Die Welt der wirtschaftlichen Pleiten hat längst die Sphäre der Firmen verlassen. Seit 1. Januar 1999 können auch Privatpersonen Konkurs anmelden, um sich von Überschuldung zu befreien. Von diesem Recht machte Schnulzensänger Matthias Reim jedoch keinen Gebrauch, als 1999 tief in die roten Zahlen rutschte.
Mit "Verdammt, ich lieb' Dich" belegte der Unterhaltungsmusiker 1990 16 Wochen lang die Nummer eins der deutschen Single-Charts, so dass der Hesse aus Korbach danach im Geld schwamm. Laut Spiegel-Online besaß der heute 50-Jährige zeitweise um die 30 Firmen. Dubiose Immobilien-Steuersparmodelle ließen
Müssen große Firmen den Insolvenzrichter aufsuchen, hat das aber für viel mehr Menschen schwerwiegende Folgen. Dabei geht es nicht selten um undurchsichtige Geschäfte, bei denen man "ganz sicher" eine märchenhafte Rendite erzielen kann. Finanz-Spekulationen sind nicht nur bei Banken und speziellen Dienstleistern üblich, sondern bestimmen immer häufiger die Aktivitäten von fachfremden Unternehmen. Die Manager wittern nur zu oft den schnell verdienten Euro.
Richtig gefährlich wird es für Firmen, wenn sie mit Krediten auf die Jagd nach dem sagenhaften Gewinn gehen. Nicht anders kam der jüngste Hypotheken-Crash in den USA zu Stande. Am Anfang dieser Kette standen amerikanische Privat-Kreditnehmer, die, um ihr Haus zu finanzieren, einen Kredit mit der Sicherheit ihres Eigenheims (Hypothek) aufnahmen. Die Institute benutzten diese Mortgages (Hypotheken) wiederum als Sicherheit für Wertpapiere, die sie an Investmentbanken verkaufen.
Diese Dienstleister teilten die Wertpapiere in Risikoklassen ein. Je weniger Sicherheit diese CDOs (Collateralized Debt Obligations) boten, umso höher war die Chance auf einen satten Gewinn. Risikofreudige Hedgefonds kauften mit Krediten von Finanzierungsbanken die Anteilscheine. Da aber die Kreditgeber sich ihr Geld im Ausland liehen, kam dazu noch das Währungsrisiko.
Solange die Nachfrage nach Mortgage-Wertpapieren und den CDOs stark war, waren die Banken am Anfang der Kette darauf aus, möglichst viele Hypotheken abzuschließen. Während es in Deutschland für einen Häusle-Bauer üblich ist, sein Heim mit mindestens 20 Prozent eigenem Kapital zu finanzieren, boten die Amerikaner ihren Schuldnern häufig eine 100-prozentige Fremdfinanzierung an.
Dann hob die amerikanische Notenbank aber die Zinsen an, immer mehr Hausbesitzer konnten ihre Kredite nicht mehr bezahlen und mussten ihre Immobilie für die Gläubiger verpfänden. Damit platzen die Hypotheken, weshalb die Nachfrage auf dem nachgelagerten Finanzmarkt drastisch einbrach. Die betroffenen Dienstleister konnten ihre Kredite nicht mehr bedienen, so dass das gewaltig angewachsene Spekulations-Kartenhaus mit einem lauten Krachen einstürzte.
In wenigen Tagen waren Beträge in Milliarden-Höhe vernichtet. Hedgefonds wie der "High-Grade Structured Credit Enhanced Leveraged Fund" und "High-Grade Structured Credit Fund" brachen in sich zusammen, ja selbst Banken gingen bankrott. Nur durch einen Kredit von elf Milliarden US-Dollar konnte die größte amerikanische Hypothekenbank Countrywide ihre Zahlungsfähigkeit behalten. Alleine im August 2007 mussten knapp 180.000 US-Bürger ihr Haus pfänden lassen.
