Afghaninnen und Afghanen – das waren mal Menschen, denen Deutschland helfen wollte. Inzwischen hat sich der Diskurs so weit nach rechts verschoben, dass diese Menschen nicht mehr als bedroht, sondern als Bedrohung gesehen werden. Also macht Jan Böhmermann in der neuesten Ausgabe seines "ZDF Magazin Royale" einen Faktencheck – mit besorgniserregendem Ergebnis.

Christian Vock
Eine Kritik
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Jan Böhmermann kommt am Freitagabend in Polizeiuniform ins Studio. Nicht, weil er etwa auf seine Herkunft als Polizistensohn verweisen will, sondern als Stilmittel. Denn in der neuesten Ausgabe seines "ZDF Magazin Royale" beschäftigt sich Böhmermann mit Politik im Allgemeinen, mit der Sicherheitspolitik im Besonderen und mit der Rolle der Bundespolizei im ganz Besonderen. Oder wie es Böhmermann formuliert: "Heute geht es im 'ZDF Magazin Royale' um die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland."

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Viel größer kann das Thema eigentlich kaum sein, aber die Sicherheit Deutschlands sei "in akuter Gefahr. Das weiß jeder, der bei 'bild.de' nach 'Afghanen' sucht", erklärt Böhmermann und schon kommen die Suchergebnisse, alle mit dem Tenor "Flüchtlinge aus Afghanistan, die nach Deutschland kommen, sind eine Gefahr" und alle mit der "Bild"-typischen Dramatisierung. Abgerundet wird diese Polemik durch eine kürzliche Rede des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, in der er über Afghanen, die in Deutschland in Sicherheit gebracht werden sollen, urteilt: "Täter raus, aber doch ned neue rein!"

"Markus Söder hat was gegen AfghanInnen, die nach Deutschland kommen in Flugzeugen. Genauer: Markus Söder hat was gegen das BAP, das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan", ordnet Böhmermann Söders Worte ein. Das BAP sei ein Programm der Bundesregierung und von NGOs, "um weiterhin besonders gefährdeten Afghaninnen und Afghanen und ihren Familien eine Aufnahme in Deutschland zu ermöglichen." Deutschland hilft also gefährdeten Menschen. Könnte man stolz drauf sein – oder aber Markus Söder.

Wer muss hier wirklich gestoppt werden?

Damit man eher stolz als Markus Söder ist, erinnert Böhmermann kurz an die Hintergründe. An den chaotischen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und die Rückkehr der Taliban im August 2021. Und an die Enttäuschung der Afghanen, an das brutale Regime der Taliban und an den Markus Söder von einst: "Damals wollte sogar Markus Söder den Menschen in Afghanistan helfen", erklärt Böhmermann und liefert eine entsprechende Aussage Söders als Beleg. Deshalb habe Deutschland das BAP gestartet.

Inzwischen sei die Lage aber anders, denn man lebe nun "in der Gegenwart, in der leider alle vergessen haben, dass wir den Menschen in Afghanistan mal was versprochen hatten." Die neue Regierung wolle in ihrem Sondierungspapier das BAP abschaffen und keine neuen Programme auflegen. Auch bestimmte Medien, vorrangig die "Bild" oder "nius.de" polemisieren gegen die Flüge aus Afghanistan und hier zeigt Böhmermann entsprechende Schlagzeilen – und erneut Markus Söder, wie er geifert: "Das muss gestoppt werden, liebe Freundinnen und Freunde. Täter raus, aber doch nicht neue rein!"

So viel Hintergrundinformationen braucht man für den letzten Teil der Ausgabe, die diesmal wohl wegen der Komplexität des Themas auf sämtliche anderen Showelemente verzichtet. Und so leitet Böhmermann den entscheidenden Abschnitt der Folge ein: "Es ist Alarm im Vaterland. Deshalb machen wir im 'ZDF Magazin Royale' jetzt etwas, vor dem rechtspopulistische Politiker und Medien noch mehr Angst haben, als vor Menschen aus Afghanistan: einen Faktencheck."

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Sicherer als fränkische Bratwürstchen

Der beschränkt sich im Grunde auf zwei Punkte, weil er am Ende auf etwas ganz Bestimmtes hinaus will. Zunächst klärt Böhmermann die Frage der Größenordnung. Oder anders formuliert: "Wie viele Menschen sind das denn überhaupt, die über das BAP aus Afghanistan nach Deutschland gekommen sind?"

Die Antwort: Es sollten seit Oktober 2022 monatlich bis zu 1.000 gefährdete Afghanen aufgenommen werden, was inzwischen rund 29.000 Menschen entspreche. Tatsächlich seien aber bislang nur 1.437 Menschen gekommen. Viele warten noch mit einer Aufnahmezusage in Pakistan auf die Einlösung des Versprechens, darunter eine digitale Künstlerin, ein gefolterter Menschenrechtsaktivist oder eine Gynäkologin – oder wie Markus Söder sie nennt: Täter.

