Was Satire darf – darüber wird gestritten, seit es Satire gibt. Was Satire muss, ist schon eindeutiger: aufklären, aufdecken, den Finger in die Wunde legen, bloßstellen und angreifen mit Humor. All das schafft Jan Böhmermann am Freitagabend in seinem "ZDF Magazin Royale", als er sich das Geschäft mit Unterkünften für Geflüchtete vorknöpft. Eines gelingt ihm dabei aber leider nicht. Denn manchmal muss Satire auch differenzieren.

Christian Vock
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die Ereignisse der vergangenen Woche, insbesondere das erwartbare, aber in seinem Zeitpunkt und seiner Art und Weise doch überraschende Ende der Regierungskoalition, haben in der vergangenen Ausgabe des "ZDF Magazin Royale" die Redaktion offenbar kalt erwischt, mindestens aber lauwarm. Denn außer dem Satz "Gute Zeiten für Satire" kam zum Ampel-Aus trotz dieser "guten Zeiten für Satire" relativ wenig.

Mehr News über TV-Shows

Nun hatte die Redaktion also eine Woche Zeit, um sich mit ausreichend Christian-Lindner-Witzen einzudecken, aber auch an diesem Freitagabend lassen Jan Böhmermann und sein Team die guten Zeiten fast völlig ungenutzt verstreichen. "Willkommen in Woche zwei ohne Mehrheit im Bundestag", begrüßt Böhmermann die Zuschauer und erwähnt dann lediglich, dass die kommende Bundestagswahl am 23. Februar, seinem Geburtstag, stattfinden werde. Für gute Zeiten eine doch recht magere Ausbeute. Zumindest erst einmal.

Mit einer Hypothek in den Abend

Gleichzeitig ist das "ZDF Magazin Royale" keine tagesaktuelle Satire-Show, noch weniger, seit sie von ZDFneo ins ZDF-Hauptprogramm gewandert ist. Stattdessen ist der Kern der Sendung immer ein nicht- oder daueraktuelles Thema und so ist es auch an diesem Freitagabend. "Nach dieser anstrengenden letzten Woche haben wir für Sie heute im 'ZDF Magazin Royale' mal ein unpolitisches Thema rausgesucht: Geflüchtetenunterkünfte", wirft Böhmermann einen Blick auf das, was er und die Redaktion vorbereitet haben und natürlich meint er diesen Satz ironisch.

Denn unpolitisch ist das Thema "Geflüchtetenunterkünfte" in keiner Weise. Für die einen bricht sich hier Unbehagen bis blanker Rassismus Bahn, andere sehen darin zuerst praktische Probleme, weil sie sich zum Beispiel in der Hilfe engagieren und wieder andere schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, wie man Unterkünfte für Menschen in Not überhaupt politisieren kann. Nein, unpolitisch ist hier gar nichts, dementsprechend geht Böhmermann mit einer thematischen Hypothek in diesen Abend.

Warum man sich trotzdem für dieses Thema entschieden hat? "Angriffe auf Geflüchtete und Unterkünfte in Deutschland haben 2023 im Vergleich zum Vorjahr stark zugenommen […]", zitiert Böhmermann die "Tagesschau" und dann die "taz": "Die AfD hetzt gegen die geplante Flüchtlingsunterkunft in Hohenschönhausen." Das ist erbärmlich, aber leider keine Überraschung. Überraschend ist da schon eher Böhmermanns nächste Aussage: "Rechtsextreme hetzen gezielt gegen Geflüchtete. Und all die anderen, die edlen demokratischen Parteien, die machen mit."

Die Differenzierung fehlt

Um diese These zu untermauern, zitiert Böhmermann Vertreter verschiedener Parteien, etwa Innenministerin Nancy Faeser, als sie nach dem Migrationsgipfel davon spricht, dass die Zahlen noch weiter zurück müssten. "Dahinter steht im theoretischen Thinking nichts anderes als 'Ausländer raus'", behauptet Böhmermann. Cem Özdemir wird zitiert, ob man das "Drittstaaten-Modell" "nicht ernsthaft prüfen" solle und Böhmermann kommentiert das mit einem "In allen demokratischen Parteien: Ausländer raus!"

Nun darf, ja muss, eine Satire-Show vereinfachen, sonst verliert man erst sich und dann die Botschaft. Gleichzeitig darf diese Botschaft nicht auf Undifferenziertheit fußen und so macht es schon einen Unterschied, mit welcher Motivation und wie solche Aussagen von Faeser und Özdemir getroffen werden. Geht es dabei um die Anwendung der Gesetzeslage, um die politische Umsetzung oder um Populismus und das Schüren von Ressentiments? Böhmermann differenziert hier aber nicht, sondern stellt diese beiden Zitate in eine Reihe anderer Aussagen wie die von Friedrich Merz oder Sahra Wagenknecht.

