschießungen, von denen die Weltöffentlichkeit bis hierher noch nichts ahnt. Es sind Wochen der Zerstörung, der Todesmärsche, der Kriegsverbrechen.
17. September
Die sowjetische Armee überschreitet die polnische Grenze. Im Hitler-Stalin-Pakt hatten die Diktatoren im August vereinbart, Polen zu zerschlagen und unter sich aufzuteilen.
Auf den Einmarsch in Ostpolen folgt eine eineinhalb Jahre währende Besatzungszeit mit weiteren Massendeportationen, Zwangsumsiedelungen und Ermordungen. Die polnische Regierung flüchtet am selben Tag nach Rumänien.
24. bis 27. September
Ein drei Tage dauerndes Bombardement auf Warschau beginnt. Allein an Tag zwei fallen 560 Tonnen Spreng- und 72 Tonnen Brandbomben auf die polnische Hauptstadt, ganze Straßen stehen in Brand.
Etwa 25.000 Zivilsten und 6.000 Soldaten sterben während der Belagerung. Im Bombenhagel drohen Seuchen, es fehlt an Trinkwasser und Lebensmitteln: Am 27. September kapituliert die Stadt.
28. September
Warschau unterzeichnet die Kapitulationsurkunde. Und Deutschland und die Sowjetunion besiegeln im Grenz- und Freundschaftsvertrag die Teilung Polens. Der bisherige polnische Staat ist zerschlagen.
6. Oktober
Mit Warschau und der Festung Modlin sind Ende September die letzten großen Zentren des Widerstands weggefallen. Letzte Teile der polnischen Truppen ergeben sich nun bei Kock und Lublin.
In seiner Reichtagsrede am selben Tag macht Hitler den Westmächten ein Friedensangebot – Frankreich und England lehnen jedoch ab.
Der Zweite Weltkrieg wird bis 1945 mindestens 55 Millionen Menschen das Leben kosten.
Quellen:
- Jochen Böhler: Der Überfall. Deutschlands Krieg gegen Polen, erschienen im Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main, 2009.
- Richard Overy: Die letzten zehn Tage. Europa am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. 24. August bis 3. September 1939, erschienen in der Verlagsgruppe Random House, München 2009.
- Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: Überfall auf Polen am 1.9.1939 - Beginn Zweiter Weltkrieg
- Deutsches Historisches Museum u.a.: Der Überfall auf Polen 1939
- Mannheimer Morgen: "Für mich ist es schwer zu vergeben"
- Zeit Online: Der Zweite Weltkrieg in Zahlen und Fakten
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels haben wir Danzig im Abschnitt "1. September, Danzig, 4:45 Uhr" fälschlicherweise als "polnische Stadt" bezeichnet. Danzig war zu diesem Zeitpunkt allerdings ein selbstständiger Staat, eine sogenannte "Freie Stadt". Wir haben den Fehler korrigiert.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.