Die Bundestagswahl ist vorbei. Zeit also, dass die Stimmung wieder besser wird im Land. Aber war die Stimmung vorher wirklich so schlecht? Und wenn ja, warum eigentlich? Diese Fragen hat sich Jan Böhmermann am Freitagabend in seinem "ZDF Magazin Royale" auch gestellt und sich auf die Suche nach den Stimmungsmachern begeben.

Christian Vock
Eine Kritik
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Gewöhnlich dauert es in einer Folge "ZDF Magazin Royale" ein bisschen, bis es klingelt, was Jan Böhmermann mit seinem Hashtag der Woche meint. In der jüngsten Ausgabe scheint das allerdings nicht der Fall zu sein. #StimmungImLand lautet das Hashtag der Woche und dazu erklärt Böhmermann: "Die Stimmung im Land war monatelang von nur einem Thema bestimmt: Migration. Abschieben, Grenzen dicht. Und darüber müssen wir heute dringend mal sprechen. Also nicht über Migration, keine Angst. Nicht schon wieder. Sondern über: die Stimmung im Land."

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Wem das noch nicht eindeutig genug ist, dem zeigt Böhmermann ein paar Schlagzeilen der vergangenen Wochen: "Stimmung vor der Wahl: Ein Thema bewegt die Deutschen besonders", heißt es da oder "Wagenknecht fordert Volksabstimmung über Migrationspolitik: Ziel ist die Beruhigung der Stimmung im Land." "Ja, die Stimmung, die Stimmung im Land. Alle schreiben drüber, alle reden drüber, alle machen Politik mit ihr", kommentiert Böhmermann. Also, alles klar? Böhmermann will über die Stimmung im Land reden, eindeutig, oder?

"Jeder Fünfte wählt offen rechtsextrem. Jeder Fünfte."

Jan Böhmermann

Nicht ganz. Denn eindeutig wäre für Böhmermann zu, na eben eindeutig. Deshalb zieht Böhmermann zunächst das Fazit: "Und das ist sie jetzt, die Stimmung im Land: Jeder Fünfte wählt offen rechtsextrem. Jeder Fünfte." Und weil "jeder Fünfte" zu abstrakt ist, macht es Böhmermann bildlich: "Nazi-Fans wohnen in unseren Straßen, sitzen in unseren vollgepissten U-Bahnen, stehen beim Bäcker vor uns und kaufen uns die Zimt-Wuppis weg. Das ist jetzt ganz normal. So ist jetzt die Stimmung im Land."

Dann biegt Böhmermann langsam in die Richtung ein, in die es eigentlich gehen soll: Nicht um die Stimmung im Land, sondern darum, wie diese Stimmung zustande kommt und wie damit umgegangen wird: "Und wenn Rechtsextreme jetzt überall sind, dann wird es doch mal Zeit, dass wir die ein bisschen besser kennenlernen, oder?" Und mit einem "Dein Stichwort, liebe ‚Tagesschau‘", leitet Böhmermann zu einem kurzen Clip über, in dem "Drei Fakten, die Du vielleicht noch nicht über Alice Weidel wusstest" präsentiert werden. "Ganz viel Verständnis für ganz viele normale Rechtsradikale", bewertet Böhmermann den Clip.

Mit dieser Einschätzung ist der Satiriker nicht alleine, auch Grünen-Kandidat Robert Habeck sagt über den Wahlkampf: "Er hat zu einer erschreckenden Normalisierung der AfD und auch des AfD-Programms geführt." Böhmermann erinnert daran, dass sich auch die Grünen an der Monothematik Migration beteiligt haben, geht dann aber einen Schritt weiter: "Die Stimmung im Land, so ist sie eben. Aber woher wissen das die Grünen? Woher wissen wir, wie die Stimmung ist. Wie ist sie genau, die Stimmung im Land? Wer sagt uns, was die Deutschen gerade denken und wollen?"

Auftrag an den "Bild"-Chefredakteur: Ampel platzen lassen

Die Antwort findet Böhermann unter anderem in den Schlagzeilen der Springer-Presse und bei deren Chef. "Der Medienmilliardär Matthias Döpfner, der hat die Ampel schon gehasst, lange, bevor es cool war. Bevor es überhaupt die Ampel gab." Denn Döpfner sei vieles, "vor allem aber ist er Polit-Aktivist", erklärt Böhmermann und zeigt eine SMS Döpfners aus dem September 2021, in der steht: "Please Stärke die FDP. Wenn die sehr stark sind, können sie in Ampel so autoritär auftreten, dass die platzt. Und dann Jamaika funktioniert."

Das Brisante daran: Dieser Aufruf, die FDP zu stärken, ging an den damaligen Chefredakteur der "Bild", Julian Reichelt, der heute bei einem rechten Meinungsportal in aggressiven Tönen über alles herzieht, was nicht in sein Weltbild passt. Drei Jahre später sei dann Döpfners Wunsch in Erfüllung gegangen: "Die Ampel ist geplatzt, weil die FDP autoritär aufgetreten ist", erklärt Böhmermann, nur habe das Image der FDP darunter gelitten. Und so präsentiert Böhmermann "Bild"-Schlagzeilen, in denen versucht worden sei, "aus Christian Lindner einen echten Menschen zu machen".