Merz, früher schon mit chauvinistischen Aussagen wie "Paschas" oder "Sozialtourismus" unangenehm aufgefallen, wird mit "für fünf, die abgeschoben werden, kommen 100 neue" zitiert und Sahra Wagenknecht behauptet: "Jeder weiß doch: Wer unkontrollierte Migration zulässt, der bekommt unkontrollierbare Gewalt." Auch wenn Böhmermann hier nicht zwischen den Aussagen von Faeser und Özdemir auf der einen und von Merz und Wagenknecht auf der anderen Seite unterscheidet, legt er immerhin Wagenknechts rhetorische List offen: "Jeder weiß doch, dass Sätze, die mit 'jeder weiß doch' anfangen, ein eleganter rhetorischer Trick sind, um den ausgedachten Quatsch, der nach 'jeder weiß doch' kommt, nicht belegen zu müssen."

"Die Motivation ist Reichwerden mit Flüchtlingen"

"Alle relevanten Parteien und die FDP sind sich einig: Ausländer raus", ist zwar ein netter Seitenhieb gegen die FDP, aber leider eben auch eine undifferenzierte Zusammenfassung der Zitate mit einem rechtsextremen Slogan. Das halst dem Thema der Ausgabe noch eine zweite Hypothek auf, schließlich soll all das nur als Grundlage für Böhmermanns eigentliches Anliegen dienen: private Unternehmen. "Die haben richtig Bock, sich um Geflüchtete zu kümmern", erklärt Böhmermann und zitiert "mdr.de": "Viele Menschen denken, Flüchtlingsheime werden vom Staat oder von Kommunen betrieben, die dort mit festangestellten und ehrenamtlichen Helfern die Geflüchteten betreuen. Doch das stimmt nicht. Flüchtlingsheime sind ein Millionengeschäft."

"Kommunen und Länder beauftragen mit der Betreuung der Geflüchteten oft gemeinnützige Hilfsorganisationen", sagt Böhmermann und erklärt, dass in 13 Bundesländern die Unterkünfte aber auch von privaten Unternehmen betrieben würden. Das sei "erstmal völlig normal", Böhmermann stößt sich aber an den Ausschreibungskriterien: "[…] oft bekommt der günstige Bieter den Zuschlag […]", zitiert Böhmermann "wdr.de" und hier seien private Unternehmen eben oft billiger als Hilfsorganisationen, "weil sie eher bei Löhnen oder Personal sparen oder am Betreuungsangebot". Das habe Folgen.

"Die Motivation ist Reichwerden mit Flüchtlingen. Der Flüchtling wird ja gar nicht als Mensch wahrgenommen", zitiert Böhmermann einen ehemaligen Mitarbeiter eines dieser privaten Unternehmen, ORS. Böhmermann untermauert die Aussagen mit einem Bericht über einen Geflüchteten, der in einer Berliner ORS-Unterkunft gestorben ist, aber erst nach vier Wochen gefunden wurde. Es folgen Berichte über "gravierende Mängel" und die dazugehörigen Dementis. Vor allem aber präsentiert Böhmermann die Ergebnisse einer eigenen Recherche.

"Außerordentlich hohe" Margen bei Geflüchtetenunterkünften

Dieser Recherche zufolge betreibe der ORS-Mutterkonzern, die britische serco-Gruppe, jede fünfte landeseigene Sammelunterkunft für Geflüchtete in Deutschland. "Was ist das denn bitte für eine Firma?", fragt Böhmermann nach Sichtung eines Imagefilms des Unternehmens und zitiert "wdr.de": "Das britische Unternehmen gehört unter anderem Vermögensverwalter wie Blackrock und macht weltweit über 5 Milliarden Pfund Umsatz – als Dienstleister für Militärs, Raumfahrt, Grenzschutz – als Betreiber von Gefängnissen und – Flüchtlingsunterkünften."

Man habe zusammen mit der "Süddeutschen Zeitung" und "Monitor" zu serco recherchiert, erklärt Böhmermann und zeigt ein paar ausgewählte Brutto-Margen von ORS-Unterkünften. "Der britische Konzern serco macht mit einigen ORS-Geflüchtetenunterkünften in Deutschland bis zu 50 Prozent Brutto-Marge", fasst Böhmermann die Zahlen zusammen, die laut eines Wirtschaftswissenschaftlers "außerordentlich hoch" seien. Mit dieser Einschätzung muss es Böhmermann belassen, bewegt sich also nur auf einer moralischen Ebene, um die rechtliche müssen sich andere kümmern.

Das ist für Satire-Shows wie das "ZDF Magazin Royale" völlig normal, denn hier geht es ja in erster um Moral und Ethik, eben ums "Auf-die-Finger-schauen" und natürlich um die satirische Verpackung. Bei der kann Böhmermann immer dann besonders brillieren, wenn er die schlechten Nachrichten mit beißendem Spott verpackt: "Geflüchtete Menschen. Die sind in Deutschland aktuell noch unbeliebter als Christian Lindner bei Olaf Scholz. Nur im Gegensatz zu Christian Lindner sind sie selber nicht schuld daran", kommen Böhmermann die "guten Zeiten für Satire" dann doch noch entgegen.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.