Weil der Handel mit den risikoreichen CDOs (Collateralized Debt Obligations) so attraktiv war, stiegen auch deutsche Banken in den amerikanischen Markt ein. Mit sage und schreibe 3,5 Milliarden Euro engagierte sich die Sachsen LB (Landesbank) etwa über ihre Zweckgesellschaft Ormond Quay für zweitklassige US-Hypotheken. Laut "Financial Times Deutschland" steckte Ormond Quay damit 20 Prozent seines eigenen Kapitals in ausfallgefährdete Darlehen, was allerdings die Sachsen LB nicht bestätigen will.
Da die Liquidität der ostdeutschen Bank akut gefährdet war, besorgte sich das Kreditinstitut Mitte August 2007 bei der Deka Bank und anderen Gesellschaften 17,3 Milliarden Euro. Wenige Tage danach übernahm die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) das öffentlich-rechtliche Unternehmen und machte die Sachsen für 600 Millionen Euro zur Filiale der Südwestdeutschen.
Die Schwaben ließen sich in den Vertrag eine Rückgabeklausel einbauen, da die Risiken durch die Spekulationen über Ormond Quay nicht vollständig abzusehen waren. Außerdem muss das Land Sachsen für drei Jahre für den kurzfristig aufgenommenen Kredit von 17,3 Milliarden Euro bürgen. Wäre die SachsenLB bankrott gegangen, stünden jetzt 600 Mitarbeiter ohne Arbeit da. Die Anleger bei Osmond Quay müssten mindestens zum Teil ihre Einlagen aufgeben, auch Kunden in Ostdeutschland und Osteuropa hätten einen erheblichen finanziellen Schaden, der sich in der Summe wohl im hohen zweistelligen Milliardenbereich abspielen würde.
Eine richtig große Pleite war die Insolvenz von Kirch Media. Der Konzern, zu dem Medienunternehmen wie Pro Sieben, Sat.1 und der Bezahlsender Premiere gehören, kam 2002 in Zahlungsschwierigkeiten. 8,5 Milliarden Euro Schulden hatten die Firmen von Patriarch Leo Kirch angehäuft. Die knapp 1.000 Arbeitsplätze von Premiere waren akut gefährdet, da sich der Bezahl-Sender mit den Übertragungsrechten für Fußball und Formel-1 übernommen hatte.
Kirch schiebt das Versagen weiterhin auf die Deutsche Bank, gegen die er noch immer prozessiert. Wer auch immer Schuld war, die Pleite stellte das Konzept von Bezahlfernsehen in Deutschland in Frage. Doch wirtschaftlich gesehen sind fünf Jahre danach alle Zweifel ausgeräumt: Premiere arbeitet profitabel und kommt laut Deutscher Presseagentur (dpa) auf einen Börsenwert von 1,5 Milliarden Euro.
Im zwischenzeitlichen Besitz des amerikanischen Milliardärs Haim Saban befindet sich die ProSiebenSat.1 Media AG seit ein paar Monaten im Eigentum der Finanzinvestoren Permira und Kohlberg Kravis Roberts (KKR). In Deutschland gehört dem Konsortium schon der Triebwerkehersteller MTU, die Autowerkstattkette ATU, die Telefongesellschaft Debitel und der Brillenhersteller Rodenstock. Die Neuanschaffung ProSiebenSat.1 aus dem Jahr 2006 kommt zurzeit auf einen Börsenwert von sechs Milliarden Euro. Bei einer kompletten Auflösung von Kirch Media wären 2002 bis zu 10.000 Stellen verloren gegangen. So kostete die Insolvenz aber nur wenige Arbeitsplätze, vor allem in den Dachgesellschaften.
Das Wirtschaftswunderland Schweiz steht für Qualität, niedrige Arbeitslosigkeit und ein stabiles Wachstum. Trotzdem mussten die Eidgenossen im Oktober 2001 eine heftige wirtschaftliche Bauchlandung verkraften: Die mit neun Milliarden Euro verschuldete Swiss Air ging Konkurs. Nur mit den schnellen Finanzspritzen der Banken UBS und CreditSuisse konnte der Flugbetrieb aufrecht erhalten werden.
In den 90er Jahren waren die Helvetier mit vernichtenden Ergebnissen auf Einkauftour gegangen. 1995 beteiligte sich Swiss Air mit 49,5 Prozent an der hochverschuldeten belgischen Sabena. Anfang 1998 gründete die Fluggesellschaft die Qualiflyer-Allianz, der neben den Töchtern Sabena, Air Portugal, Turkish Airlines, AOM, Air Littoral und Crossair auch Austrian Airlines angehörte. Es folgten weitere Beteiligungen. Ab 2000 schrieben die Eidgenossen tief rote Zahlen.
