Etwa die Hälfte der Deutschen wohnt zur Miete. Da ist klar, dass es eine ganze Menge Menschen betrifft, wenn auf dem Wohnungsmarkt etwas schiefläuft. Dass etwas schiefläuft, zeigen die Reporter Wiebke Wittneben und Rainer Jilg am Mittwochabend in der Vox-Reportage "Vox Inside – 2 Zimmer, Küche, Abzocke".

Christian Vock
Eine Kritik
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Ärztinnen, Feuerwehrleute, Lokführer: Es gibt Berufe, die haben einfach einen Vertrauensvorschuss. Andere Berufe hingegen haben von Haus aus ein Reputationsproblem: Drogenkurier zum Beispiel. Dazwischen gibt es aber auch Berufe, die mit einem nicht so guten Image zu kämpfen haben – ob zu Recht oder zu Unrecht, ist eine andere Frage. Werbefachleute etwa oder Versicherungsvertreter.

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Berufe aus der Immobilienbranche gehören wohl eher in die letzte Gruppe und die Reportage "Vox Inside – 2 Zimmer, Küche, Abzocke", der Titel verrät es schon, wird nicht unbedingt zur Reputationsverbesserung der Branche beitragen – um es einmal vorsichtig zu formulieren. Denn dort haben sich die Reporter Rainer Jilg und Wiebke Wittneben einmal angesehen, wie es auf dem deutschen Immobilienmarkt mitunter so zugeht.

Mini-Absteigen zu Horror-Preisen

"Ein Jahr lang haben mein Team und ich in ganz Deutschland recherchiert und festgestellt: Auf dem deutschen Wohnungsmarkt können Vermieter und Eigentümer mehr tun und lassen, als man für möglich hält", erklärt Jilg zu Beginn seiner Reportage und seine Kollegin Wittneben hält die Fragen fest, die man mit der Reportage klären will: "Warum stehen Millionen Wohnungen leer, obwohl Wohnraum so knapp ist? Wer profitiert von der Wohnungsnot und wer leidet?"

Plausible Fragen, doch der erste Fall klingt erst einmal absurd. Jilg ist im unterfränkischen Würzburg und berichtet von vor Ort: "Gleich soll hier ein Haus zwangsgeräumt werden. Der Grund: Der Eigentümer hat hier 51 Wohnungen illegal gebaut." Jilg zeigt Bilder dieser Wohnungen, die ihm zugespielt wurden und stellt fest: "Aus großen Büroflächen wurden Mini-Absteigen gebastelt und jahrelang zu horrenden Quadratmeterpreisen vermietet."

Jilg trifft eine ehemalige Mieterin, die ihm Erstaunliches erzählt: 30 Euro Warm- und 23 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter habe sie seinerzeit gezahlt, die durchschnittliche Kaltmiete liegt in Würzburg bei 9,77 Euro pro Quadratmeter. "Wieso zahlen Mieter das?", fragt sich Jilg. Die Antwort der Ex-Mieterin: "Es ist wie bei den meisten Leuten, die in dem Haus gewohnt haben: Aus der Notlage heraus, weil man nichts anderes gefunden hat – vor allem auf die Schnelle, ohne Arbeit, ohne Geld."

Immobilienmarkt in Deutschland: Wohnungsknappheit und gleichzeitig Leerstand

Einer anderen Schieflage im Wohnungsmarkt geht Wiebke Wittneben nach. "Millionen Miethaushalte kämpfen ums finanzielle Überleben. Gleichzeitig stehen hunderttausende Wohnungen in Deutschland leer. Wie passt das zusammen?", stellt Wittneben fest und fährt auf der Suche nach einer Antwort nach Frankfurt, denn dort sei die "durchschnittliche Vergleichsmiete innerhalb von zehn Jahren um 40 Prozent" gestiegen. Sie trifft einen Investoren, der ihr eine seiner leeren Wohnungen zeigt. 2019 zahlte er 600.000 Euro für die Wohnung, könnte sie heute für "mindestens eine Million" verkaufen. Ein Jahr lang war die Wohnung vermietet, erzielte dabei Mieteinnahmen von 30.000 Euro.