Gleichzeitig gebe es den Vorwurf, die Sicherheitsüberprüfung dieser Menschen sei "lückenhaft und fahrlässig". Deshalb zeigt Böhmermann, wie umfangreich die Sicherheitsüberprüfung des BAP tatsächlich ist, an der NGOs, Behörden, Ämter und Ministerien wie das Bundesamt für Migration, das Auswärtige Amt, die giz, das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei oder der Verfassungsschutz beteiligt sind.

Böhmermanns Urteil über die Sicherheitsüberprüfung: "Wenn die Herstellung von Nürnberger Rostbratwürstchen so aufwändig sicherheitsgeprüft werden würde, wie die Menschen, die über das Bundesaufnahmeprogramm aus Afghanistan nach Deutschland kommen, dann dürfte niemand mehr Nürnberger Bratwürste essen", verpasst Böhmermann bei seinem Vergleich Bratwurst-Fan Söder einen Seitenhieb.

Sicherheitsrisiko Bundespolizei?

Gleichzeitig sei von den 1.437 Menschen, die bisher über das Programm gekommen sind, nur eine Person straffällig geworden. "Nur mal zum Vergleich: von den 733 Abgeordneten des letzten deutschen Bundestages gab es Ermittlungen gegen mindestens zwölf", ordnet Böhmermann erneut ein und kommt dann mit der Aussage des stellvertretenden Vorsitzenden der Bundespolizeigewerkschaft, Manuel Ostermann, der die Flüge aus Afghanistan als "hochriskant und unverantwortlich" bezeichnet, zum Kern des Ganzen.

Denn nach den Informationen, die sein Team recherchiert habe, "könnte man meinen: Das größte Sicherheitsrisiko sind nicht Afghanen, sondern Bundespolizisten". Damit meint Böhmermann noch nicht einmal so sehr die Handgreiflichkeiten eines Bundespolizisten in Islamabad mit einem Vertreter der deutschen Botschaft oder die Trunkenheitsfahrt eines anderen Bundespolizisten, ebenfalls in Pakistan. Die beiden Fälle dienen Böhmermann nur zur Veranschaulichung der Zahlen, nach denen Bundespolizisten doppelt so gefährlich seien wie Afghanen aus dem Aufnahmeprogramm.

Viel wichtiger sind Böhmermann aber zwei Fälle, in denen Afghanen, nachdem sie bereits in Deutschland gelandet waren, fehlerhafte Dokumente gehabt hätten. Im ersten Fall hätte das bereits in Pakistan auffallen müssen, im zweiten Fall ist es das sogar, nur habe die Bundespolizei niemandem Bescheid gegeben. In beiden Fällen habe es Anzeigen gegeben, einmal gegen Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Pakistan und einmal gegen die Afghanen und in beiden Fällen sei die Resonanz in den Medien groß gewesen.

Warum macht die Bundespolizei das?

Böhmermann sieht dafür nur zwei Erklärungen. "Erste Erklärung: Die Bundespolizei ist inkompetent […] und reißt bei 'bild.de' und 'welt.tv' trotzdem ordentlich die Fresse auf." Böhmermanns zweite Erklärung: "Teile meiner Bundespolizei missbrauchen die Bundespolizei, um Politik zu machen, gemeinsam mit interessierten Medien und Politikern. Weil sie das BAP aus irgendwelchen Gründen scheiße finden, machen sie absichtlich Fehler, um das eigentlich sichere Bundesaufnahmeprogramm zu sabotieren. Das wär ganz schön krass, oder?"

Ja, wäre es. Aber Böhmermann, so clever ist der ZDF-Chef-Satiriker, spricht diesen Vorwurf nicht konkret aus, sondern stellt ihn nur in den Raum. Und zwar so, dass egal, welche Antwort man findet, die Bundespolizei dabei gar nicht gut wegkommt. Gleichzeitig ist vor allem der zweite Vorwurf so groß, dass er mit Sicherheit in den kommenden Tagen Wellen schlagen, zumindest aber für Erklärungsnot sorgen wird. Aber egal, welche Konsequenzen daraus entstehen: Böhmermanns Verdienst ist viel größer, als nur ein eventuell absichtliches Fehlverhalten bei der Bundespolizei aufgedeckt zu haben.

Mindestens genauso wichtig ist, dass Böhmermann das Thema BAP mal aus einer anderen Perspektive erzählt hat. Eine, in der gefährdete Menschen nicht automatisch als Gefährder gebrandmarkt werden. In der die behauptete mal mit der tatsächlichen Wirklichkeit abgeglichen wird. In der die Agenda der Springer-Medien, allen voran der "Bild"-Zeitung, transparent gemacht wird. Das ist für eine 30-Minuten-Satire-Show doch schon eine ganze Menge.