Kalifornische Weine verschwinden aus den Regalen, überall wehen kanadische Flaggen und Reisen in die USA werden abgesagt: In Kanada wächst der Widerstand gegen die aggressive Rhetorik aus den USA. Das Motto:"Elbows up" (in etwa: "Ellenbogen ausfahren"). Sogar US-Tourismus-Anbieter zeigen Verständnis. Aber bringt der Boykott überhaupt etwas?
"Es ist das erste Mal, dass eine Flagge an meinem Haus weht", sagt Jon Erzinger im Gespräch mit unserer Redaktion und zeigt auf die rot-weiße Fahne mit dem markanten Ahornblatt.
"Der Grund sind nicht die Zölle oder der Handelskrieg mit den USA", fährt der Kanadier fort. "Eher ist der finstere Ton und die respektlose Haltung des US-Präsidenten gegenüber Kanada."
Der 64-Jährige meint damit die ständigen Drohungen von
Kanadier boykottieren US-Lebensmittel – und verbieten US-Alkohol
"Elbows up" (in etwa: "Ellenbogen ausfahren") ist das Motto einer Protestbewegung, die es so im Land noch nie gegeben hat. Der Schlachtruf aus dem Eishockey zeigt, dass die sonst so höflichen-zurückhaltenden Kanadier sauer sind – und sich wehren.
Kalifornische Weine und Bourbon aus Kentucky verschwinden aus den Regalen. Die Fächer bleiben leer, stattdessen kleben dort Zettel mit Ahornblättern und der Aufschrift "Buy Canadian instead" ("Lieber kanadisch kaufen"). British Columbia und andere Provinzen haben den Verkauf von Wein, Bier und Spirituosen in staatlichen Alkoholläden verboten, als Reaktion auf die von Trump verhängten Zölle.
Auch Supermärkte kennzeichnen nun Produkte aus Kanada mit Schildern wie "Proudly Canadian" (in etwa: "Mit Stolz aus Kanada") oder "Canadian Made" ("In Kanada hergestellt"). Kunden studieren die Schilder und versuchen, Waren aus den USA zu vermeiden – natürlich auch Erzinger.
Die USA sind in Sichtweite
Das Einfamilienhaus von Jon und Jess Erzinger steht in Sooke, einer 17.000-Einwohner-Stadt im Süden von Vancouver Island. Sie liegt ganz im Westen von Kanada am Meer. Von der Küste können die Erzingers die USA sogar sehen: Der Olympic National Park in Washington State ist nur knapp 40 Kilometer Luftlinie entfernt.
Die Beziehungen zwischen den Nachbarländern USA und Kanada waren traditionell eng – auch in dieser Gegend. Zwei Fähren schippern zwischen Vancouver Island und den USA hin und her. Beide starten in Victoria, der Hauptstadt von British Columbia, 40 Kilometer von Sooke entfernt. 90 Minuten dauert es bis nach Port Angeles, dem Tor zu den Olympic Mountains. In 2 Stunden und 45 Minuten reisen Reisende auf dem Wasser nach Seattle.
Reisen aus Kanada in die USA nehmen deutlich ab
Dass sich die Stimmung unter den Kanadiern seit dem Amtsantritt von Donald Trump drastisch gewandelt hat, bekommen auch die Fährbetreiber zu spüren. Die Fährgesellschaft FRS Clipper betreibt den Victoria Clipper, die High-Speed-Passagierfähre nach Seattle.
"Es gibt einen deutlichen Rückgang der Fahrgäste, die von Victoria aus in die USA reisen", sagt der FRS-Clipper-CEO in Kanada, Mark Collins, im Gespräch mit unserer Redaktion. Seit Beginn der Auseinandersetzungen um Handel und Zölle beträgt der Schwund der Passagiere in diese Richtung 30 Prozent. Allerdings reisen mehr Menschen aus Seattle nach Victoria. Darum beträgt der Rückgang des Clipper-Passagieraufkommens insgesamt nur 6 Prozent.

Collins findet es "nicht überraschend", dass weniger Kanadier in die USA reisen wollen. Für sie habe sich das Verhältnis zu den USA "unwiderruflich verändert". Sie würden derzeit "keine Notwendigkeit sehen, die USA zu unterstützen", wenn die das nicht täten.
Auch Grenzüberquerungen via Auto oder Flugzeuge haben deutlich abgenommen. Im Februar sank die Zahl der Kanadier, die per Pkw in die USA fuhren, im Vergleich zum Vorjahresmonat um fast ein Viertel, so Statistics Canada. Die Flugbuchungen aus Kanada in die USA sind für Sommer und Herbst um 70 Prozent eingebrochen, melden die Reise-Analysten von OAG Aviation Worldwide.
Ein Boykott schadet den USA nicht, stärkt aber Kanada
Bei den beiden Ländern handelt es sich jedoch um ungleiche Gegner. 347 Millionen US-Bürger stehen 41 Millionen Kanadiern gegenüber. Die USA sind die größte Volkswirtschaft der Welt, das Nachbarland ist stark von ihr abhängig und nur ein Zehntel so groß. Kann Kanada den USA mit Boykotten wirtschaftlich überhaupt schaden?
"Nein", sagt der renommierte Experte für Handel und Konsumverhalten Jacques Nantel von der Wirtschaftshochschule HEC Montréal, unserer Redaktion. "Die kanadischen Reaktionen werden in den USA kaum wahrgenommen – außer, wir stoppen den Export von Erdöl-Produkten." 60 Prozent des gesamten Erdöls, das die USA importieren, stammt aus Kanada.
Allerdings besitzen die Boykotte einen symbolischen Effekt, meint Nantel: "Sie haben eine sehr wichtige Wirkung innerhalb Kanadas. Sie steigern den Stolz der kanadischen Verbraucher und werden unsere lokale Wirtschaft umgestalten, weil kanadische Produkte bevorzugt werden. Dies könnte eine nachhaltige Wirkung haben."
Neu-Flaggen-Besitzer Jon Erzinger glaubt, dass das Verhältnis zum südlichen Nachbarn für lange Zeit beschädigt ist: "Wir sind alarmiert, ängstlich und besorgt, und wir sind auch extrem wütend auf Präsident Trump. Die Beziehungen zwischen Kanada und den USA wurden dadurch für immer verändert, und es wird Jahrzehnte dauern, bis sie wieder in Ordnung sind. Wir werden das nie vergessen."
Zu den Gesprächspartnern
- Mark Collins ist CEO der Firma FRS Clipper in Kanada. Das Unternehmen betreibt die Fähre Victoria Clipper, die täglich zwischen Victoria in Kanada und Seattle in den USA verkehrt.
- Jacques Nantel ist Professor emeritus an der Wirtschaftshochschule HEC Montréal. Bis 2016 war er dort als Professor und Wissenschaftler tätig.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Jon Erzinger in Sooke
- Gespräch mit Mark Collins, CEO von FRS Clipper in Kanada
- Gespräch mit Jacques Nantel von der HEC Montréal
- Eigene Beobachtungen vor Ort
- statcan.gc.ca: Chart 4: Canadian-resident return trips from the United States by automobile, February, 2019 to 2025
- Official Airline Guide: Canada - US Aviation: Airlines Respond to Weakening Demand
- cbc.ca: B.C. bans all U.S. alcohol at government stores, wine and beer included, in response to Trump tariffs