In der Autoindustrie droht ein massiver Stellenabbau. Hersteller wie VW, Mercedes oder Tesla wollen tausende Arbeitsplätze einsparen – ebenso Zulieferer wie Bosch, Continental oder Schaeffler. Branchenexperte Stefan Bratzel wundert dies nicht: Die Transformation habe die deutschen Autobauer voll erfasst.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Sven Weiss sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Anzeichen für eine massive Krise der Autoindustrie mehren sich. Mercedes, Tesla oder Volkswagen bauen in großem Stil Stellen ab. Audi erwägt gar, einen kompletten Produktionsstandort zu schließen. Der Autositz-Hersteller Recaro meldet Insolvenz an. Und der Zulieferer ZF will bis zu 14.000 Arbeitsplätze streichen.

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Auch die Absatzzahlen sind bei fast allen großen Autoherstellern rückläufig. Der Volkswagen-Konzern zum Beispiel lieferte im zweiten Quartal 2024 rund 3,8 Prozent weniger Fahrzeuge aus als im Vorjahresquartal. Ähnlich sieht es bei Mercedes-Benz aus. Dort beträgt der Rückgang etwa 3,7 Prozent. Die Gewinne der größten deutschen Autohersteller brachen gar um ein Viertel ein. Das geht aus einer Analyse der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY hervor.

"Ich glaube, dass die Transformation, von der wir seit vielen Jahren reden, langsam auch am Automobilstandort Deutschland im Hinblick auf Arbeitsplätze ankommt", erklärt Stefan Bratzel die schlechten Nachrichten und Zahlen. Bratzel ist Branchenexperte, er arbeitet für das Center of Automotive Management (CAM).

Die E-Revolution kommt nicht schnell genug voran

Bratzel und sein Team hatten bereits vor Jahren prognostiziert, dass durch den Vormarsch der Elektromobilität 20 bis 25 Prozent weniger Arbeitsplätze notwendig sein würden. Doch der Wandel Richtung E-Auto geriet ins Stocken. "Es gibt immer mehr Hersteller und Zulieferer, die im Zuge der Transformation Probleme bekommen", sagt Bratzel.

Grafik-Diagramm "Gewinne von Autobauern im 1. Halbjahr 2024"
© dpa-infografik GmbH

Und dafür gibt es gleich mehrere Gründe.

"Die Konjunktur schwächelt, die geopolitischen Spannungen und kriegerischen Auseinandersetzungen sorgen für erhebliche Verunsicherung in vielen Regionen", erklärt Constantin M. Gall, Managing Partner und Leiter Mobility bei EY für die Region Europe West. Die vielen Unklarheiten rund um die Ladeinfrastruktur oder Förderung beim Erwerb bremse die E-Mobilität zusätzlich. Mit der Folge: "Sowohl in Europa als auch in den USA entwickeln sich die Verkäufe von Elektroautos enttäuschend." Sprich: Es fehlt an Nachfrage aus dem Markt.

Die Hersteller stünden deshalb vor einer schwierigen Entscheidung, so Gall: "Weiterhin sehr viel Geld in die Entwicklung schwer verkäuflicher Elektroautos investieren? Oder neue Verbrenner-Modelle parallel zu neuen Elektroautos entwickeln, was noch mehr Geld kostet?"

Krise der Deutschen offenbart sich vor allem in China

In China ist diese Frage längst entschieden. Dort sind E-Autos inzwischen wesentlich günstiger als Verbrenner. Dadurch ist der Anteil der "New Energy Vehicles", also Elektroautos oder Plug-in-Hybride, in nur vier Jahren von sechs auf 50 Prozent geradezu explodiert. Das berichtet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ).

Das Reich der Mitte war lange Zeit der wichtigste Absatzmarkt für die deutschen Autobauer. Doch die chinesischen Käufer setzen zunehmend auf heimische Fahrzeuge, auch weil sie mittlerweile besser auf die Bedürfnisse der dortigen Käufer zugeschnitten sind: sie sind günstig, digital - und vor allem vernetzt.

Genau damit aber haben die deutschen Hersteller so ihre Probleme. Verschlafen sie den Wandel? Die Frage, ob der Automobilstandort Deutschland seine Bedeutung behalte, hänge stark davon ab, ob es gelinge, bei Innovationen weiter spitze zu bleiben, sagt Stefan Bratzel.

Klar ist jetzt schon: Das wird zunehmend schwieriger, denn die Konkurrenz wird immer besser und schneller. Und die kommt längst nicht nur aus China. Auch Zulieferer aus ursprünglich branchenfremden Sektoren würden einen Teil der Wertschöpfung für sich beanspruchen, so Bratzel. Unternehmen wie der Chipgigant Nvidia stoßen in Felder vor, die bisher Zulieferer wie Bosch oder Continental für sich gepachtet hatten.

"Phantomdebatte E-Fuels"

Ein weiteres Problem für die deutsche Autoindustrie: Ausgerechnet im Heimatmarkt, der immer auch als Showcase taugte, läuft es besonders schlecht. Während das Geschäft mit der E-Mobilität laut Bratzel in Ländern wie Frankreich und Großbritannien wachse und in den skandinavischen Länder sogar stark zulege, leide der wichtigste europäische Markt an "kritischen Rahmenbedingungen".

"Man hat die Förderung für E-Autos von heute auf morgen gestrichen, was ein großes Vertrauensproblem auf der Nachfrageseite erzeugt hat", so Bratzel. "Und die Parteien schwadronieren immer noch von E-Fuels." Er hält das für eine gefährliche "Phantomdebatte", die dem Standort Deutschland langfristig schade. Bratzel macht derzeit drei Bremsfaktoren für Investoren aus: steigende Energiekosten, hohe Bürokratie und hohe Lohnkosten: "Nicht umsonst haben die Chinesen bisher in Deutschland nicht investiert."

Da ist es nur ein schwacher Trost, dass sich Chinas Autobauer mit ihrer groß angelegten Elektro-Offensive hierzulande genauso schwer tun wie ihre deutschen Rivalen. Allerdings entscheidet sich die Zukunft der Hersteller und ihrer Zulieferer nicht in Deutschland, sondern in China. Und demnächst auch in Indien.

Über den Gesprächspartner

  • Professor Dr. Stefan Bratzel ist Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach.

Verwendete Quellen

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