"In diesen Größenordnungen lohnt sich Vermieten also kaum. Deshalb sehen solche Wohnungen oft einfach leer", so Wittnebens Schlussfolgerung. Und so recherchieren Jilg und Wittneben ein Puzzlestück nach dem anderen und setzen diese zu einem Immobilienmarkt-Bild zusammen: steigender Mietspiegel durch Luxusboom, überdurchschnittliche und stetige Mietpreissteigerung bei den großen Immobilienkonzernen, mangelnde oder sehr lange Instandsetzungen, schlechte bis nicht vorhandene Antworten bei Mietmängeln, und Vermieter, die die Wohnungsnot junger Frauen für Gefälligkeiten ausnutzen.

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Was Jilg und Wittneben recherchieren ist mitunter nicht neu, trotzdem bisweilen überraschend und in allen Fällen empörend bis schockierend. Aber ist es auch systematisch? Hat die Branche ihren Ruf zu Recht? Gibt es auch eine andere Seite? Vermutlich. Bei "2 Zimmer, Küche, Abzocke" konzentriert man sich aber fast nur auf die Schattenseiten der Immobilienbranche, untersucht Einzelfälle. Ob man hier von einer systematischen Abzocke sprechen kann – bei dieser Frage wird es an manchen Stellen in der Reportage ein bisschen dünn in der Beweisführung.

Wiebke Wittneben: "Ich hab’ hier so ‘ne Studie"

Zum Beispiel, als Jilg seiner Kollegin Wittneben von dem Fall aus Würzburg mit der kleinen Wohnung und der hohen Miete erzählt. Da behauptet Wittneben: "Aber das ist ja kein Einzelfall. Ich finde, was gerade momentan in Deutschland los ist. Ich hab hier so 'ne Studie. Da sieht man, wie sich der Markt einfach entwickelt hat. Guck dir mal die Kurve an." Und die Off-Sprecherin bläst ins gleiche Horn: "Klar zu sehen: Die Kurve kennt nur eine Richtung. Die Nettokaltmieten sind jahrzehntelang ohne Pause massiv gestiegen."

Doch das eine ist der Befund, das andere ist die Erklärung. Aber die liefert die Reportage hier nicht, hantiert nur mit dem optischen Effekt der steigenden Kurve. Fragen nach der Art und den Autoren der Studie, den Parametern, der Analyse oder auch, wie sich im gleichen Zeitraum die Einkommen entwickelt haben, stellen Jilg und Wittneben nicht. Stattdessen antwortet Jilg seiner Kollegin nur zustimmend: "Das ist krass, ne."

Und auch das Positivbeispiel, das Jilg und Wittneben zeigen, überzeugt nicht als Beweis, dass es auch andere Vermieter gibt. Nicht etwa, weil Wolfgang Fischer, der in München seine Wohnungen ein ganzes Stück unterm Mietspiegel vermietet, nicht als Positivbeispiel taugt, im Gegenteil. Fischer sagt Sätze wie "Vermieten ist eine soziale Verantwortung" und scheint tatsächlich ein Traum von einem sozialen Vermieter zu sein. So traumhaft, dass er immer wieder in Reportagen wie dieser auftaucht – und genau das ist das Problem. Denn wenn immer wieder dieselbe Person als Positivbeispiel benutzt wird, dann hat das wenig Aussagekraft, egal in welche Richtung.

Wohnungsmarkt in Deutschland: eine Frage der Macht

Aber Wittneben und Jilg werfen zum Glück noch andere Beweisführer in die Waagschale. Zum Beispiel Professor Dieter Rink. Und was der Stadtforscher berichtet, deutet doch eher auf ein generelles Problem hin als auf Einzelfälle, wenn er über den Wohnungsmarkt in Deutschland spricht: Bezahlbarkeitsproblem, Knappheitsproblem, Leerstandsproblem, weitgehender Rückzug des Bundes aus der sozialen Wohnraumförderung. "Es sind vor allem teure Wohnungen auf die Märkte gekommen", erklärt Rink das Dilemma, dass vor allem preiswerte Wohnungen gesucht werden.

Und so zeigt die Reportage zwar viele Einzelfälle, aber eben auch generelle Strukturen beim Wohnungsmarkt in Deutschland. Strukturen, die diese Einzelfälle fördern oder gar erst möglich machen. Denn egal, ob in Würzburg oder Frankfurt, beim Privatvermieter oder einem börsennotierten Immobilienunternehmen, das Problem ist immer dasselbe: das Machtgefälle zwischen denen, die eine Wohnung suchen und denen, die eine haben. Und je weniger Wohnraum es gibt, desto größer ist dieses Machtgefälle und damit auch die Gefahr, dass diese Macht missbraucht wird.

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