Im März 2002 ging in Verbindung mit dem Basler Regionalflieger Crossair aus der Swiss Air die Swiss hervor, die aber weiterhin Verluste in dreistelliger Millionenhöhe schrieb. Im Juni 2007 übernahm die Deutsche Lufthansa die Gesellschaft zu 100 Prozent, was das Unternehmen mit dem Kranich inklusive der Schulden und Sanierungsarbeiten nach Angaben der Tagesschau zwischen 50 und 60 Milliarden Euro kostet.
Das alles wird von den kriminellen Machenschaften des amerikanischen Konzerns Enron in den Schatten gestellt. Die Wurzeln des Unternehmens aus Omaha im US-Bundesstaat Nebraska liegen bei dem Gasversorger "Northern Natural Gas Company", der 1931 gegründet wurde. 1985 erwarb das Unternehmen Houston Natural Gas und zog in das texanische Houston.
Bis zum Jahr 2000 stieg Enron zu einem der größten Energieversorger weltweit auf und konnte nach eigenen Angaben Einnahmen von 111 Milliarden US-Dollar verbuchen. Doch da waren die Zahlen schon gefälscht. Enron hatte in Zusammenarbeit mit der Buchführungsfirma Arthur Andersen via Schein- und Termingeschäfte die Bilanzen frisiert. Nach Bekanntwerden des Skandals im Oktober 2000 fiel die Aktie von 90 US-Dollar auf einen Wert von wenigen Cents.
Am 2. Dezember 2001 war der Energieriese zahlungsunfähig. Die meisten der 21.000 Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz. Seitdem befindet sich der Konzern in der Abwicklung.
Die Hoffnungen, das Benq die Handy-Sparte von Siemens zu neuen Höhenflügen verhelfen könnte, zerstoben schnell. Der Münchner Elektronikkonzern war im Oktober 2005 heilfroh, die defizitäre Sparte und damit 6.000 Mitarbeiter abgeben zu können. Anstatt den ein oder anderen Euro durch das Geschäft einzunehmen, stellte Siemens dem taiwanesischen Konzern sogar noch 350 Millionen Euro als Mitgift bereit.
Doch schon im Sommer 2006 sahen die Prognosen für Benq Mobile in Deutschland ganz düster aus. Zu Anfang wollten die Südostasiaten mithilfe der Neuerwerbung noch zehn Prozent des Weltmarktes erobern, wenig später war nur noch von baldigen schwarzen Zahlen die Rede. Noch im Spätsommer schossen die Eigentümer 400 Millionen Euro nach, aber am 29. September 2006 stellte die Gesellschaft den Antrag auf Insolvenz.
Da waren es nur noch 3.000 Angestellte in München, Bocholt und Kamp-Lintfort. Am 29. Juni 2007 entließ die Firmenleitung den letzten Mitarbeiter. Siemens will die Stellensuchenden ihrer ehemaligen Handy-Sparte noch bis 2009 bei Bewerbungen bevorzugen.
Im September 2002 musste der Maschinenbauer Babcock Borsig aus Oberhausen seine Segel streichen. Seit 1891 baute die Londoner Tochterfirma Kessel wie den damals in der Industrie besonders begehrten Benson-Kessel. Das Geschäft blühte auf und führte schließlich in den letzten Jahren vor der Pleite dazu, dass 300 Unternehmen zu dem Konzern gehörten. Im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr konnten die Oberhausener mit 22.000 Mitstreitern weltweit einen Umsatz von 4,3 Milliarden Euro erzielen.
Bereits 1996 kam der Maschinenbauer ins Schlingern. Nur eine Finanzspritze in Höhe von 300 Millionen Euro rettete Babcock. Klaus Lederer kam damals als Vorstandsvorsitzender auf das in Seenot geratene Schiff und warf erst Mal "Balast" ab: Er kürzte massiv Stellen. Da waren es jedoch noch über 40.000 Mitarbeiter. In den folgenden Jahren gab es zwischen Investoren und den Oberhausenern ein Gezerre um den Rüstungshersteller Howaldtswerke Deutsche Werft AG, infolge dessen Babcock weiter in Schieflage kam. Die Liquidätsprobleme wurden immer dringender.
