Versöhnliche Worte, vage Aussagen: Beim gestrigen Besuch Alexis Tsipras' im Kanzleramt schienen der griechische Regierungschef und Bundeskanzlerin Angela Merkel trotz drohender Staatspleite und ausbleibender Reformliste recht heiter. Was steckt dahinter? Kuschelkurs oder klare Taktik?

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Fröhliche Stimmung im Kanzleramt. Bis in die späten Abendstunden unterhielten sich der griechische Regierungschef Alexis Tsipras und Kanzlerin Angela Merkel über die Lage in Griechenland und die Beziehungen in der EU. Regierungssprecher Steffen Seibert teilte noch in der Nacht mit, dass die Gespräche und die künftige deutsch-griechische Zusammenarbeit "in gute und konstruktiver Atmosphäre" verlaufen seien.

Hier eine Berührung am Arm, dort ein entspanntes Lächeln. Der Auftritt der beiden Regierungschefs zeugte von regelrechter Heiterkeit. Während sich Tsipras wie gewohnt ohne Krawatte locker gekleidet und mit einem Strahlen im Gesicht Angela Merkels präsentierte, schien auch die Bundeskanzlerin versöhnlich und weich gestimmt.

Von einem Kuschelkurs ist laut Alexander Kritikos dennoch nicht auszugehen. Schließlich gehöre es zur Professionalität eines Politikers, anständig miteinander umzugehen und ein vertrauensvolles Verhältnis auszubauen. Der Griechenland-Experte des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung in Berlin sieht hinter der Zusammenkunft mehr die Zielsetzung Merkels, als eine Art Vermittlerin der EU einen Grexit Griechenlands zu vermeiden. "Merkel hat mit dem Treffen die Uhr auf Null zurück gedreht und damit für einen Neuanfang gesorgt", so Kritikos. Zuvor hätten sich beide Regierungschef zwei Monate lang beschnuppert und so manchen harschen Vorwurf gegenseitig vorgehalten. "Die schrillen Töne der letzten Wochen waren Grund genug, um sich darüber auszusprechen", sagt Kritikos weiter.

Versöhnliche Töne auf beiden Seiten

Alexis Tsipras schien sehr bemüht. Griechenland und Deutschland müssten sich besser verstehen, betonte er während des Treffens im Kanzleramt. Nach wochenlangem Schlagabtausch zwischen Berlin und Athen warnte der griechische Regierungschef vor weiteren gegenseitigen Schuldzuweisungen. "Weder sind die Griechen Faulenzer, noch sind die Deutschen Schuld an den Übeln und den Missständen in Griechenland. Wir müssen hart daran arbeiten, diese schrecklichen Stereotypen zu überwinden." Es gäbe keinen anderen Weg als den Dialog, um Schwierigkeiten zu überwinden. Demnach verurteilt Tsipras griechische Medien, darunter die Zeitung seiner eigene Syriza-Partei, die Merkel mit Nazi-Symbolen abgebildet haben.

Außerdem wolle Tsipras die "Schatten der Vergangenheit aufhellen". Dabei bezieht er sich auf die Fragen rund um den griechischen Zwangskredit, die Wiedergutmachung und Reparationen Deutschlands. Um Geld geht es diesmal nicht. So weißt Tsipras Drohungen aus Athen zurück, deutsche Einrichtungen zu pfänden, wenn Deutschland nicht zu Zahlungen bereit sei. "Das ist für uns kein Thema materieller Art, sondern ein ethisches, moralisches Problem", so Tsipras. Die Reparationsforderung habe nichts mit der Schuldenkrise zu tun.

Die lockeren und versöhnlichen Worte Tsipras' sind nach Meinung Kritikos sehr wichtig, "um nicht gleich wieder in einer verkrampften Sackgasse zu landen, aus der dann keinen Ausweg mehr gibt". Griechenland könne es nun gar nicht gebrauchen, wenn sich Euro-Partner von dem Land abwenden.

Angela Merkel reagierte verständnisvoll, machte aber kaum Zusagen. So lässt sie zum Beispiel in der Frage nach einer Aufstockung des Zukunftsfonds für Versöhnungsprojekte kaum Hoffnung keimen. "Ich kann nichts in Aussicht stellen." Stattdessen beschwört Merkel mit viel Sorgfalt den Zusammenhalt der Europäischen Union. Jedes Land sei gleich wichtig, jeder Mensch einzigartig. "Die Europäische Union ist eine so kostbare Sache, dass man alle Anstrengungen dafür einsetzen muss."

Nach Schätzungen von Alexander Kritikos ging es Merkel besonders darum, einige im Hintergrund brodelnde Zweifel und Differenzen zwischen den Ländern zu besprechen und Griechenland die Bedeutung einer Beteiligung in der Eurozone persönlich zu vermitteln. Die Erklärung impliziere gleichzeitig die Botschaft an Griechenland: So wie bisher könne man nicht mit Brüssel umgehen.

Während des fünfstündigen Krisentreffens blieben derweil andere wichtige Themen ausgespart. Darunter die Reformliste, die Griechenland noch vorigen Woche beim EU-Gipfel in Brüssel versprochen hatte. Die Liste ist eine Voraussetzung dafür, dass das Land weiterhin Hilfskredite im Wert von 7,2 Milliarden Euro gewährt bekommt. Auch eine drohende Staatspleite, die Medienberichten zufolge in den kommenden zwei Wochen eintreten könne, blieb unkommentiert. Tsipras erwähnte lediglich, dass die mittelfristigen Liquiditätsprobleme der griechischen Wirtschaft bekannt seien und versprach erneut: "Wir achten die Verträge und unsere Verpflichtungen aus den Verträgen."

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