Ähnlich verläuft es nach dem Kanzlerduell zwischen Friedrich Merz und Olaf Scholz. Auch hier will die "Bild" die Stimmung im Land einfangen, nur macht sie das ausgerechnet bei einem Unternehmer, der CDU-Mitglied ist. Im Beitrag erfährt man davon aber nichts. Ebenso unredlich sei die "Bild" nach dem Merzschen Brandmauerfall vorgegangen. Bei den Demonstrationen, bei denen Hunderttausende gegen das Verhalten der Union auf die Straße gegangen sind, habe die "Bild" gefragt: "Wer steckt hinter den Massen-Demos in Deutschland?" "Im Axel-Springer-Hochhaus kann man sich einfach nicht vorstellen, dass Menschen ohne Anweisung von oben, ohne politische und wirtschaftliche Interessen, einfach nur so, aus freiem, demokratischem Willen auf die Straße gehen" , erklärt Böhmermann dazu.

Die "Bild" sind nicht die Medien und Kampagnen kein Journalismus

Eine Demonstration von Unternehmern am gleichen Tag wird von der "Bild" hingegen wohlwollend begleitet und deshalb stellt Böhmermann die Gegenfrage: "Welche NGO steckt eigentlich hinter dieser Demonstration?" Die Antwort Böhmermanns: die Wirtschaftslobby-Organisation "Neue Soziale Marktwirtschaft" mit einem CDU-Mitglied als Chef und einem früheren "Bild"-Reporter als Kommunikationsleiter. "Bild und Union und Medien und Politik Hand in Hand für die Stimmung im Land", fasst Böhmermann die unseriöse bis journalistisch unredliche Verquickung der Springer-Medien mit politischen Interessen zusammen.

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An dieser Stelle müsste man allerdings kurz einhaken und differenzieren. Zwar nennt Böhmermann hier ausschließlich Springer-Medien wie die "Bild", dennoch könnte der Eindruck entstehen, es ginge hier um die Medien an sich. Als seien "Bild" und Medien wie "Süddeutsche Zeitung" oder "Frankfurter Allgemeine" irgendwie das gleiche. Als würden alle Medien so arbeiten wie es die "Bild" macht, indem das Blatt in seinen Berichten etwa auf die Trennung von Nachricht und Meinung verzichtet – so wie es seriöse Medien eben nicht machen.

Den zweiten Einwand, den man an dieser Stelle bringen könnte, ist: Das ist ja alles nicht neu. Dass die "Bild" etwa seit langem einen Kurs gegen die Grünen fährt, der weder etwas mit seriösem Journalismus noch mit der Realität zu tun hat, dürfte nicht nur Menschen aufgefallen sein, die es mit Habeck und Co. halten. Und dass Matthias Döpfner von seinem Chefredakteur eine gezielte Bevorzugung der FDP verlangt hat, nährt den Verdacht, dass derartige Kampagnen Springer-Politik sind. Warum sollte es beim Grünen-Bashing anders sein, als beim Pushen der FDP? Ja, Böhmermanns Vorwürfe sind nicht neu, aber es ist gut, dass sie mit aktuellen Beispielen noch einmal derart publik werden.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und "die Stimmung im Land"

Kann man das gezielte Bevorzugen zweier Parteien als mutwillig und absichtlich interpretieren – und wie sollte man das angesichts Döpfners SMS nicht tun – könnte man das Verhalten von Böhmermanns zweitem Kritik-Adressaten vielleicht noch als fahrlässig interpretieren: der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Dass in den dortigen Politik-Talkshows Vertreter rechter Parteien ein und aus gehen, als seien sie genauso demokratische Politiker wie die der anderen Parteien, ist für Demokraten schon schwer genug zu ertragen. Ausgerechnet die, die kritischen Journalismus immer wieder diskreditieren, werden von denen, die diskreditiert werden, durch Dauerpräsenz bei ihrer Demokratie zersetzenden Arbeit unterstützt.

Aber Böhmermann kritisiert noch nicht einmal das Sägen am eigenen Stuhl, sondern, wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk an der Stimmung im Land beteiligt. Denn die "ZDF Magazin Royale"-Redaktion hat bei den Öffentlich-rechtlichen nachgefragt, warum sie das Thema Migration immer und immer wieder in den Mittelpunkt gerückt haben und noch rücken. Deren Antwort: Die Meinungsumfragen hätten dieses Thema ganz oben angesiedelt. "Die Stimmung im Land macht die Fernsehsendungen, die die Stimmung im Land machen. Was war zuerst da, die Henne oder das Ei?", fragt Böhmermann deshalb und erklärt: "Journalismus läuft Meinungsforschung hinterher und die journalistische Sorgfalt den rechtsextremen Lügen." Gemeint sind damit die nachträglichen Faktenchecks, die nichts mehr klarstellen können, wenn die Lügen schon längst in der Welt und zur "Stimmung im Land" geworden sind.

Jan Böhmermann wollte am Freitagabend einmal zeigen, wer für die Stimmung im Land denn so verantwortlich ist. Dass sein Blick auf die Rolle bestimmter Medien nicht vollständig sein kann, hätte Böhmermann erwähnen können. Aber vielleicht wäre seine Kritik dadurch weniger wuchtig ausgefallen. Diese Wucht tut aber Not, denn Böhmermanns Blick zeigt nicht nur die Stimmungsmacher, sondern ist auch ein Armutszeug für das Berufsverständnis mancher Medien.

Dass Springer-Journalisten etwas an ihrer ganz eigenen Auffassung von Journalismus ändern werden, ist eher unwahrscheinlich. Umso mehr kommt es darauf an, dass die anderen Journalisten, die ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen – ob aus Furcht, falsch verstandener Fairness oder aus Fahrlässigkeit ist dabei egal – wesentlich kritischer mit ihrer eigenen Arbeit umgehen. Denn sonst ist es nicht mehr "nur" jeder Fünfte, der offen rechtsextrem wählt. Für die Stimmung im Land wäre das katastrophal.