Immer mehr deutsche Unternehmen wollen offenbar abwandern. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Volkswirt Sebastian Dullien nennt zwei Punkte, die die Ampel-Regierung umsetzen müsste, um dem entgegenzuwirken.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Katharina Ahnefeld sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die schlechten Nachrichten für den Wirtschaftsstandort Deutschland hatten sich zuletzt gehäuft. Das Traditionsunternehmen Miele spart zahlreiche Stellen in Gütersloh ein, baut aber sein Werk in Polen weiter aus. Mit einem solchen Vorgehen steht der Konzern nicht allein da. Auch der Autohersteller Porsche wird seine neue Produktionsstätte offenbar doch nicht in Deutschland errichten.

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Immer mehr deutsche Unternehmen wollen aus Sorge um ihre Wettbewerbsfähigkeit abwandern. In einer Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie von 2023 gaben 30 Prozent der befragten Mittelstandsunternehmen an, Teile der Produktion und Arbeitsplätze ins Ausland verlagern zu wollen. Weitere 16 Prozent sind aktiv dabei und 15 Prozent haben die Produktion in Deutschland gedrosselt oder unterbrochen.

Ein ähnliches Bild zeichnete eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer, ebenfalls aus 2023. 43 Prozent der größeren Industrieunternehmen planten demnach eine Verlagerung oder waren dabei.

Volkswirt Sebastian Dullien über deutsche Unternehmen in der Energiekrise

Als Auslöser für diese Entwicklung nennt Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), die Energiekrise. "Vor dem Sommer 2021 hatte sich der Preis für Erdgas – und als Konsequenz der Preis für Strom – in einem recht engen Korridor bewegt und die Unternehmen hatten sich darauf verlassen, dass Energie in Deutschland zwar nicht unbedingt günstig, aber doch zu einem verlässlichen Preis zu beziehen war", sagt der Experte unserer Redaktion.

Mit dem massiven Anstieg der Preise in 2022 habe sich dieses Selbstverständnis verändert. Unternehmen befürchteten weitere Preisexplosionen – und das trotz wieder gesunkener Preise.

"Es ist derzeit nicht klar, inwieweit sich Unternehmensabwanderungen so materialisieren, wie sie angekündigt werden."

Sebastian Dullien, Volkswirt

Ist diese Befürchtung bereits an konkreten Abwanderungszahlen festzumachen? Eine Antwort darauf zu finden, ist gar nicht so einfach.

Das liegt daran, dass das Vorhaben bei größeren Industrieunternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden zwar stark ausgeprägt ist – aber oftmals noch in der Planungsphase steckt. Diese Beobachtung teilt Dullien: "Es ist derzeit nicht klar, inwieweit sich Unternehmensabwanderungen so materialisieren, wie sie angekündigt werden."

Abwanderungstrend deutscher Unternehmen: Osteuropa als begehrter Standort

Eine Tendenz ist dennoch nicht zu leugnen. Und Regionen wie China und Nordamerika locken mit attraktiven Subventionsangeboten. Auch osteuropäische Länder wie Polen oder Rumänien sind mittlerweile begehrte Standorte.

Eine aktuelle Recherche der "Wirtschaftswoche" zeigte, dass neben Miele weitere namhafte Unternehmen wie Continental, Viessmann, Bosch, Stihl und ZF Friedrichshafen ihre Fertigungen ganz oder teilweise nach Osteuropa verlagern wollen. Und damit raus aus Deutschland.

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Von einer langfristigen Trendwende in Richtung Ausland spricht Sebastian Dullien aber noch nicht. Stattdessen verweist er darauf, dass es auch in der Vergangenheit intensive Debatten um massive Abwanderungen von Unternehmen gegeben habe – diese hätten sich jedoch nach einiger Zeit wieder gelegt.

Die Ampel-Regierung sieht der Experte dennoch in der Pflicht. Massive und beschleunigte Investitionen in Erneuerbare Energien müssten her. Und ein Brückenstrompreis für die Übergangszeit, um Preisspitzen zu unterbinden und Unternehmen Planungssicherheit für künftige Energiepreise zu geben. Anreize also, um in Deutschland zu bleiben.

Über den Gesprächspartner

  • Sebastian Dullien ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Er studierte Volkswirtschaftslehre an den Universitäten in Bochum und Berlin.

Verwendete Quellen

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