Der Leitzins im Euroraum ist im Keller. Und zwar in der hintersten Ecke. Bei allen Nachteilen für die Verbraucher gibt es für sie auch ein paar Vorteile - wenn sie verantwortungsvoll mit dem billigen Geld umgehen. Die Vor- und Nachteile der Leitzinssenkung im Überblick.
Schon wieder hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins gesenkt. Diesmal auf 0,15 Prozent. So niedrig lagen die Zinsen im Euroraum noch nie. Für all jene, die Geld auf die Seite legen wollen, um es zu sparen, sind das einmal mehr schlechte Nachrichten. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 häufen sie sich sogar.
Seit der Zusammenbruch des Bankhauses Lehman Brothers die internationale Finanzwirtschaft so richtig durcheinander gewirbelt hat, sind Sparer durch die niedrigen Leitzinsen Stück für Stück "enteignet" worden. So wurde es in den vergangenen Jahren immer wieder formuliert. Der Grund: Ein niedriger Leitzins wirkt sich auch auf die Zinsen aus, die es zum Beispiel für Tages- oder Festgeld gibt oder die bei Lebensversicherungen zu erzielen sind. Dementsprechend sind auch die Zinsen im Keller. Der Leitzins entspricht dem Preis, den Banken zahlen müssen, wenn sie sich bei der Zentralbank Geld leihen.
Freuen über den anhaltend niedrigen Leitzins können sich andererseits all jene Verbraucher, die zuletzt größere Investitionen getätigt haben oder das nun tun wollen – und dafür vor Kurzem einen Kredit von der Bank genommen haben oder das jetzt tun möchten. Weil sich die Banken durch den niedrigen Leitzins selbst sehr billig Geld von der EZB leihen können, sind auch die Zinsen für Verbraucherkredite seit Langem schon sehr niedrig. Besonders davon profitieren können derzeit zum Beispiel Häuslbauer oder Häuslkäufer.
Leitzins bleibt wohl längere Zeit im Keller
Viele Menschen können in diesen Tagen Baukredite zu Zinsen bekommen, die vor zehn Jahren noch doppelt so hoch gewesen waren. Auch Kredite zur Autofinanzierung sind schon seit Langem verhältnismäßig günstig. Und der jüngste Zinsschritt der EZB lässt zumindest vermuten, dass dies auch noch einige Zeit so bleiben wird. Dass die Zentralbank den Leitzins vom derzeit extrem niedrigen Zinsniveau bald wieder auf das Vor-Krisen-Niveau anheben wird, ist kaum zu erwarten. Damals, unmittelbar vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, hatte der EZB-Leitzins bei etwa drei Prozent gelegen.
Trotz dieser für (potenzielle) Schuldner recht verlockenden Aussichten, sollten sich Verbraucher angesichts der niedrigen Zinssätze nicht zu vorschnellen Großinvestitionen verleiten lassen. Trotz des aktuellen Zinsniveaus lauern in allen Arten von Kreditgeschäften zahlreiche Fallstricke, die weder die EZB noch Verbraucherschützer bislang kappen konnten. Ein Beispiel: Obwohl der Leitzins bei 0,15 Prozent liegt, Autofinanzierungen für ein bis zwei Prozent sowie Immobilienkredite für drei bis vier Prozent zu haben sind, liegen die Dispozinsen der meisten Kreditinstitute bei Girokonten noch immer deutlich über diesen Werten. Strafzinsen von zehn, elf oder zwölf Prozent sind überhaupt keine Seltenheit. Manche Banken belasten ihre Kunden bei Dispozinsen aktuell sogar mit mehr als 16 Prozent.
Und auch bei geplanten Krediten gilt es, vorsichtig zu sein, ehe man sich von den niedrigen Zinsen zu großen Anschaffungen verleiten lässt. Denn egal wie billig ein Kredit auch ist: Er muss immer zurückgezahlt werden. Gerade bei der Investition in Immobilien bedeutet das langfristige Rückzahlungsverpflichtungen. Dazu kommt: Wer jetzt einen Immobilienkredit mit einer Laufzeit von zum Beispiel 25 Jahren aufnimmt, seine Zinsen für dieses Darlehen aber nur für die nächsten fünf oder zehn Jahre festschreiben lässt, der wettet in gewisser Weise auf die Zukunft. Wenn in fünf oder zehn Jahren der EZB-Leitzins wieder zu alten Höhen zurückgefunden hat oder sogar über sein Vor-Krisen-Niveau gestiegen sein sollte, dann kann der aktuell günstige Kredit, schnell deutlich teurer sein als heute - was den Kreditnehmer in erhebliche Zahlungsnöte bringen könnte.
Kredite sollten ausgiebig geprüft werden
Deshalb gilt auch jetzt: Kredite nur dann aufnehmen, wenn die Investition mit einer ausreichenden Menge an Eigenkapital untersetzt werden kann. Man sollte außerdem nicht zu knapp kalkulieren, finanzielle Reserven auch für unvorhersehbare Ereignisse einplanen und Spielräume lassen.
Ähnlich komplex verhält es sich bei der Frage, ob das Land von dem aktuell niedrigen Zinsniveau profitiert oder verliert. Weil die Geldpolitik des EZB nur ein Element unter vielen ist, an denen der wirtschaftliche und soziale Wohlstand hängt, lässt sich das nicht eindeutig beantworten. Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Weil die Leitzinsen so niedrig sind, kann sich der Staat gerade sehr billig Geld am Kapitalmarkt leihen – um Straßen zu reparieren, Kindergärten zu fördern oder soziale Projekte zu unterstützen. Für die Staatsanleihen, die er ausgibt, muss er derzeit nur Minizinsen zahlen, weil die Akteure am Kapitalmarkt infolge der Zinspolitik der EZB viel Geld haben. Diese Akteure – und das hat nichts mit der EZB zu tun – vertrauen dem Land gerne ihr Geld an, weil sie sich sicher sind, es wiederzubekommen. Anleger wiederum, die ihr Geld sicher in Staatsanleihen anlegen möchten, erhalten ebenfalls nur diese Mini-Zinsen.
Entsprechend komplex ist das auch bei Krediten für Unternehmen, die zwar theoretisch billig sind, in der Praxis aber nicht immer gewährt werden. All das ist Teil einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung – deren Ergebnisse sich deshalb so und so lesen lassen. Wirklich klar ist deshalb bei diesem niedrigen Zinsniveau nur eines: Für Sparer sind das schwere Zeiten.
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