Das folgende Insolvenzverfahren geriet 2002 zur Schlammschlacht mit Vorwürfen zu Untreue, Beihilfe zur Untreue und Verschleppung. Aber schon ein Jahr später lobte Vorstandschef Horst Piepenburg seine eigene Sanierungsarbeit. Insgesamt seien 18.000 der weltweit 21.000 Arbeitsplätze gerettet worden: "Das macht uns schon ein wenig stolz".
Den Wirtschaftskriminellen Manfred Schmider ein Schlitzohr zu nennen, würde bedeuten, Straftaten gewaltigen Ausmaßes zu verniedlichen. Zwischen 1994 und 1999 verkaufte das Ettlinger Unternehmen FlowTex 3.000 Horizontalbohrmaschinen zu einem Stückpreis von 1,5 Millionen Mark. In Wirklichkeit besaß Schmider nur etwa 300 Geräte, bei denen für die Betriebsprüfung die Seriennummern auf den Zulassungsschildern manipuliert wurden.
Da die FlowTex ihre verkauften Produkte wieder zurückleaste, brauchte sie fortwährend Kapital, das sich die Firma mit Krediten beschaffte. Die Kredite auf die fiktiven Baugeräte waren der eigentliche kriminelle Gewinn. Die Ettlinger nahmen so insgesamt 4,2 Milliarden Mark ein.
Kurz bevor der Betrug aufflog, wollte Schmider den Regional-Flughafen Söllingen bei Karlsruhe im großen Stil ausbauen und Stuttgart Konkurrenz machen. Bis zum Skandal 2000 gaben sich bei Schmider Ministerpräsidenten, Bürgermeister, Abgeordnete und bedeutende Manager die Klinke in die Hand, um mit FlowTex weitere Geschäfte einzufädeln.
Als "Imperium der Hoffnungswerte" bezeichnete ein Verteidiger die Strategie seines Mandanten Jürgen Schneider. Der Frankfurter Bauingenieur sanierte nach der Wende 1989 im großen Stil Gebäude in besten Innenstadtlagen. Um die Arbeiten ohne das fehlende Eigenkapital zu finanzieren, nahm Schneider Kredite auf.
Weil seine Projekte fast alle wenig Gewinn abwarfen und nach der Wiedervereinigung kaum verkäuflich waren, benötigte Schneider immer größere Kredite. Da er aber die Mietflächen viel zu groß angab und die möglichen Einnahmen viel zu positiv darstellte, funktionierten seine Bauaktivitäten eine ganze Weile.
Am 1. April 1994 hatte der Baulöwe den unglaublichen Schuldenberg von 5,4 Milliarden Mark angehäuft und war endgültig pleite. Nach dem Verkauf seiner Immobilien blieben immerhin noch 2,4 Milliarden Mark Verbindlichkeiten. Viele mittelgroße und kleine Handwerksbetriebe riss Jürgen Schneider mit in den wirtschaftlichen Ruin.
Die Verluste der Handwerker in Höhe von 50 Millionen Euro bezeichnete Vorstandssprecher Hilmar Kopper von der Deutschen Bank bei einer Pressekonferenz als Peanuts. Der Imageschaden für das Kreditinstitut durch diese Äußerung war beachtlich, Peanuts wurde zum Unwort des Jahres 1994 gewählt.
Oft ist es die unheilige Allianz von riskanten Geschäften, willig Kredit gebenden Banken und skrupellosen Managern, die Firmen in die Zahlungsunfähigkeit treibt. Die Aussicht auf großen Gewinn lässt einige Wirtschaftsbosse leichtsinnig werden. Gehen die Verantwortlichen, die sich häufig einem enormen Erfolgsdruck ausgeliefert sehen, ein zu hohes Risiko ein, reißen sie ganze Konzerne in den Abgrund. Funktioniert das Glücksspiel jedoch, sind sie die Helden, die sich auf den Titelseiten der großen Wirtschaftsmagazine wiederfinden.
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