ProSieben will Hip-Hop in die Castingshowwelt bringen. So richtig traut sich der Sender mit "The Voice Rap" allerdings nicht und versteckt die Show im Nachtprogramm. Schade eigentlich.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Felix Reek dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Wer heute als Musiker kommerziell erfolgreich sein will, kommt an Hip-Hop nicht vorbei. Was als Subkultur in den Siebzigerjahren in den USA begann, dominiert weltweit die Charts. Zwar inszenieren sich viele Interpreten noch immer als Outsider oder Gangster, doch sind sie längst Teil des Mainstreams. Künstler wie Apache 207 oder Ski Aggu belegten auch in Deutschland zuletzt wochenlang die Spitzenplätze der Charts. Nur in Castingshows hat sich die Übernahme des Mainstreams durch Hip-Hop noch nicht herumgesprochen. Sie sind noch immer vor allem Gesangsshows.

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Warum das so ist, dürfte am Durchschnittsalter der Fernsehzuschauer liegen. Das ZDF kommt auf 65 Jahre, bei RTL sind es 55 Jahre. Am jüngsten ist ProSieben - allerdings ebenfalls mit fortgeschrittenen 44 Jahren - sie könnten die Eltern von Apache 207 und Ski Aggu zu sein. Der Sender versucht es jetzt trotzdem mit einer Rap-Variante von "The Voice". Im Mai gewann schließlich die 15-jährige Emma mit "Loose Yourself" von Eminem das Finale von "The Voice Kids".

Zu spät, zu kurz

Ganz so überzeugt scheint ProSieben von dem Konzept aber nicht zu sein. Da wäre zunächst der wegen des automobilen Sponsors schwer von der Zunge gehende Titel des Formats: "The Voice Rap by Cupra". Dann die Sendezeit: Die neue Castingshow, deren Gewinner direkt ins Halbfinale der 13. Staffel von "The Voice" einzieht, ist gerade einmal 40 Minuten lang und wird nach der Muttershow ausgestrahlt: Am späten Donnerstagabend um 22.40 Uhr, die Premiere findet eine Woche vorher auf dem Streamingportal Joyn statt.

Statt fünf Juroren gibt es nur zwei. Und das Studio, in dem aufgezeichnet wird, wirkt im Vergleich zur "The Voice"-Arena eher wie ein Jugendzentrum, bei dem die wenigen Zuschauer direkt am Bühnenrand stehen. Vielleicht passt das aber auch eher zum Hip-Hop, der zwar längst ein Milliardengeschäft ist, aber mit seinem Underdog-Image liebäugelt.

Als Juroren konnte ProSieben mit Kool Savas eine deutsche Rap-Legende gewinnen, sein Konkurrent ist Dardan, der die aktuelle Hip-Hop-Kultur vertritt. Das Konzept ist dasselbe wie bei "The Voice": Zunächst präsentieren sich Nachwuchskünstler in den Blind Auditions, wer weiterkommt, kämpft zusammen mit seinem Coach in mehreren Runden um den Sieg und die Teilnahme in der Hauptshow.

Der eine lobt und lockt, der andere schweigt nur

Vier Künstler sind es in der ersten Folge, die gleich zeigt, warum das Format vielleicht doch besser auf ProSiebens Streamingportal Joyn aufgehoben ist. Die ausgewählten Songs sind eben nicht das, was rund um die Uhr im Formatradio läuft. Erste Kandidatin ist die 19-jährige Erda Havolli. Sie rappt "Heart attack" von Noizy x Loredana - und übernimmt gleich beide Parts des Songs.

Dass die junge Frau perfekt zu dieser Art von Show passt (selbstbewusst, talentiert und mit einem Gespür für die Kamera), merken auch Kool Savas und Dardan, die sofort auf ihre Buzzer hauen. "Überkrass" sehe sie aus, sagt Savas. "Ne krasse Stimme" habe sie auch und dann lockt der Rapper noch mit seinen 20 Jahren Erfahrung im Musikgeschäft. Ganz anders sein Gegenpart: Dardan sagt so gut wie gar nichts, steht einfach nur von seinem Sessel auf - und Erda Havolli entscheidet sich für ihn. So einfach kann es sein.

Eine Castingshow ist aber bekanntlich nur so gut, wie das Drama, das sie bietet. Es folgt Dominic "CEO" Andrews, 30 Jahre alt. Drogen habe er hinter sich, auf die schiefe Bahn sei er geraten und einfach "zu viel Party" gemacht. Das ist natürlich jetzt alles anders, er hat einen Job, ein Kind und obendrauf auch noch ein Sixpack. Auf der Bühne rappt "CEO" "Malik" von OG Keemo, wieder drehen sich beide Juroren um und dann gehen die kleinen Neckereien los, die eigentlich den Unterhaltungswert von "The Voice" ausmachen.

Wobei das vor allem Kool Savas verstanden hat, der seine Karriere schließlich als Battle-Rapper begann. Zu Dardan brauche er gar nicht gehen, sagt er zum Kandidaten, der hätte gegen ihn auf der Bühne keine Chance. Und dann bietet er "CEO" ein Feature auf einem seiner Songs an. Dardan kontert mit einer Produktion in den USA. Das gehört zum Hip-Hop dazu: Der größte Angeber gewinnt. In diesem Fall erneut Dardan.

Eher Vorband als Hauptsendung

Doch auch Kool Savas kommt zum Zug. Während sich für Konstantin "Kostja" Düring niemand umdreht, sieht das bei Gerda "Call Me G" Kapenda aus Essen ganz anders aus. Eindringlich berichtet die Rapperin vor ihrem Auftritt vom alltäglichen Rassismus aufgrund ihrer Hautfarbe und beginnt zu weinen. Dann rappt sie "Trap Mama" von Le Juice - auf Französisch.

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Das versteht zwar in der Geschwindigkeit keiner der beiden Coaches, trotzdem sind sie sofort "verknallt" und überhäufen die Rapperin mit Angeboten. Kool Savas lockt mit Schmuck und seinen Kontakten, Dardan erwidert nur: "Willst du mit Geschenken nach Hause gehen oder gewinnen?" Offenbar beides: Gerda Kapenda wählt Kool Savas und bekommt sofort eine Kette überreicht.

Nur reicht das für eine eigene Show? Nicht wirklich, "The Voice Rap" wirkt eher wie ein Extra zur Hauptsendung, die Vorband, die viel zu spät erscheint und spielen muss, wenn die Zuschauer die Halle verlassen. Das ändert nichts daran, dass die musikalische Qualität hoch ist. Nur eben nicht kompatibel zum gealterten TV-Publikum. Hip-Hop mag zwar erfolgreich wie nie sein - doch die Zuhörer dieses Genres schauen einfach kein Fernsehen mehr.

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